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Artikel Wohnprojekte Hamburg

„Bauen ist schön – macht aber viel Arbeit“*

Stattschule Altona-Altstadt

*** von Sven Liebrecht ***

Altona-Altstadt scheint eine magische Ecke für Wohnprojekte zu sein. Seit Ende der 80er Jahr dort das Selbsthilfe- Projekt entstand, sind in den Jahren danach Stück für Stücke weitere Projekte hinzugekommen. Im Alt- und im Neubau, als Genossenschafts- und als Syndikatsprojekt. Die Stattschule Altona ist eines der neuesten Projekte. Ein Projektbericht.

Die Nachricht schlug ein wie der Blitz: Asbest im Haus und zu schwache Fundamente. Damit hatte niemand mehr gerechnet – nach 5 Jahren Engagement mit 50 großen und 35 kleinen Menschen (also 425 Jahren Vorfreude) schien Alles in Frage gestellt zu sein. Wir befanden uns mitten in der Gründungsphase unserer kleinen Genossenschaft STATTSCHULE e.G. und hofften inständig darauf, dass jemand eine gute Idee hätte, wie die Asbestsanierung finanziert und das alte Schulgebäude mal kurz angehoben werden könnte, um neue Fundamente einzubauen.

Geplant war der Umbau der ältesten öffentlichen Schule Altonas für unser Wohnprojekt anstelle der Grundschule Chemnitzstraße, die gerade in ihre wegen Platzbedarf neu errichteten Gebäude umgezogen war.

Glücklicherweise hat der Statiker eine gute Lösung für die Fundamentverstärkung gefunden und auch die Asbestsanierung wird jetzt mit einer Förderung der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt finanziert. Die Fundamente waren im Übrigen in der 135-jährigen Geschichte der Schule nie zu schwach, sondern genügen lediglich den heutigen Bestimmungen nicht mehr.

Inzwischen freuen wir uns über den Baubeginn vor 3 Monaten und wissen, dass sich der Planungsaufwand gelohnt hat.

Bewerbung vor sieben Jahren

Ein Teil unserer Gruppe hatte bereits seit Mitte 2003 gemeinsam mit Christian Diesener von der Lawaetz-Stiftung und Joachim Reinig von Plan-R Projektideen für das Gelände der Bruno-Tesch-Schule entwickelt und sich um Grundstücke auf dem damals für Wohnungsbau zur Disposition stehenden Gelände beworben.

Im August 2005 schlossen sich 7 Gruppen mit Interesse an dem Gelände zu einer großen Gemeinschaft zusammen und nannten sich fortan STATTSCHULE.

Das ist nun eine Weile her – die ersten bei Projektbeginn noch ungeborenen Kinder haben inzwischen ihre Kinderladenzeiten hinter sich gelassen und besuchen die 3. Klasse der neuen Louise-Schröder-Schule, die statt der Wohnprojekte auf dem Gelände entstand. Uns wurde im Gegenzug das alte Gebäude der Schule in der Virchowstraße 80 als Ausweichmöglichkeit angeboten.

Im März 2006 gab es eine Senatsdrucksache mit dem Ziel das gesamte Schulgelände mit einer möglichen Bruttogeschoßfläche von 20.000 m2 für den Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Das alte Schulgebäude in der Virchowstraße mit etwa 4.400 m2 möglicher Bruttogeschoßfläche war schon in dieser Drucksache reserviert für ein Wohnprojekt. Eine erfreuliche Besonderheit lag darin, dass das Grundstück nicht nach dem Höchstgebotsverfahren veräußert werden sollte, sondern nach dem gelungensten Konzept für Familienfreundliches Wohnen. Weniger familienfreundlich erschien uns allerdings die extrem hohe Dichte, die laut Finanzbehörde erforderlich ist, um mit den Erlösen den Schulneubau zu finanzieren.

Im Grunde waren wir froh über die geänderten Pläne der Stadt, denn auch wenn die Gebäudestruktur der alten Schule einige Schwierigkeiten für die Umnutzung als Wohngebäude mit sich bringen würde, überzeugte ihr Charme uns sofort. Pläne für einen Abriss und Neubau schlugen wir in den Wind – ohne zu wissen, ob uns die wirtschaftlichen und energetischen Schwierigkeiten nicht vielleicht eines Tages über den Kopf wachsen würden. Obwohl das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt wird, wäre erstaunlicherweise laut Senatsdrucksache ein Abriß zulässig gewesen, wenn der Umbau uns wirtschaftlich überfordert hätte.

Mit Vertretern der Stadt war die baldige Anhandgabe im Gespräch und wir freuten uns über eine so glückliche Wendung.

Schneller höher weiter – Architekturolympiade für Schule

Im Geiste knallten schon die Korken des Richtfests als uns im Mai 2006 die Wirklichkeit der Architekturolympiade mit angehängter Wohnungsbauoffensive einholte. „Unsere Schule“ sollte nun also an einer Olympiade teilnehmen. Die Architekturolympiade war ein internationaler Ideenwettbewerb mit 10 Wettbewerbsstandorten in Hamburg – eine Umsetzung war explizit nicht geplant.

