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Beteiligungsverfahren in Hamburg

Ist eine Aufwertung der Beteiligungsprozesse möglich?

*** von Joachim Reinig ***

Beteiligungsverfahren in der Stadtplanung finden in Hamburg häufig statt. Über die Qualität der Beteiligung gibt es allerdings unterschiedliche Auffassungen.

Was sind schon Städte, gebaut
Ohne die Weisheit des Volkes?
(Bertholt Brecht)

Die von den Hamburgern abgelehnte Olympia-Bewerbung 2015 machte die Politiker nachdenklich: Wurden die Hamburger nicht genug in die Vorbereitung einbezogen? Warum konnte der Senat seine Ziele nicht deutlicher machen? Oder haben informierte Bürger berechtigterweise Schaden von der Stadt abgewendet?

BÜRGERINNENBETEILIGUNG – EINE ALTE GESCHICHTE

1969, also nunmehr vor inzwischen 50 Jahren hat die Politik-Wissenschaftlerin Sherry Arnstein ein 8-Stufenmodell der Partizipation entwickelt. Sie unterscheidet dabei in zunehmender Intensität zwischen

  • Instrumentalisierung und Überredungen als Nicht-Partizipation
  • Information, Anhörung sowie Einbeziehung als Scheinbeteiligung und
  • Mitbestimmung, teilweiser Entscheidungskompetenz und (Mit-)Entscheidungsmacht als Partizipation.
Sherry Arnstein: Ladder of citizen partizipation

Moderne Stadtideen und eine echte Beteiligung der Bürgerinnen waren damals ein brisantes Thema. So hatte auch der französische Soziologe und Philosoph Henri Lefebvre im Jahr zuvor in seinem Werk „Das Recht auf Stadt“ Mitbestimmug eingefordert.

Die in den 60er- und 70er Jahren entstandenen Konfliktlinien sind indes noch immer virulent. Das gilt besonders für stark wachsende Städte wie Hamburg, in denen nicht nur zwischen Wohnungsneubau und Grünanlagen entschieden werden muss.

Seit 2012 setzt die Stadtentwicklungsbehörde dabei auf die eigens geschaffene Institution Stadtwerkstatt sowie auf verschiedene Instrumente des Bürgerdialogs als „Plattform für Planungsinteressierte“. Das ist schon ein anderer Anspruch, als z. B. ein mobilisierender Bürgerdialog auch derer, die von Planung nur betroffen sind, aber sich aus den unterschiedlichsten Gründen erstmal nicht äußern. Es soll in dem unter dem als Stadtwerksatt organisierten Gesprächsformat auch nicht darum gehen, grundsätzliche Fragen zu stellen oder gar Alternativen zu den Vorschlägen der Behörden zu entwickeln. Außerdem legt Hamburg Wert darauf, dass die Entscheidungen in den politischen Gremien und der Verwaltung bleiben, die die Gesamtinteressen der Stadt vertreten und demokratisch legitimiert sind.

„Eine neue Planungskultur entsteht nur dann, wenn möglichst viele mitmachen. Die Ziele der Stadtwerkstatt sind daher mehr Information, mehr Transparenz, mehr Mitwirkung, mehr Akzeptanz und bessere Ergebnisse für Planungsprojekte. Die Stadtwerkstatt bildet das Dach für informelle Bürgerbeteiligung bei Hamburger Planungsprojekten. Diese Verfahren dienen der Unterstützung der Meinungs- und Entscheidungsfindung in Politik und Verwaltung. Sie stehen nicht in Konkurrenz zu den demokratisch verfassten Institutionen und gewählten Gremien, sondern können diese nur ergänzen. Im Rahmen der Stadtwerkstatt können Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam mit Planern und Vertretern der Stadt Lösungsansätze für aktuelle Probleme und Herausforderungen Hamburgs entwickeln“.

Was ist die Stadtwerkstatt?” Homepage BSW, abgerufen 2Ö.O_I9t?

In den Beteiligungsverfahren geht es also in erster Linie darum, Bürger zu informieren, wenn die Planungen vorliegen, Protestpotentiale zu erkennen und einzubinden sowie die Umsetzung konfliktfreier zu gestalten. Meist finden die Veranstaltungen anhand von Rahmenplänen oder Testentwürfen statt, die Ziele sind dabei schon im Vorwege abgesteckt. Eine Diskussion um die „Phase 0“ wie sie der Baukulturbericht 2014/2015 forderte, ist deshalb nicht vorgesehen. In der Phase 0 geht es um die grundsätzlichen Ziele der Stadtentwicklung – bevor die Architekten anfangen zu zeichnen.

