Hamburgs Wohnstifte sind in die Jahre gekommen. Was ist zu tun?
*** von Mechthild Kränzlin und Ulrike Petersen ***
Februar 2014. Bezirksamt Hamburg-Nord. Saal und Tribüne randvoll, Altersdurchschnitt des Publikums 55plus, wenn nicht noch höher… Die Stimmung aufgeladen! Auf Initiative der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen findet eine öffentliche Anhörung zur Situation der Wohnstifte statt.
Anwesend: Stiftungsvorstände, ein Vertreter der Justizbehörde als Rechtsaufsicht der Stiftungen, der Mieterverein zu Hamburg, Bezirkspolitiker aller Fraktionen, jede Menge Bürgerinnen und Bürger und wir, die Autorinnen dieses Artikels. Sinn und Zweck der Anhörung „Die Bezirksversammlung möchte sich (…) ein Bild von der Situation der Stifte machen. Ziel ist, rechtzeitig von etwaigen Problemen zu erfahren, damit notfalls dazu beigetragen werden kann, die Stifte weiter an den angestammten Orten zu halten.“ 1) Hintergrund: Schon 2012 wurde bekannt, dass zwei Stiftungen planten 2), ihren Besitz aufzugeben… echte Sahnestücke, gute Gelegenheit für potente Investoren! 3)
1) „In Hamburg-Nord leisten Wohnstifte einen wichtigen, in manchen Stadtteilen wesentlichen Beitrag zur Bereitstellung günstigen Wohnraums.(…) Die Umstände der geplanten
Verlagerung von Soltow-Heimann-Stift haben aber gezeigt, dass nicht mehr alle Stiftungen wirtschaftlich gut aufgestellt sind. Hinzu kommt, dass Stiftungen, besonders in den
innenstadtnahen Stadtteilen (…) auf Grundstücken angesiedelt sind, die bei einem Verkauf hohe Preise erzielen könnten. Aus stadtentwicklungspolitischer Sicht ist eine
Verlagerung jedoch nicht wünschenswert.“ Interfraktioneller Antrag, Bezirksamt Hamburg-Nord, Bezirksversammlung, Drucksache XX-3460 vom 5.11.2013
2) „Idylle in Gefahr! (…) Zwei Vorstände von Altenstiften in Hoheluft-Ost beabsichtigen die Grundstücke, auf dem sich die Stiftsgebäude befinden, an die Stadt, die in beiden
Fällen Eigentümer ist, zurückzugeben, weil sie sich nicht mehr in der Lage sehen, notwendige Sanierungen durchzuführen. Die Bewohnerinnen und Bewohner sollen in neue
Stiftsgebäude am Grandweg in Lokstedt umgesiedelt werden. Die meisten sind mit diesen Pläne aber nicht einverstanden. Sie wollen lieber in der gewohnten Umgebung bleiben.“ Hamburger Wochenblatt, 9.10.2013, Quelle: http://www.hamburger-wochenblatt.de/eppendorf/lokales/idylle-in-gefahr-d12960.html
3) Die Kommission für Bodenordnung hat am 7.Februar 2013 bis Juli 2014 die Anhandgabe des Senator Erich Soltow Stifts an einen Investor beschlossen. Quelle: Niederschrift über die Sitzung der Senatskommission für Große und Kleine Anfragen (TOP10) vom 20.6.2014, Drucksache Nr. 2014/1330 aufgrund der Schriftlichen Anfrage 20/12105 der Abgeordneten Sudmann, Die Linke.
HAMBURGS PERLEN SIND IN DIE JAHRE GEKOMMEN
Die Anhörung förderte zutage, in welche missliche Lage manche Hamburger Wohnstifte im Laufe der Zeit geraten sind: Stiftungen, die nicht gewinnorientiert, häufig ehrenamtlich tätig und laut Satzung verpflichtet sind, günstigen Wohnraum an bedürftige Menschen zu vermieten, fehlen die Mittel, um die zum Teil unter Denkmalschutz stehende Bausubstanz zu sanieren. Energetischer Substandard, mangelnde Barrierefreiheit und unattraktive Wohnungsgrundrisse sind die Folge. „Die Ausgangssituation ist bei jedem Stift anders, dies betrifft zum Beispiel die Eigentumsverhältnisse auf den jeweiligen Grundstücken, das Alter der Gebäude, die Anzahl der Wohnungen, die Art der Geschäftsführung. Es ist auch nicht bei allen Stiftungen bekannt, wer die Vorstände sind und was in den Satzungen steht. Dies trägt zur Verunsicherung bei.“ 4) Verunsicherung, Intransparenz, Verkaufsabsichten… angesichts der attraktiven Lagen vieler Wohnstifte – und dies nicht nur in Eppendorf – wachsen Begehrlichkeiten auf Seiten von Investoren, die nicht unbedingt sozialen Wohnungsbau verfolgen… Was ist zu tun?
