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Artikel Wohnprojekte national/international

Der Norden dreht auf

Neues genossenschaftliches Wohnen in Schleswig-Holstein

*** von Josef Bura ***

Wer weiß, wie Wohnprojekte entstehen, weiß auch, dass sie nicht von heute auf morgen zustande kommen. Dafür sind gute Voraussetzungen nötig und die Aufgaben, die Wohngruppen zu erfüllen haben, sind komplex und zeitaufwendig. Ein gutes Beispiel dafür, wie wohnungspolitische Impulse gesetzt werden und etwas in Bewegung bringen, liefert das nördlichste Bundesland.

Auf den ersten Blick scheinen Wohngruppenprojekte und Schleswig-Holstein nicht zusammen zu passen, weil damit meist neues Wohnen in der Großstadt assoziiert wird. Da mag es verwundern, dass in Schleswig-Holstein bei dem Thema mehr los ist, als man denkt.

Bauernhöfe, Öko-Siedlungen und Leuchtturmprojekte

Etwa 50 kleine und größere Projekte liegen verstreut auf dem Land – allerdings mit den räumlichen Schwerpunkten um die größeren Städte Lübeck und Kiel.

Es gibt ein paar Besonderheiten: Lange Zeit waren es Wohnprojekte im privaten Eigentum, die die Szene beherrschten: vom Wohnprojekt auf dem Bauernhof über die vielen Öko-Siedlungsprojekte mit Grasdach und Komposttoilette bis hin zu den außergewöhnlich komplexen Projekten in Wulfsdorf bei Ahrensburg und in Lübeck. Mit dem Projekt Allmende entsteht am Rande von Hamburg in Schleswig-Holstein auf dem Gelände eines ehemaligen Hamburger Kinderheims eine sozial-ökologische Wohnsiedlung für etwa 300 Bewohner mit einer Verbindung von Wohnen und Arbeiten. Neben 100 Wohnungen gibt es dort u. a. ein Architekturbüro, ein alternatives Bestattungsunternehmern, ein Künstlerhaus, ein Gesundheitshaus und einen Kindergarten.

Auch der Ägidienhof als Wohnprojekt von Jung und Alt in Lübeck ist ein bundesweit beachtetes Leuchtturmprojekt. Mitten in der Lübecker Altstadt sind hier Büros und Wohnraum in 12 historischen Häusern entstanden.

Impulse aus dem Innenministerium

Zuständig für Wohnungsbauförderung und Stadtentwicklung in Schleswig-Holstein ist heute das Innenministerium des Landes. Vorbildlich für andere Bundesländer wird dort seit Jahren das Thema Wohngruppenprojekte behandelt. Lange Zeit gab es eine kleine Startförderung, um die Gruppen in der schwierigen Phase der Projektentwicklung zu unterstützen. Ein Ratgeber für Wohngruppenprojekte wurde entwickelt und stellt ein umfängliches Werk dar, das allen weiterhilft, die sich über Wohnprojektentwicklung in Schleswig- Holstein informieren möchten.

2003 ergriff das Innenministerium die Initiative zur Förderung genossenschaftlicher Wohnprojekte. STATTBAU wurde mit einer Machbarkeitsstudie zum Thema und zu einer landesweiten Kampagne beauftragt. Dieser Impuls zeigt nun Wirkung: Im Oktober 2004 wurde eine Förderlinie aufgelegt, die erstmalig die besonderen Belange von Gruppen berücksichtigt, die sich als genossenschaftliche Wohnprojekte organisieren möchten. Konkret: Es gelten höhere Einkommensgrenzen und geringere Eigenkapitalquoten. Diese Kampagne des Landes ist nicht ohne Wirkung geblieben. Zwischenzeitlich sind die ersten neuen Wohnungsbaugenossenschaften sowie hilfreiche Strukturen für Wohngruppenprojekte entstanden.