Die „Stadtwerkstätten“ sind deshalb, entgegen der Bezeichnung „Werkstatt“, alles andere als Workshops zur Ideenfindung. Ihre Aufgabe ist vielmehr Senatspolitik zu vermitteln. Letztlich handelt es sich bisher also um eine Einbahnstraße: ein „top-down“-Prozess.

2019 – ENDLICH MEHR BETEILIGUNG DURCH DIGITALISIERUNG?

Seit zwei Jahren nun entwickelte die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen mit dem Projekt DIPAS ein weiteres Partizipationsinstrument. Der Einsatz digitaler Technik soll den zu beteiligenden Bürgerinnen die notwendigen Kenntnisse vermitteln, damit sie von gleich zu gleich mit den Expertinnen diskutieren können.

„Das Kernziel des Projektes DIPAS (Digitales Partizipationssystem) ist es, […] ein integriertes, medienbruchfreies digitales System zur Bürgerbeteiligung zu entwickeln. Durch den Einsatz digitaler Datentische, sogenannter Multi-Touch-Tables, soll das ganze Potenzial von Geodaten, digitalen Modellen und Simulationen künftig nicht nur online, sondern auch vor Ort z. B. in Bürgerveranstaltungen nutzbar gemacht werden. Die Aufbereitung komplexer Materie in einer nutzerfreundlichen Darstellung soll einen Austausch auf Augenhöhe zwischen Laien und Fachleuten befördern und so eine qualitative Verbesserung von Planungsdiskussionen ermöglichen.“

DIPAS – Digitales Partizipationssystem

Projektpartner sind die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, das Amt für Landesplanung und Stadtentwicklung, die Stabstelle Stadtwerkstatt, der Landesbetrieb für Geoinformation und Vermessung sowie die HafenCity Universität Hamburg. Die Projektlaufzeit ist bis 2020.

Das DIPAS soll allerdings nicht nur als Hilfsmittel für Präsentationen in öffentlichen Veranstaltungen verwendet werden. Vielmehr soll es so ausgestaltet werden, dass auch die Anregungen und Einwendungen der Bürger digital analysiert und ausgewertet werden können. Mit anderen Worten: Künftig werden Kommentare, Einwände und Vorschläge nicht einmal mehr von Menschen gelesen: Die Verwaltung schlägt zurück!

Wie die neuen digitalen Instrumente in den Verfahren der Bürgerlnnenbeteiligung tatsächlich wirken hat die Sozialwissenschaftlerin Elisa Antonie Casper in ihrer Masterarbeit an der Universität Stuttgart untersucht. In einer Analyse der ersten Erfahrungen beim Einsatz der digitalen Datentische kommt sie zu dem Ergebnis: „Die Relevanz für Bürgerbeteiligung liegt aus Sicht der Befragten […] nicht auf dem Werkzeug, sondern auf viel grundlegenderen Faktoren. Den Bürgern sind vor allem die Verfahrensgerechtigkeit, ein transparenter Prozess und Umgang mit den Beteiligungsergebnissen und die soziale Einbettung bzw. der Kontext der Partizipation wichtig.“ 1)

DIGITALE TECHNIK IST KEIN ALLHEILMITTEL

Viele Beteiligungs- und Dialogverfahren kranken auch daran, dass sich besonders geübte Mitbürger verbal sehr viel besser äußern können als andere Stadtbürger.

Bettina Walther, eine Soziologin aus Berlin, schreibt zu ihren Partizipationserfahrungen: „Wer schon einmal eine klassische Bürgerwerkstatt besucht hat, der weiß, dass dabei vor allem die Interessen und das Wissen einer Gruppe vertreten ist: Vor allem beteiligt sich dort der gebildete, weiße, männliche Mittelstand im mittleren bis fortgeschrittenen Alter. in den Plenums-Veranstaltungen kommen zudem oft nur die Kommunikationsstärksten tatsächlich zu Wort. Die Interessen von Bürgerinnen mit Migrationshintergrund, Kindern und Jugendlichen, Frauen, Alleinerziehenden und Schichtarbeitenden sowie Personen mit niedrigem Bildung und Einkommensniveau kommen meist zu kurz.“ 2)

Um diese Gruppen zu beteiligen sind unterschiedliche, auch non-verbale Methoden erforderlich und gezielte, auch spielerische und altersspezifische Formen der Ansprache. Hier helfen technische Lösungen nicht weiter.