4) Antrag der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN: Stützung und Erhalt der Wohnstifte in Hamburg-Nord. Drucksache XX 3898 vom 12.2.2014
STIFTUNGEN VON GESTERN FÜR MORGEN STÄRKEN
Wohnstiftungen sind einmalig – ein sichtbarer Schatz in der Hamburger Wohnlandschaft. Sie haben Geschichte: ihr Dasein ist schon für das späte Mittelalter nachgewiesen. In Hamburg erlebten sie einen regelrechten Bauboom im 19. Jahrhundert. Hier wurde gerne in Kooperation zwischen Stadt und privaten Förderern – Einzelpersonen oder gemeinschaftliche Wohlfahrtseinrichtungen – gebaut, um Wohnraum für benachteiligte Menschen zu schaffen. 5)
5) Die Broschüre „Vom Hamburger Wohnstift zum sozialwirtschaftlichen Unternehmen. Alida Schmidt-Stiftung 1874– 2014“, herausgegeben von der Alida Schmidt-Stiftung 2014,
dokumentiert die wechselvolle Geschichte einer Hamburger Stiftung.
Die frühen Ethik-Anleger kamen in der Regel aus erfolgreichen Hamburger Kaufmannsfamilien – Reiche mit sozialem Gewissen und politischem Einfluss. Sie haben sich mit den Stiftungsbauten ein Denkmal gesetzt und gleichzeitig viel für so genannte randständige Menschen getan. Die Stiftungszwecke spiegeln die religiösen, ethischen und sozialen Haltungen der Stifterinnen und Stifter wider. Ihnen war z.B. wichtig: Betreuung und Pflege gebrechlicher oder sonst hilfebedürftiger Menschen. Gewährung von verbilligten Mietwohnungen für bestimmte Personengruppen z. B. Seefahrerwitwen und Waisen, unversorgte Frauen, ehemalige Hausangestellte oder Arbeiter eines bestimmten Betriebs, deren Angehörige und Hinterbliebene, junge Mütter mit Kindern, Lehrlinge in Ausbildung, Unterstützung von mittellosen alten Personen, deren Beratung und Betreuung (gerne Frauen evangelischen Glaubens). Immer ging es um Menschen, die Zugangsschwierigkeiten zum Wohnungsmarkt und/oder Unterstützungsbedarf hatten. Ihnen wurden bescheidene, aber solide und bezahlbare Wohnungen zur Verfügung gestellt, oft auch psycho-soziale Unterstützung angeboten.
Die Stadtväter unterstützten das soziale Engagement ihrer reichen Bürger, indem sie Bauland günstig oder gar kostenlos zur Verfügung stellten. Wir finden: ein recht weitsichtiges und nachhaltiges Kooperationsmodell für benachteiligte Bürger einer Stadt. Bedauerlicherweise haben etliche Wohnstiftungen Kriege und Wirt schafts krisen nicht überlebt – trotzdem gibt es noch etwa 100 in Hamburg.
In Hamburg wächst die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum für weite Teile der Bevölkerung. Angesichts des demographischen Wandels besonders für die ältere Generation, die Alleinlebenden, die so genannten Kleinrentner, für die ein Altwerden im angestammten Quartier hohe Wohn- und Lebensqualität bedeuten.
