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Aufbruch zu neuen Ufern?

Internationale Bauausstellung IBA 2013 in Wilhelmsburg!

*** von Joachim Reinig ***

Auf einem Expertenforum im Bürgerhaus Wilhemsburg stand ein Alt-Wilhelmsburger auf und kritisierte, dass Wilhelmsburg seit Jahrzehnten schlecht behandelt wird: mal soll die Müllverbrennung hierherkommen, mal eine Autobahn. Verkehr, Gift und Emissionen bedrohen den Wohnstandort.

Der Oberbaudirektor, der gerade 100 Mio Euro für die Internationale Bauaustellung in Wilhelmsburg versprochen hatte, gab dem Mann Recht, aber fragte zurück, was denn die Alternative sei? ,Wir haben keine Alternative!‘, sagte der Mann und setzte sich.

Was will die IBA?

Die IBA 2013 und die gleichzeitig stattfindende Internationale Gartenschau IGS sind Projekte des Senats zum „Sprung über die Elbe“ der „Wachsenden Stadt“.

Die ihr gestellte Aufgabe, das Zukunftsbild einer Metropole des 21. Jahrhunderts zu thematisieren, ist vermutlich etwas zu hoch gegriffen und eher Planer-Lyrik. Wilhelmsburg ist eher die Peripherie der Stadt, vielleicht ein Zwischenraum, der bestimmt wurde durch Hafen und Gewerbe, Arbeiterwohnungsbau und Wohnungen für Einwanderer. Das schafft natürlich stadtplanerische, kulturelle und soziale Unverträglichkeiten. Dieses zu heilen, das Unverträgliche verträglich zu machen, ist die eigentliche Aufgabe der Stadtentwicklung in Wilhemsburg.

Die Internationale Bauaustellung definiert dies auch als eine Aufgabe für ganz Hamburg: Wilhelmsburg soll mit seinen Problemen nicht länger alleine gelassen werden.

Zunächst sind die Hamburger eingeladen, Wilhelmsburg überhaupt kennenzulernen. Dem dient dieses Jahr das breite Kulturangebot des „IBA Kunst- und Kultursommers“. Manch ein Hamburger, der zum erstenmal mit dem Fahrrad nach Wilhelmsburg fährt, ist überrascht, was hier alles zu entdecken ist: Wasser, Dörfer, Windmühle, Industriearchitektur, Ökobrachen, das Flair von Menschen aller Kulturen und Klein Istanbul.

Die Elbinsel ist insgesamt relativ gering besiedelt – es gibt viele Entwicklungsspielräume. Das ist die große Chance der IBA.

Die Entwicklung wird jedoch durch die Anforderungen des Hafens eingeschränkt. Die Industrie geht zurück, der Handel, insbesondere der Containerumschlag, wächst rasant. Er benötigt riesige Flächen und Verkehrsströme. Daher sollen eine Hafenquerspangen-Autobahn und eine neue Bahntrasse gebaut werden – auch gegen den erbitterten Widerstand vor Ort.

Die Gefahr der IBA ist daher, dass sie als Alibi gesehen wird, um große Infrastrukturmaßnahmen durchzusetzen.

Die IBA betont die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung. Eine Beteiligungskultur ist noch ein Postulat – sie wird sich beweisen müssen und daran wird die IBA gemessen werden. So ist z. B. derzeit in Frage gestellt, ob der in langen Jahren des früheren Beteiligungsverfahrens eingesetzte Beirat für Stadtentwicklung aufrecht erhalten wird.

Tatsächlich sind die der IBA zur Verfügung gestellten Mittel fast ausschließlich Regie-, Planungs- und Moderationsmittel. Sie hat kein eigenes Grundvermögen und kann nicht selbst investieren. Sie ist daher angewiesen auf die Mitwirkung der Wohnungsbaugesellschaften und Hausbesitzer.

Mit einem Vertrag mit vielen Verbänden und Eigentümern, der „IBA Konvention“, soll diese Kooperation erreicht werden.

Projekte mit Symbolcharakter

Jede Bauaustellung braucht Leitprojekte mit Symbolcharakter. Beim Sprung über die Elbe müssen diese besonders sorgfältig entwickelt werden. Die Bürger Hamburgs und die Bürger vor Ort müssen mit Stolz auf die Projekte blicken und in ihnen eine willkommene Programmatik sehen können. Ein Leitprojekt darf nicht gegen die überwiegende Meinung der Menschen vor Ort durchgesetzt werden.

Architektur darf sich heute nicht nur auf Fassadengestaltung beschränken, sondern muss Lösungen für die anstehenden gesellschaftlichen und ökologischen Probleme entwickeln.

Tom Sieverts – Stadtplaner und einer der Berater der IBA – spricht von der Transformation des bestehenden Menschenwerkes als eine Aufgabe der reflexiven oder dritten Moderne bei gleichzeitig schnell wachsenden Anforderungen und Nutzungsprogrammen und einem erhöhten Maß an Unbestimmtheit. Er folgert daraus, verstärkt Raum zu lassen für „transitorisches, revidierbares, leichtes Bauen“ mit viel Raum für Bau- und Lebensexperimente.