Frischer Wind und Aufbruchstimmung unter Wohngruppen und Akteuren

Ein Netzwerk der Akteure wurde Ende 2004 gegründet: Der Interessenverband der Wohnprojekte in Schleswig-Holstein, in dem sich viele Aktivisten – insbesondere Profis – regelmäßig treffen und gemeinsame Projekte zur Förderung von Wohngruppenprojekten durchführen, wie z. B. die ersten Wohnprojekte-Tage im Mai 2005 in Kiel und im Winter eine Tagung für Vertreter von Kommunen im Land. Der Interessenverband hat eine Bestandsaufnahme der Wohnprojekte-Szene durchgeführt. Danach gibt es gegenwärtig rund 30 Projekte in der Entstehungsphase. Auch jetzt bilden sich wieder neue Initiativen um größere Städte herum. Aber auch in ländlicheren Regionen suchen Menschen nach Wohnalternativen.

Mit der Maro Temm eG ist in Kiel eine Wohnungsselbsthilfegenossenschaft für Sinti entstanden, die in Kiel-Gaarden ein Projekt für 13 Familien plant. Die Dachgenossenschaft Nord eG i.Gr. mit Sitz in Kiel, versteht sich als Dachgenossenschaft für Wohngruppenprojekte zunächst in Schleswig-Holstein und unterstützt zur Zeit verschiedene Initiativen im nördlichen Bundesland. Besonders schnell wurde die Steinbeker Hof eG als Dachgenossenschaft im Jahr 2005 neu gegründet: Sie hat bereits im Sommer 2006 ihre erste Grundsteinlegung mit einem Wohnprojekt im ländlichen Raum – Nähe Bad Segeberg – gehabt und wird das erste im Rahmen der neuen Förderrichtlinien finanzierte genossenschaftliche Bauvorhaben sein.

Mit dem „Institut für Neues Wohnen e.V.“, ansässig in Lübeck, ist ein weiterer Akteur mit Schwerpunkt der Unterstützung von Wohngruppenprojekten im nördlichen Bundesland tätig. Dort wird eine „Beratungsstelle für selbst bestimmte Wohnprojekte“ aufgebaut.

Auch klassische Genossenschaften als Kooperationspartner für Wohngruppenprojekte

STATTBAU setzt seit längerem auch auf klassische Wohnungsgenossenschaften als Kooperationspartner für Wohngruppenprojekte. In einer Befragung aller Wohnungsgenossenschaften Schleswig-Holsteins, die im Rahmen eines Forschungsvorhabens 2006 in Kooperation mit dem Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen durchgeführt worden ist, haben einige von ihnen konkretes Interesse an neuen Wohnformen in ihren Beständen geäußert. Manche von ihnen haben auch schon Kontakt mit Wohngruppen gehabt, ohne dass es bislang zu einem Projekt gekommen ist.

Besonders interessant sind die Aktivitäten der kleinen Pinneberger Wohnungsgenossenschaft GKB eG, die gleich an zwei Stellen Wohngruppenprojekte realisieren möchte. In Horst, nördlich von Elmshorn gelegen, soll ein landschaftlich sehr attraktiver Standort am Ortsrand für etwa 12 –13 Haushalte mit genossenschaftlichen Wohnungen unter dem Stichwort „jung und alt“ im Reihenhaus-Stil bebaut werden. Das Interesse vor Ort, das haben Veranstaltungen, die dort durchgeführt wurden, gezeigt, ist groß. In Wedel, in unmittelbarer Nachbarschaft von Hamburg sind die Planungen bereits in vollem Gange: ein ehemaliges Bauernhaus aus dem 19. Jahrhundert wird hier zusammen mit den Mitgliedern der Wohngruppe „Körners Hof GbR“ als Wohnprojekt für die zweite Lebenshälfte umgebaut. Auch andere Wohnungsbaugenossenschaften stehen in Wartestellung. Viel los im Norden!

Josef Bura ist Mitarbeiter der STATTBAU HAMBURG GmbH und war an vielen Aktivitäten der Förderung von genossenschaftlichen Wohngruppenprojekten in Schleswig-Holstein beteiligt.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 13(2006), Hamburg