Wohnstifte mit preisgünstigen, kleinen Wohneinheiten mitten in Hamburgs Stadtteilen bieten hervorragende Chancen, diesen Bedarfen Rechnung zu tragen, vorausgesetzt, ihre Gebäude und Konzepte von gestern werden an die heutigen Bedingungen angepasst. Zwei aktuelle Mut machende Beispiele:
NEUES LEBEN IN ALTEN MAUERN:
DAS PAULINE-MARIANNEN STIFT
Für einen symbolischen Pachtzins stellt die Stadt Hamburg im Jahr 1873 der Amalie Sieveking-Stiftung in St. Georg ein Grundstück zur Verfügung. Einzige Bedingung: das Grundstück soll „nur zur Erbauung von Armenwohnungen dienen“. 6) Gemeinsam mit der alt eingesessenen Kaufmannsfamilie Ruperti ließ man dort im gleichen Jahr das Pauline Mariannen-Stift errichten – ein heute noch ansehnlicher Backsteinbau mit zunächst 23 kleinen Wohnungen, die „gegen geringe Miethe an Familien, Wittwen mit ein paar Kindern und alte Frauen“ 7) gegeben wurden. Für damalige Verhältnisse war alles solide und modern. Trotz verschiedener Erweiterungen und Maßnahmen zur Instandhaltung stand im Jahr 2005 eine grundlegende Sanierung an – eine schwierige Sache, da wegen der gebundenen und geringen Mieten keine Rücklagen zu erwirtschaften waren. Der Stiftungsvorstand besann sich auf seine Wurzeln und auf seine besondere soziale Verantwortung. Man schaute sich moderne sozialräumliche Konzepte an und prüfte aktuelle Bedarfslagen und Fördermöglichkeiten. Das Konzept für ein nachbarschaftliches Wohnprojekt entstand: gegen Vereinsamung und Vereinzelung wirken, Eigenverantwortung und –kompetenz stärken, Mitwirkungsmöglichkeiten schaffen, Solidarität und Engagement fördern… Dies sind die inhaltlichen Ziele (www.sieveking-stiftung.de).
6) und 7) Das Buch „Alt genug für neue Wege – 175 Jahre Amalie Sieveking-Stiftung“ wurde von Michael Joho anlässlich des Jubiläums der Stiftung herausgegeben. Der Historiker arbeitet mit vielen Originaltexten und Bildern. Er stellt Verbindungen zu gesellschaftlichen Entwicklungen dar und kommt nur andeutungsweise zu Bewertungen. Die überlässt er den Lesenden. Erschienen im VSA Verlag Hamburg 2007; ISBN 978-3-89965-266-6. – Zitate Seite 72/73
Konkret wurde gebaut: acht barrierefreie Wohnungen für nachbarschaftliches Wohnen. Hier zogen Menschen ein, die einen Wohnberechtigungsschein (sog. § 5-Schein) haben und sich aktiv in ihre Nachbarschaft einbringen wollen. Eine der ersten ambulant organisierten Wohn- Pflegegemeinschaft für sieben Menschen mit Demenz entsteht im 2. OG. Damals gab es in Hamburg noch keine Erfahrungen, wie das neue Versorgungskonzept im Bestand umzusetzen sei. Hier wurde Pionierarbeit geleistet. Im Souterrain entstanden Büro- und Werkstatträume für lokale Ökonomie und Initiativen, unter dem Dach ein großzügiges Atelier (für das gegenwärtig ein Mieter gesucht wird). Alle gemeinsam nutzen den neu angelegten Garten mit dem alten Baumbestand.
In dem in Stiftungszusammenhängen beliebten Mix aus Initiative und Engagement eines Stiftungsvorstandes, öffentlicher Finanzierung der Sozialbehörde sowie privater Förderung (in diesem Fall des Stifterpaares Liselotte und Günter Powalla) gelang mehr, als nur der Erhalt des Pauline Mariannen-Stiftes. Übrigens: der Pachtzins wird immer noch erhoben.
NICHTS AN AKTUALITÄT VERLOREN:
DAS LEDIGENHEIM
Die Idee der Ledigenheime für Männer (auf das notwendigste reduzierte private Wohnungen, große Gemeinschaftsräume, soziale Betreuung) hat seit ihrer Entstehung vor über 100 Jahren nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil: Gesellschaftliche Realitäten wie Vereinzelung in Single-Haushalten, demographischer Wandel und Mangel an bezahlbarem innerstädtischem Wohnraum sind hochaktuell. Seit 1912 wohnten im Hamburger Ledigenheim in der Rehhoffstraße Seeleute, Saisonarbeiter und Monteure unter einem Dach. Immer wieder gab es Versuche das Wohnheim aufzulösen. Die zentrale Lage (Nähe Herrengraben) rief Investoren auf den Plan, als der Eigentümer das Haus 2009 in vernachlässigtem Zustand (baulich und sozial) verkaufte.
Zwei Menschen aus der Nachbarschaft stellten sich der Umwandlung in hochpreisige Eigentumswohnungen erfolgreich entgegen. Antje Block und Jade Jacobs überzeugten zunächst den dänischen Investor das alte Wohnkonzept beizubehalten – setzen es auch gleich um und starteten eine Initiative. Ihr erklärtes Ziel: Erhalt und historische Sanierung des Wohnheims als soziale und gemeinnützige Einrichtung in der Hamburger Neustadt für alleinstehende Menschen. Sie sollen im Ledigenheim auch in schwierigen Lebenslagen ein familiäres Zuhause finden (www.rehhoffstrasse.de).
