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Architektur/Planungskultur Artikel

Wenn Nutzer mitplanen

*** von Joachim Brech ***

Wenn Nutzer/innen beim Bau von Mehrfamilienhäusern mitplanen, geht dann die Architektur baden? Und werden Architekten/innen zu Bauzeichner/innen degradiert, die umsetzen müssen, was ihnen Laien vorschreiben? Oder geht es um ganz was anderes?

Pragmatisch prgrammatische Zeichen

Die neuen Wohnformen haben gezeigt, dass das Planen und Bauen von Wohnungen als sozialer Prozess zu verstehen ist. Damit wurde implizit eine substantielle Kritik vor allem am System des ,,sozialen Wohnungsbaus“ formuliert. Mit der Verständnislosigkeit der Entscheidungsträger gegeniiber dem Planen, Bauen und Nutzen von Wohnungen, die sich besonders in Bauten ab Anfang der 70er Jahre zeigt, wurde die Krise so vieler Wohnsiedlungen begründet.

Hier haben die Wohnprojekte ganz pragmatische Zeichen gesetzt. Sie verdeutlichten den Wunsch, eine wie auch imrner aussehende ,,Verantwortungsgemeinschaft“ zu bilden, und sei es auch nur in kleinen, alltäglichen Dingen. Und sie demonstrieren seit Jahren, wie solche Lebensformen gestaltet werden können und welcher Voraussetzungen es bedarf: Vor allem sollten die kiinftigen Bewohner/innen von Anfang an mitplanen oder sogar selbst planen und bauen können – und zwar gründlich und nicht nur oberflächlich.

Beim Wohnen: zu viele Experten

Mit dieser Forderung haben dieWohnprojekte den Nerv all jener Experten und Expertinnen getroffen, die meinen, zu wissen, was fiir andere gut und richtig ist. Und es gibt beim Wohnungsbau viele Experten. Jede/r Architekt/in ist davon überzeugt, die Bedürfnisse der Menschen zu kennen. Er glaubt zu wissen, welcher Grundriss gut und welcher schlecht ist, welche Hauserschließung venünftig erscheint, welcher Freiraum geeignet ist und vor allem, ob die ,,Architektur“ gut ist. Es gibt Architekten und Architektinnen, die zum Beispiel meinen, der Mensch brauche heute nicht Struktur zur Selbstentfaltung, sondern ,,Form“, und allein die Architekten seien die Meister der Form.

  • Neben die Architekten/innen sind weitere die überzeugt sind, in ihrem Gebiet iiber die richtigenErkenntnisse zu verfiigen, z. B. die Spezialisten fiir das Wohnen Alterer und Behinderter oder fiir ökologisches Bauen und Wohnen.
  • Natiirlich glaubt jeder Wohnungsbauträger und jede Genossenschaft zu wissen, was „ihre Mieter“ oder Käufer wünschen. Die Untemehmen sehen sich in ihrer Einschätzung bestätigt, wenn sie die Wohnung vermieten oder verkaufen können.
  • Selbst Trendagenturen treten heute auf Fachtagungen der Wohnungswirtschaft auf und verkünden das Neuste vom Wohnen.
  • Sogar Befürworterinnen der Planungsbeteiligung werden zu Expertinnen. Aus feministischem Blickwinkel wird behauptet, vor allem Architektinnen seien „Expertinnen“, weil Frauen mehr vom Wohnen verstehen als Männer.
  • Auch die öffentliche Verwaltung, von der Bauleitplanung bis zur Wohnbauförderung und dem Wohnungsamt, ist sich sicher, mit Normensetzung, Standardisierung und Zuteilungsrichtlinien nur das Beste für die Menschen zu tun.
  • Ebenso äußern sich Politiker auf allen Ebenen der Politik dezidiert zum Wohnen.

Soziale Kompetenz gewinnen

Die heutige Orientierungslosigkeit bestärkt die Macht der Experten über die Bewohner. Viele Menschen suchen Halt und Bindung, und die Experten scheinen das zu bieten. Selbstbestimmung und Teilhabe an Entscheidungsprozessen setzt Kompetenz und Selbstbewusstsein voraus. Es ist heute, wo sich im Leben der Menschen so viel verändert, nicht leicht, sich auf Prozesse einzulassen, die – auch wenn ein bestimmtes Ergebnis erzielt werden soll – immer neue Fragen aufwerfen, für die es nicht immer eindeutige Antworten gibt. Die „Kunst“ des sozialen Prozesses besteht darin, zu lernen, dass unterschiedliche Meinungen nicht „auf den Punkt“ oder den „gemeinsamen Nenner“ gebracht werden müssen und dass die eigenen Bedürfnisse gar nicht so konstant sind, wie wir oft glauben. In der Beteiligung an der Planung von Wohnprojekten kann diese soziale Kompetenz erworben und entwickelt werden.

Voraussetzungen

Architektur als sozialer Prozess setzt voraus,

  • dass von seiten der Fachleute keine fertigen Konzepte vorgegeben werden,
  • dass keine unveränderbaren Bauformen „entworfen“ werden,
  • dass sich die Fachleute darauf beschränken, „nur“ eine Grundlage für den Dialog mit allen zu entwickeln. Wenn ein Architekt dazu keine Varianten vorlegt, ist Skepsis angebracht.

Planung besteht im Dialog. Dialog heisst: keine „einsamen“ Entscheidungen, keine demokratische Abstimmung, sondern gemeinsames Erarbeiten von Lösungen.

„Architektur“?

Viele Architekten meinen, in einem derart komplizierten sozialen Prozess, an dem so viele Menschen mit unterschiedlichen Meinungen beteiligt sind, könne keine „eindeutige“ Architektur entstehen, sondern nur ein Mischmasch. Die Verantwortung könne nicht vom Architekten auf eine Gruppe übertragen werden.

Es ist zutreffend, dass der Prozess umfassend und schwierig ist und viele Fachleute überfordert, weil sie ihre neue, und durchaus unverzichtbare Rolle noch nicht gefunden haben, obgleich sie eigentlich gar nicht so neu ist. Bei der Planung eines Einfamilienhauses findet ja auch ein sozialer Prozess zwischen Architekt und Bauherrn statt. Jetzt aber sind Bewohner „Bauherren“, die dieses Privileg bisher nicht hatten. Das irritiert.

Natürlich kann nicht behauptet werden, durch die Beteiligung der Bewohner entstehe notwendigerweise eine „bessere“ Architektur, also Häuser, die den Betrachter überraschen, verwirren, zur Auseinandersetzung anregen, die ein Experiment darstellen, die in die Zukunft weisen. Aber es gibt viele Wohnprojekte – auch in Hamburg -, bei denen sich in zahllosen baulichen Details der soziale Prozess widerspiegelt: sei es in der Anordnung der Wohnungen, den Grundrissen, der Farbgebung bis hin zum „Freiraum“. Deshalb haben Projekte, die in einem sozialen Prozess entstanden sind, eine Zukunft. Im übrigen findet der soziale Prozess nie ein Ende, weshalb auch das Haus niemals richtig fertig wird.

Dr. Joachim Brech ist Gesellschafter der WOHNBUND FRANKFURT GmbH und Vorstandsmitglied im WOHNBUND Bundesverband

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 5(1999), Hamburg