Kategorien
Literaturhinweis Stadtentwicklung

Buchtipp 1

Doug Saunders „Arrival City“

*** von Joachim Reinig ***

Arrival City : über alle Grenzen hinweg ziehen Millionen Menschen vom Land in die Städte, von ihnen hängt unsere Zukunft ab / Doug Saunders. – München : Karl Blessing Verlag, 2011. – ISBN 978-3-89667-392-3

Die Hamburger Debatte um „Recht auf Stadt“ problematisiert die Verdrängung der Bevölkerung durch Investoren, die Immobilien für Besserverdienende entwickeln und verkaufen. MigrantInnenen, Wohngemeinschaften und Studierende, – vor einer Generation noch die Pioniere der vernachlässigten Innenstadt – müssen jetzt gut verdienen oder den Stadtteil verlassen, spätestens wenn sie mehr Wohnraum für Kinder benötigen. Diese Diskussion zeichnet ein düsteres Bild der Verteilungskämpfe in der Stadt und zahlreiche Initiativen kämpfen gegen diese großen sozialgeographischen Veränderungen.

In diesem Jahr hat der Erste Bürgermeister Olaf Scholz in einigen Vorträgen darauf hingewiesen, dass Hamburg für viele Menschen auch eine „Stadt der Hoffnung“ ist. Sie kommen nach Hamburg, um hier Arbeit oder eine Ausbildung zu finden und ihre Lebensumstände zu verbessern. Hamburg sei eine wachsende Stadt, eine Ankunftsstadt. Er zitiert dabei ein neues Buch von dem kanadisch-britischen Autor und Journalisten Doug Saunders mit dem Titel „Arrival City“ – Ankunftsstadt.

Über alle Grenzen hinweg – so der Untertitel – ziehen Millionen Menschen vom Land in die Städte. Von ihnen hängt unsere Zukunft ab – so die Ausgangsthese von Doug Saunders.

Im letzten Jahr wurde vermutlich der Punkt erreicht, dass die Hälfte der Menschheit in Städten lebt. Bis zum Ende unseres Jahrhunderts werden es wohl 80% sein.

Dass die Städte schon immer vom Zuzug leben, ist eine Binsenwahrheit. In Hamburg haben zu keinem Zeitpunkt der Stadtgeschichte mehr als die Hälfte an hier Geborenen gelebt. Aber weltweit erleben wir eine explosionsartige Ausweitung der Städte zu Megacitys. Dies beschreibt Saunders am Beispiel von fast 30 Städten in der ganzen Welt – von Liu Gon Li in China über Kibera in Nairobi/Kenia bis hin zu Berlin-Kreuzberg.

Ein wesentlicher Hintergrund ist, dass die kleinteilige, familiäre Landwirtschaft zu unproduktiv ist und die Menschen nicht mehr ernähren kann, geschweige denn, dass Überschüsse erzielt werden. Also wandern die jungen Erwachsenen in die Stadt ab in der Hoffnung auf Arbeit. Sie landen dort, wo der Wohnraum am günstigsten ist, in der Plattensiedlung oder im Slum. Und sie landen dort, wo ihre Bekannten aus dem Herkunftsdorf schon wohnen. Hier werden sie am leichtesten aufgenommen und können die Beziehungen nutzen. So kommt es, dass sich in den Stadtrandsiedlungen die Dörfer spiegeln.

Der Stadtrand hat dabei – weltweit gesehen – durchaus Vorteile: Die Lebenshaltungskosten sind niedrig und der Einstieg in Arbeit und Beschäftigung leicht. Es entsteht – allein durch den Eigenbedarf – eine (graue) Ökonomie im Handel, im Baugewerbe und in den Dienstleitungsberufen für die Mittelschicht.

Das hier verdiente Geld wird sparsamst für den eigenen Lebensunterhalt verwendet, das meiste geht in die Heimatdörfer zur Unterstützung der Herkunftsfamilie und in die Ausbildung der Kinder.

Auf diese Art und Weise gelingt in vielen Städten die Integration tatsächlich. Das mühevolle Ankommen mit schlechter Unterkunft und gering bezahlten Jobs wird abgelöst durch zunehmende Qualifikation, bessere Arbeit und politische Integration – die Ankunftsstädte erfüllen die Hoffnungen spätestens in der zweiten Generation.

Hierfür müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: Legalisierung der oft besetzten Bauflächen, Aufbau einer Verwaltung (oft aus den besetzten Quartieren heraus in Selbsthilfe), Anbindung an das Stromnetz. Noch wichtiger als individuelle Wasser- und Abwasserversorgung ist dabei ein Verkehrswesen, das die Menschen zu den innerstädtischen Arbeitsplätzen bringt, sowie die Beleuchtung der Straßen und Wege – Voraussetzung für körperliche Unversehrtheit und zur Vermeidung von Überfällen.

Die Städte, die diesen Zuzug ermöglichen oder zumindest tolerieren, sind wachstumsorientiert und meist auch wirtschaftlich erfolgreich – schließlich haben sie ein großes Arbeitskräftereservoir. Städte, die nur mit dem Bulldozer auf Zuwanderersiedlungen reagiert haben, schneiden sich von der Entwicklung ab.

Dass der Integrationsprozess nicht automatisch gut geht, zeigt Saunders am Beispiel von Berlin-Kreuzberg auf, einer innerstädtische Ankunftsstadt für die türkische Landbevölkerung. Den größten Mangel sieht er darin, dass Deutschland keine doppelte Staatsbürgerschaft zugelassen hat und immer von der Annahme eines zeitlich befristeten Anwerbeprogramm ausgegangen ist: „Die deutsche Politik schien von Anfang an darauf ausgerichtet, eine gescheitere Ankunftsstadt hervorzubringen, deren Bewohner sich weder am Zielort auf sinnvolle Weise fest einrichten noch realistische Erwartungen auf eine endgültige Rückkehr in ihre Dörfer hegen konnten“.

Das ist einer der Gründe, warum Olaf Scholz die hamburger Migranten anschreibt und auffordert, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen und endgültig hierzubleiben.

Saunders ist optimistisch: „Dieses Jahrhundert wird das letzte Jahrhundert der Urbanisierung sein… Wir haben heute die Chance, diese abschließende Migration zu einer dauerhaft fortschrittlich wirkenden Kraft zu machen, der Armut ein Ende zu bereiten, die Wirtschaft nachhaltiger zu gestalten und ein weniger brutales Leben auf dem Land zu ermöglichen. Das wird nur gelingen, wenn wir diese lästigen Ansiedlungen am Stadtrand nicht mehr ignorieren“.

Das Buch von Saunders ist spannend zu lesen, da er persönliche Ankunftsgeschichten recherchiert und sie einbettet in die Ergebnisse empirischer Untersuchungen und wissenschaftlicher Forschung. Er differenziert dabei genau die jeweiligen historischen, ökonomischen und politischen Bedingungen der Länder und Kontinente. Umso erstaunlicher ist, dass (fast überall) ein ähnliches Ergebnis herauskommt: Es sind die großen Städte, auf die die Menschen hoffen und in denen sie – letztlich – ihr Glück finden können.

Joachim Reinig ist Architekt und Mitglied im Beirat der FreiHaus.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 18(2012), Hamburg