Inzwischen stehen viele Menschen und Institutionen hinter dem Projekt und engagieren sich z.T. tatkräftig. Das Ledigenheim hat einflussreiche Fürsprecher in Politik und Stiftungslandschaft gewonnen. Bezirksamtsleiter Andy Grote setzt sich tatkräftig ein, Justizsenatorin Jana Schiedek hat kürzlich die Patenschaft übernommen. Alle zusammen sind auf einem guten Weg. Seit April 2013 werden erstmals wieder soziale Dienstleistungen für die Bewohner angeboten, die das Klima im Haus verbessern. Die Stiftung Ros wurde gegründet. Eine passende Wohnungs-Verwaltungsgesellschaft wurde gewonnen. Das Projekt erfährt viel öffentliche Aufmerksamkeit. Es scheint möglich, mit einer breit aufgestellten Spendenaktion, das Haus in absehbarer Zeit vom Investor zurückzukaufen.
SCHLUSS MIT DORNRÖSCHENSCHLAF:
MEHR TRANSPARENZ,
INNOVATION UND INVESTITIONEN
Gerne schmückt sich Hamburg mit dem Titel Stiftungshauptstadt – viele können etwas dafür tun, dass es auch für die Wohnstifte so bleibt:
- die Stadt, Stiftungsaufsicht, Denkmalschutzamt, Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz, Hamburgische Investitions- und Förderbank
- die operativen und fördernden Stiftungen, die Verantwortlichen in Geschäftsführungen und Vorständen, ihre Bewohnerinnen und Bewohner
- die heutigen Ethik-Anleger, Hamburgs reiche Bürger als Zustifter.
Sie sind gefragt, um für mehr Transparenz, Öffentlichkeit und Engagement zu sorgen. Schon die Datenlage ist dürftig – so jedenfalls das Ergebnis unserer Recherche. Wie viele Wohnstifte es gibt, wie viele Personen dort wohnen, wer die Vorstände sind … auf diese Fragen gibt es keine zufriedenstellenden Antworten. Da eine fachliche Aufsicht für Wohnstifte nicht vorgesehen ist, 8) können darüber hinaus weder (potentielle) Probleme oder Beratungsbedarfe (seitens der Bewohner bzw. der Stiftungs-verantwortlichen) erfasst, noch Innovationen oder Fördermöglichkeiten systematisch in Angriff genommen werden.
Angesichts des vermutlich vielschichtigen Handlungsdrucks zahlreicher Wohnstifte aber, braucht Hamburg in Zukunft einen Plan, eine Strategie: Gemeinsames Engagement der Stiftungen und öffentlicher Stellen ist gefordert, um im Interesse des Gemeinwohls die veralteten Gebäude zu sanieren, moderne Wohnformen zu entwickeln und preisgünstigen Wohnraum zu erhalten. Eine Investition, die sich lohnt, für die Stifter, die Stadt und die Stiftsbewohner.
8) „Die zuständige Behörde übt die Rechtsaufsicht, nicht jedoch die Fachaufsicht über die Stiftungen aus, weil eine Fachaufsichtskontrolle gesetzlich nicht vorgesehen ist.“
Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Heike Sudmann (DIE LINKE) vom 12.06.14 und Antwort des Senats, Drucksache 20/12105 vom 20.06.14.
Mechthild Kränzlin kennt die Arbeit der Wohnstiftungen aus zwei Perspektiven: der operativen sowie der fördernden. Als Vorsteherin und Geschäftsführerin der Amalie Sieveking-Stiftung trug sie 10 Jahre Verantwortung für die 1832 gegründete Wohnstiftung in St. Georg. Seit 2009 arbeitet sie im Vorstand der fördernden Homann-Stiftung. Dort setzt sie ihr Engagement für die Hamburger Wohnstiftungen fort.
Ulrike Petersen ist seit 2005 Mitarbeiterin der STATTBAU HAMBURG GmbH und dort in der Koordinationsstelle für Wohn-Pflege-Gemeinschaften für die Entwicklung innovativer Wohnformen für Menschen mit Assistenz- und Pflegebedarf zuständig. Hierzu zählt auch die konzeptionelle Beratung und Begleitung von Wohnstiften, die im Zuge von Sanierungs- bzw. Umbaumaßnahmen neue Wohnkonzepte realisieren wollen.
zuerst veröffentlicht: FreiHaus 20(2014), Hamburg