Jochen Menzel vom Zukunftsrat Hamburg fordert: „Über „Leuchtturmprojekte“ hinaus bedarf es eines neuen Strukturansatzes: Bei allen stadtentwicklungs- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen ist zumindest das Wie der Umsetzung – das Ob unterliegt nicht selten der Standortlogik – gezielt an Kriterien der ökologischen Tragfähigkeit und des sozialen Ausgleich auszurichten. Das setzt ein Monitoringsystem und eine Absicherung durch Verfahren voraus und bedarf der demokratischen Legitimation durch nachvollziehbaren öffentlichen Diskurs.“

Besondere Aufmerksamkeit braucht die Anbindung der Elbinsel zum „Festland“. Im Süden ist das z. B. die Entwicklung des Harburger Binnenhafens, im Norden die Graasbrook-Flächen, die derzeit noch für eine Olympiabewerbung freigehalten werden sowie eine neue Elbbrücke zur Hafencity. Neben diesen „Leuchttürmen“ bieten sich zwei Bereiche als Leitprojekte besonders an:

Auswanderung und Einwanderung: Wachstum zur Metropole

Im historischen wie im gegenwärtigen Kontext ist die Einwanderung und Auswanderung ein wesentliches Merkmal der Elbinselnutzungen.

Im Zusammenhang mit wachsender Stadt geht es auch um Zuwanderung von Menschen, die wegen Ausbildung oder Arbeit in der Stadt kommen oder die Urbanität und kulturelle Dichte suchen.

Tom Sieverts spricht davon, dass die Bauausstellung die „New Frontiers“ unserer Gesellschaft thematisieren sollte und „Raum bereitstellen für die ‚Raumpioniere‘, also die Bau- und Lebensversuche junger Menschen, für Einwanderer und für strukturell aus der formalen Arbeitswelt Ausgeschlossene“.

Die IBA braucht Schlagworte („Mission: Kosmopolis“), aber sie sollte auch sehr genau hinschauen, wer in Wilhelmsburg wohnt und sehr ernsthaft an den Schnitt- und Konfliktlinien arbeiten. 20 Bilder aus Wilhelmsburg zum „Weltquartier“ (einem Beteiligungsprojekt der SAGA) zu veröffentlichen ohne ein einziges Kopftuch – das ist schon eine journalistische Leistung!

Umso wichtiger ist ein klares Bekenntnis der Stadt und der IBA gegen Verdrängungsmechanismen. Die Migrationsbevölkerung hat viele gründerzeitliche Quartiere Hamburgs bewohnbar gehalten, als die deutsche Bevölkerung wegen schlechter Baustandards die Viertel verlassen hat. Heute werden Migranten aus diesen neuen Latte Macchiato-Vierteln verdrängt: aus St. Pauli-Süd, St. Georg, Altona- Altstadt und auch der Veddel. In Wilhelmsburg sollte allen Kulturen eine Bestandsgarantie gegeben werden.

Nachhaltigkeit und Umgang mit Ressourcen

Die Elbinsel liegt in einer ökologisch empfindlichen Insellage in der Elbmarsch. Ein forciertes Abschmelzen der Polareiskappen und der damit verbundene Anstieg des Meeresspiegels gefährdet sie unmittelbar.

Die Entwicklung des Weltklimas und die Gestaltungsfähigkeit der Menschheit ist eine der zentralen Fragen des 21. Jahrhunderts und muss daher auch zu einer zentralen Frage der Elbinselentwicklung werden.

Es liegt daher im Eigeninteresse, auf der Elbinsel jedes Projekt auf seine ökologische Nachhaltigkeitsbilanz darzustellen und zu bewerten.

Eine neue Planungskultur?

Eine Internationale Bauausstellung hat die Chance, neue Wege der Planungskultur auszuprobieren – das haben die bisherigen Bauausstellungen gezeigt, nicht zuletzt die IBA Berlin 1984, an der der jetzige Geschäftsführer Uli Hellweg maßgeblich beteiligt war.

Ökologische und soziale Nachhaltigkeit sind oft nicht sehr spektakulär anzuschauen – sie erschließen sich eher im Lebensgefühl, in der Liebe zum Stadtteil, seiner Vernetzung, in der Nachfrage nach Wohnungen und Dienstleistungen. Die Lange Reihe ist nicht wegen ihrer Architektur berühmt, eher wegen der Freiheit vieler Kulturen und Subkulturen – und einer vielfältigen Architektur.

Das ist auch die Chance Wilhelmsburgs. Es wäre problematisch, wenn Potemkin über Fassadenwettbewerbe durch Wilhelmsburg rauscht – nur schön anzusehen, aber nichts Aufregendes dahinter. Außer teuren Wohnraum, den sich die Menschen vor Ort nicht leisten können?

Hier braucht die IBA eine kritische Begleitung der Fachwelt, der Öffentlichkeit und der Intiativen vor Ort.

Joachim Reinig ist Architekt und begleitet nicht nur Hamburger Wohnprojekte und die Baugemeinschaftsszene seit vielen Jahren. Er hat mitgeholfen, zahlreiche Projekte zu realisieren und legt einen Schwerpunkt auf klimaschonendes Bauen.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 14(2007), Hamburg