Echte Partizipation gibt es auch in Hamburg. So wurde der Neubau der Geschwister-Scholl-Schule im Osdorfer Born auf Initiative u.a. des Klick Kindermuseums partizipativ vorbereitet. In einem moderierten Prozess entwickelte ein Team aus einem Architekten und einem Schulentwickler gemeinsam mit Schule, Schulträger und weiteren Beteiligten welche Anforderungen der Standort hat und was ein späterer Bau leisten muss. Diese erste Planungsphase des Schulneubaus, die „Phase Null“, wurde durch eine Unterstützung der Montag Stiftung „jugend und Gesellschaft“ ermöglicht. Dabei ist die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Planung in Hamburg sogar gesetzlich vorgeschrieben: „Das Bezirksamt muss bei Planungen und Vorhaben, die die Interessen von Kindern und jugendlichen berühren, diese in angemessener Weise beteiligen. Hierzu entwickelt das Bezirksamt geeignete Verfahren.“

Ein anderes Beispiel für bottom-up-Planungen ist die „Planbude“, die für die Neuplanung des Areals der ehemaligen Esso-Häuser an der Reeperbahn aus dem Stadtteil heraus einen „St.Pauli-Code“ der Nutzungsmischung entwickelt hat.

Auf einer Diskussionsveranstaltung der Patriotischen Gesellschaft im April 2019 zur Bürgerbeteiligung im Quartier wird eine „aufsuchende Bürgerbeteiligung“ angeregt und die Einrichtung von Stadtteilbeiräten. Der Stadtplaner Reinhard Buff resümierte:

„Bürgerbeteiligung ist unverzichtbar und sollte ausgeweitet und aufgewertet werden. Das erfordert gegenseitiges Vertrauen, Spielregeln und die klare Kommunikation vorhandener Spielräume. Die Menschen im Quartier haben die beste Expertise. Ihre Kompetenz muss für die Entscheidungsprozesse zur Quartiersgestaltung genutzt werden. Erfolgreiche Bürgerbeteiligung bedarf der Evaluierung, Erfolgskontrolle und öffentlichen Diskussion. Das Instrument des Stadtteilbeirates als kontinuierliche Anlaufstelle für alle Bürgerinnen und Bürger sollte viel stärker in den Fokus genommen werden.“

„Der Bienenkorb“, Juni 2019

BÜRGERBETEILIGUNG HEISST MITENTSCHEIDUNG DER BÜRGERINNEN

In der Bürgerbeteiligung geht es um nichts Geringeres als unser Bild von der Stadt der Zukunft. Politik und Verwaltung haben es in den letzten Jahrzehnten nicht geschafft, wesentliche Reformen voranzubringen: Sei es Umweltschutz und saubere Luft, öffentliche Verkehrsmittel, Fahrradwege, kinderfreundliche Stadt oder auch die Stadt der vielfältigen Kulturen. Völlig versagt die Politik im Bereich der Steuerung von Wohnkosten. (War Hamburg nicht einmal Pionier bei Baugemeinschaften?)

Das wirksamste instrument von Bürgerbeteiligung ist in der Praxis nach wie vor das Bürgerbegehren. Häufig wird erst dann auf Augenhöhe verhandelt, wenn es darum geht, Volksentscheide zu vermeiden – oft mit guten Ergebnissen.

Damit Bürgerbeteiligung für die Menschen selbst spürbar wird und bessere Vorschläge für das Zusammenleben in der Stadt entstehen, bedarf es demnach einer breiteren Beteiligung und neuer Formen der Begegnung und Auseinandersetzung zwischen Expertinnen und Bewohnerinnen sowie einer politischen Entscheidungsfindung, die auf deren Wissen Wert legt. Digitale Techniken mögen sinnvoll sein, aber sie können eine solche Kultur des nicht ersetzen.

1) Die Karten auf den Tisch legen, Einflüsse des digitalen Partizipationssystems (DIPAS) auf das Planungsverständnis von Bürgerinnen und Bürgern – ein Praxistest in Hamburg, Masterarbeit 2019
2) Soziale Selektivität in der Bürgerbeteiligung, veröffentlicht am 31. Juli 2017, Berlin. Institut für Partizipation, www.bipar.de/soziale-selektivitaet-in-der-buergerbeteiligung/ §33 des Bezirksverwaltungsgesetz vom 6. Juli 2006

Joachim Reinig hat Mieter helfen Mietern und STATTBAU Hamburg mitbegründet und plant als Architekt Wohnprojekte.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 24(2019), Hamburg