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Architektur/Planungskultur Artikel

Der Boberger Dorfanger

*** von Viola von Lübbecke ***

Eigentlich sind es stets die BewohnerInnen, die mit ihren Wohnvorstellungen die Vermietergesellschaften „stören“, besonders wenn sie individuelle Anforderungen an das Wohnen stellen. Viele Wünsche scheitern jedoch entweder am verfügbaren Einkommen oder an den Bedingungen des Wohnungsmarktes. So müssen Familien und Wohngruppen meist die Erschwernisse des Selbstbauens auf sich nehmen, um ihre Vorstellungen umsetzen zu können. Doch der Markt scheint im Wandel begriffen und wird vielleicht sogar die einstigen Störungen als Wohnwünsche begreifen.

Die Hanseatische Wohnbau GmbH HPE versucht, bei der Planung und Realisierung des Dorfangers Boberg diesen Wandel innerhalb der Grenzen des Stadtstaates Hamburg umzusetzen. Auf einem 52 Hektar großen Areal entstehen für etwa 3 000 EinwohnerInnen im Eigentum ca. 750 Reihen- und Doppelhäuser und ggf. auch ca. 150 Geschosswohnungen.

Angesprochen werden damit besonders junge Familien, die gerade eben in der Lage sind, Wohneigentum zu erwerben (sogenannte Schwellenhaushalte). Für die Verwirklichung ihrer Wohnwünsche würden sie notfalls die Stadt verlassen. Besonders interessant sind bei diesem Projekt, dass die städtebaulichen, architektonischen, sozialen und ökologischen Planungen sowie die dazugehörige Bauausführung stark zusammengefasst sind.

Individuell Wohnen in 20 Wohntypen

Der Städtebau bemüht sich, kleine Nachbarschaften durch die Straßenführung und die Bebauungsweise, wie z.B. Wohnhöfe zu erzeugen. Anhand der Gebäudeanordnung sollen Störungen zwischen öffentlichen und privaten Flächen vermieden werden. Außerdem sind großzügige Gemeinschaftsflächen und so wenig versiegelter Boden wie möglich das erklärte Ziel.

Kleinräumliche Dimensionen und eine gut abgestimmte Materialvielfalt kennzeichnen die Architektur. Die HPE bietet ca. 20 verschiedene Haustypen an. Alternativvorstellungen der zukünftigen BewohnerInnen, z.B. zu den Grundrissen, sind willkommen. Der Investor hilft dann bei der Realisierung durch Bereitstellung von fachkundigem Planungspersonal. Der Ausbau der Häuser kann weitgehend in Eigenhilfe erfolgen. Benötigtes Training und BeraterInnen stehen jederzeit zur Verfügung, so dass viel Geld gespart werden kann.

Gemeinsinn als Anliegen

Die soziale Planung zielt auf den Gemeinschaftssinn im „Dorf der Zukunft“. Wurden durch den Städtebau schon kleine Nachbarschaften aufgebaut, so wird hier besonderes Augenmerk auf die zentrale Einrichtung des Bürgerhauses gelenkt. Für dessen Verwaltung gründete sich bereits ein Verein, der auch weitere Aufgaben übernehmen will. Planerischer Vorsatz ist ein „Wir-Gefühl“ zur Identifizierung mit dem eigenen Lebensumfeld. Das soll u.a. durch weitgehende Übernahme von Verantwortung gestärkt werden. Weitere soziale Einrichtungen wie der Kindergarten, die Grundschule und der Sportplatz werden ebenfalls als Orte der Begegnung fungieren.

Sämtliche Bewohner gehören dem Zweckverband für die Unterhaltung der Oberflächenentwässerung an. Das anfallende Regenwasser wird nicht in die Kanalisation abgeführt, sondern versickert auf dem Gelände. Auch das ist als Zeichen für die Übernahme von Aufgaben des Gemeininteresses zu sehen. Ökologischer Bestandteil der Planung für den Dorfanger Boberg ist des weiteren ein eigenes Blockheizkraftwerk und die Realisierung von 50% der Dachflächen als Gründächer.

Nachbarschaftlich ausgerichtet

Die Planung und Ausführung erscheint hier nutzerorientierter als bei bisher bekannten Siedlungsplanungen dieser Größe. Die Bewohner lernen sich aber erst kennen, wenn sie sich schon an den Dorfanger gebunden haben. Dabei könnte die nachbarschaftliche Nähe ggf. zu einer erzwungene Gemeinschaft werden.

Wünschen wir den Beteiligten, dass sich das Gebiet im Sinne der Planung zu einem lebendigen Quartier entwickelt.

Viola von Lübbecke ist freie Autorin in Berlin.

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 7(2001), Hamburg