Als im Januar 2007 das Ergebnis bekannt gegeben wurde, stellte sich heraus, dass der erste Preis (APB-Architekten) nun doch umgesetzt werden sollte – im Rahmen der 2. Wohnungsbauoffensive, die im August 2008 dann unterzeichnet wurde.

Die Korken sollten damit leider noch gut 2 Jahre länger in den Flaschen bleiben.

Das Grundstück wurde nun europaweit für Investoren ausgeschrieben mit der Vorgabe familienfreundlichen Wohnens im Mietwohnungsbau und Eigentum – das alte Schulgebäude in der Virchowstraße wurde dabei weiterhin ausgeklammert und die Anhandgabe an das Projekt Stattschule angekündigt.

Entscheidungen über Planung und Organisation

Seit dem Frühjahr 2007 wurde die Gruppe vom Planerkollektiv unterstützt, insbesondere Wolfram Tietz und Sanny Henk. In ihren Entwürfen gingen sie detailliert auf die individuellen Bedürfnisse ein und konnten erstaunlich viel von dem umsetzen, was wir mit Hilfe eines detaillierten Raumprogramms als Wünsche der Gruppe formuliert haben. Eine Besonderheit liegt in der Mischform von 30 genossenschaftlichen Wohnungen mit 5 Wohnungen im individuellen Eigentum. Die 5 Wohnungen im Eigentum entstanden aus der Notwendigkeit eine Lösung für die seit Jahren engagierten StattschülerInnen zu finden, deren Einkommen zu hoch für eine Förderung der WK im Rahmen der Genossenschaft ist. Als Alternative wurde das Dauerwohnrecht diskutiert, aber aufgrund des Denkmalschutzes mögliche steuerliche Vorteile im Eigentum wären dann nicht entstanden. In der Verwaltung dieses Konstruktes wird uns die Verwaltungsgesellschaft P99 unterstützen.

Abhängigkeit von den Nachbareigentümern

Durch unsere Unabhängigkeit vom übrigen Geschehen auf dem Gelände hätten wir eigentlich gleich loslegen können – auch schon parallel zur Architekturolympiade – wäre da nicht das formale Problem der nicht vorhandenen Realteilung des Grundstückes gewesen. Unser von der Lawaetz-Stiftung und der Agentur für Baugemeinschaften tatkräftig unterstütztes Ziel war die Herauslösung eines Grundstücksteiles aus dem Gesamtareal, um auch formal diese Unabhängigkeit zu erreichen. Es gab mehrere Versuche, die zuständigen Stellen der Stadt davon zu überzeugen, die leider alle scheiterten.

Optimale Ausnutzung des Gebäudes

Wir entschieden uns zur Nutzung aller in Frage kommenden Flächen, da das alte Schulgebäude durch sehr große Treppenhäuser und schwierige Erschließung ein besonders unwirtschaftliches Ausbauverhältnis hat. Um dieses Verhältnis wirtschaftlich aufzubessern, sahen wir uns auch zur Aufstockung um zwei zurückgestaffelte Geschosse gezwungen, was zu einer langen Abstimmungsphase mit der Bezirksverwaltung und lokalpolitischen Gremien führte. Die Stadtplanung Altona unterstützte unseren Entwurf sehr und so überzeugten wir auch den Bauausschuss und das Denkmalschutzamt – einige Änderungen der bereits fertiggestellten Planung waren dafür allerdings notwendig.

Die unterschiedlichen Interessen innerhalb von Politik und Verwaltung auf Stadt- und Bezirksebene waren neben Bauthemen und Gruppendynamik unsere größte Herausforderung. Es ging für uns darum, die Abhängigkeiten und Ursachen für bestimmte Haltungen erst einmal zu verstehen. Beschlüsse einer Senatsdrucksache beispielsweise werden nicht unbedingt auch auf Bezirksebene willkommen geheißen. Sich frühzeitig mit den Strukturen der städtischen Politik und Verwaltung auseinander zu setzen wäre auch einer der wesentlichen Hinweise, den wir neu entstehenden Wohnprojektgruppen mit auf den Weg geben können.

Ideale Gruppengröße?

Ein weiterer Hinweis betrifft die Gruppengröße, die in unserem Fall mit 85 Menschen in 35 Wohnungen vielen Gesprächspartnern erst einmal sehr groß erscheint. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass diese Größe dem Einzelnen deutlich die Grenzen der Durchsetzbarkeit von individuellen Interessen gegenüber der Gemeinschaft verständlich macht – mit positiver Wirkung auf den Verlauf von Diskussionen.

Obwohl Richtfest für unser Projekt und 500-Jahr-Feier (der Freude) zusammenfallen werden, möchte ich betonen, dass wir uns trotz und vielleicht auch aufgrund der vielen Arbeit sehr über das Zustandekommen des Projektes freuen und all den vielen UnterstützerInnen danken.

*Frei nach Karl Valentin: „Kunst ist schön – macht aber viel Arbeit“

Sven Liebrecht ist Architekt und Gründungsmitglied des Wohnprojekts Stattschule.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 17(2010), Hamburg