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Architektur/Planungskultur Literaturhinweis

Buchtipp

*** von Arne Dührsen ***

Jesko Fezer/ Mathias Heyden (Hg.): Hier entsteht – Strategien partizipativer Architektur und räumlicher Aneignung.

Verlag: b_books. Berlin 2007. ISBN: 3-933557-53-4 erschienen in der Reihe ‚metroZones‘, 2004, 256 S., 14 Euro

Das Buch ist das Ergebnis des Berliner Bauexperiments, bei dem eine Gruppe von Architekturstudenten zwei Semester lang mit ihren Dozenten, die auch Herausgeber dieses Buches sind, partizipativen Bauen nachgegangen sind. Die Themen wurden auf der Ausstellung „Hier entsteht“, die im Jahre 2003 14 Tage lang auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin stattfand, vorgestellt und diskutiert.

Ähnlich wie das Konzept, das die Herausgeber hier vorstellen, ist auch ihr Buch entstanden: durch eine Vielzahl von Elementen und vor allem Akteuren.

Zunächst stellen Fezer und Heyden kurz vor, was sie unter partizipativen Bauen verstehen und legen hierbei besonderen Wert auf seine Geschichte und Theorie. Der Leser wird zu Anfang durch eine Anekdote abgeholt, die anschaulich vor Augen führt, was die Autoren unter Selbst- und Mitbestimmung beim Bauen verstehen. Entscheidend ist, dass Partizipation immer nur „Beteiligung und Mitbestimmung an etwas Vorgegebenen“ sein kann und hierdurch seinen Rahmen bekommt. Diese Definition zieht sich mit ihren Konsequenzen dann fortgehend durch das Buch.

Partizipation gegen Vereinzelung und Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit!

HIER ENTSTEHT präsentiert Theorien und Bauten der Aneignung von Räumen und Prozessen und von NutzerInnenbeteiligung. Anhand von Interviews, kommentierenden Materialien und einer Sammlung von Beispielen realisierter Projekte partizipativer Architektur der Sechziger- bis Achtzigerjahre zeigt das Buch Perspektiven für eine andere Planung und Praxis auf. Der Blick richtet sich sowohl auf informelle Siedlungsformen in den Metropolen des Südens, geht zurück in die politisch-architektonische Geschichte selbstbestimmten Wohnens, stellt Aktivisten von gemeinschaftlichen Wohnformen in Wien ( Sargfabrik) und Berlin vor und weist auf aktuelle Praktiken der Raumaneignung hin.

Sich von den Fesseln althergebrachter Architektur lösen!

Stets merkt man dem Text von Fezer und Heyden an, dass es ihnen nicht allein um die Darstellung oben aufgeführter Punkte und Themen geht, sondern dass diese Wirken mögen. Auch die Interviews, der Hauptteil des Buches, die im Projekt ,Hier entsteht’ geführt und anschließend zu einem Fließtext formatiert wurden, haben oft einen latenten Aufruf an die Leserschaft ihre bisherigen Praktiken und Annahmen bezüglich Bauen, Planen, Wohnen und Wohnung zumindest zu überdenken.

An diesem Punkt wird auch deutlich, an wen das Buch in erster Linie geschrieben zu sein scheint: Architekten. Schon der überwiegende Teil der Interviewten gehört dieser Berufsgruppe an und auch die Herausgeber lehren und publizieren größtenteils auf diesem Gebiet.

Begründet werden kann dies mit oben stehender Definition, nach der Partizipation durch Vorhandenes begrenzt wird. Dazu gehören auch das ideelle Substrat und die Erfahrungen der ArchitektInnen. Wenn sie sich nicht von ihren vorhandenen Denkweisen lösen können, kann partizipative Architektur nicht entstehen.

Den traditionell arbeitenden ArchitektInnen wird hier vorgeworfen, dass sie grundsätzliche Annahmen hätten und standardisiert handeln würden, und überdies hinaus mit ihren Bauten Denkmäler schaffen wollten, was sämtlich partizipativer Architektur gegenüber steht.

Die hier Interviewten stellen Projekte vor oder sprechen über das Thema befassende Theorien: über räumliche Aneignung, Planungskritik, Potentiale industriellen Bauens, Selbstbau, gemeinschaftliche Projekte oder `andere´ Architektenrollen.

Die AutorInnen stellen Beispiele vor, die interessante Anstöße für einen neuen Umgang mit Bauplanung, Häusern oder Betrachtung von Stadt geben. Durch die Textform, die sich eng an die Interviews hält, lässt sich das Buch lebendig und leicht lesen; die Extravaganz vieler beschriebener Sachverhalte tun ihr übriges.

Obgleich die Beispiele für ArchitektInnen besonders interessant sind, können auch andere LeserInnen anhand des Buches über Einbeziehung und Aneignung von Planungs- und Bauprozessen durch NutzerInnen einen aktuellen Einblick erhalten. Die Bespiele decken Defizite und Handlungsbedarfe auf. Die LeserInnen gewinnen einen Überblick darüber, was im Bereichen des Planen Bauens und Wohnens möglich wäre.

Arne Dührsen entdeckte während seines Studiums der Geografie die spannenden Seiten der Stadt und während seines Praktikums bei Stattbau die Vielfalt der Wohnformen.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 15(2008), Hamburg