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Artikel Wohnprojekte für besondere Zielgruppen

MaxB – miteinander leben

Vom Gewinn, das Grillen zu verbieten

*** von Joachim Schwerdtfeger ***

Rund um das Grundstück der ehemaligen Disco Kir an der Max-Brauer-Allee in Hamburg-Altona sind vor zwei Jahren fast 100 Wohnungen als Eigentumswohnungen und als genossenschaftliche Mietwohnungen gebaut worden. Fast alle Häuser haben etwas Besonderes: die BewohnerInnen haben sich als gemeinschaftliche Wohnprojekte und Baugemeinschaften direkt an der Planung und Umsetzung beteiligt. In einem der Häuser sind die BewohnerInnen besonders glücklich über die neue Nachbarschaft.

Ich helfe bei der Food Coop mit“, erzählt Marcus Schwarz, „wenn der Bauer am Samstag die Sachen bringt, packe ich sie in den Kühlraum“. Der kräftige, handwerklich sehr geschickte Mann, hat auch schon eine Rampe für den Kühlraum gebaut, „damit man den Container reinschieben kann.“ Marcus Schwarz wohnt in einer Wohnung im Haus 7 des Projektes MaxB, die er selbst mit Hilfe vom Nussknacker e.V. gemietet hat. Er sitzt auf einem selbst gezimmerten hohen Stuhl, inmitten seiner vielen Bücher und Zeitschriften.

Früher hat Marcus Schwarz in einem Heim für psychisch Kranke gelebt. Hier, im Wohnprojekt Max-B. fühlt er sich wohler. Über die Food Coop hat er auch Kontakt zu den Bewohnern der anderen Häuser: „Die meisten sind sehr nett“, sagt er und lacht. Hilfsbereit wie er ist, geht er ab und zu für seinen Nachbarn aus dem Erdgeschoss, der im Rollstuhl sitzt, einkaufen. Wenn irgendwo in der Wohnanlage eine Lampe oder etwas anderes kaputt ist, wenden sich die Bewohner erst einmal an Marcus Schwarz. Meistens kann der Bastler den Schaden beheben.

Wohnen oder Arbeiten an der Max-Brauer-Allee?

Es war ein langer Weg, hat mehrere Jahre gemeinsamen Planens und Lernens gebraucht, bis die Bauarbeiten für die neun Häuser in der Max-Brauer-Allee beginnen konnten. Unser Ziel war der Zugang zu Wohnraum für psychisch kranke Menschen. Vor neun Jahren begann für uns, den Nussknacker e.V., die Mitarbeit an der Planung: gemeinsam mit den Bauherren der anderen Häuser gründeten wir eine GbR und gleich nach der Gründung mussten gewerbliche Bauherren aus der IT-Branche einen Rückzieher machen: Nach Nine/Eleven brauchten sie nicht mehr Büroraum. Wir lernten die staatlichen Stellen als äußerst kooperativ kennen – sie ermöglichten viele Umplanungen und genehmigten Abweichungen von ursprünglichen Bebauungsplänen.

Eine Architektin, zwei Baubetreuer und viele NutzerInnen

Die Umsetzung der vielen Wünsche, die Planung der vielen Häuser brauchte eine Zentrale, als die wir insbesondere die Architektin Iris Neitmann erlebten. Sie hatte über die ganze Zeit alles im Griff, unterstützt von den Baubetreuern – denn all wir anderen waren Laien und diese zu Konsensentscheidungen zu bringen und um das gemeinsame Bauen, Leben, Arbeiten und Freizeit auf viele gemeinsame Nenner zu bringen, waren viele Diskussionen und Abstimmungen nötig. Es ist gelungen: Im September 2007, der Garten war noch nicht angelegt, zogen die ersten Mieter ein, unter ihnen Marcus Schwarz.

Kooperation mit der Wohnungsbaugenossenschaft Schanze

Die Genossenschaft Schanze e.G. wurde Bauherrin für „unser“ Haus. In einem Vertrag wurde festgelegt, dass die Schanze e.G. jedem von uns betreuten Klienten, den wir für das Appartement-Haus mit 10 Wohnungen vorschlagen, einen Mietvertrag gibt. Eine Perspektive für 30 Jahre – eine besonders gute Perspektive, denn der Betreuungsvertrag und der Mietvertrag hängen nicht zusammen: Wer sich von uns nicht mehr betreuen lassen will, verliert seine Wohnung nicht. Der Nussknacker e.V. musste im Rahmen der Gesamtfinanzierung nur Genossenschaftsanteile für rund 100.000 Euro übernehmen.

Hans-Jürgen Döring wohnt ebenfalls in dem Appartement-Haus im Innenhof. In seiner Wohnküche mit der modernen Couchecke fühlt er sich ziemlich wohl: „Für eine Sozialwohnung ist es hier wunderschön.“ Er habe auch Kontakt zu den Nachbarn in den anderen Häusern: „Sylvester habe ich im Nachbarhaus gefeiert. Das war lustig“, erzählt Döring. Einmal im Monat kochen und essen die Bewohner gemeinsam, alle 14 Tage findet ein Haustreffen statt, auf dem Organisatorisches besprochen wird. Regelmäßig kommen die Betreuer von Nussknacker e.V. und helfen ihren Klienten zum Beispiel bei der Medikamenteneinnahme.

Nicht immer einfach

Das Zusammenleben hat natürlich auch Reibungen wie sie zwischen Nachbarn normal sind: Am Anfang hatten zwei Klienten die Treppenhaus-Reinigung in einem Nachbar-Haus übernommen: Die Auftraggeber waren mit den Ergebnissen nicht zufrieden und die Jobs wurden wieder gekündigt. Bis heute funktioniert dagegen die Urlaubsvertretung mit Blumengießen für eine Praxis im Vorderhaus an der Straße durch eine Klientin sehr gut.

Viele der im MaxB-wohnenden KlientInnen sind den Anforderungen einer täglichen Arbeit nicht gewachsen, brauchen aber Aufgaben und können diesen erfolgreich nachkommen, wenn die Anforderungen überschaubar sind.

Informationen

Nussknacker e.V. begleitet und betreut psychisch kranke Menschen ambulant im eigenen Wohnraum oder in betreuten Wohnformen. In einem 1/4-Stunden-Film wird auf amüsante Weise das Konzept dargestellt. Der Film ist auf der Website zu finden.

Die Nachbarn unterstützen die KlientInnen weit über ein erwartetes Maß: Eine Klientin schrie ihren seelischen Schmerz manchmal über mehrere Stunden am Tag vom Balkon aus in die kleine Welt der MaxB. Die Nachfrage bei den Nachbarn durch die Betreuer, ob dieses noch erträglich sei, beantworteten diese mit der Gegenfrage, ob sie etwas für die Klientin tun könnten. Keine Anzeichen gab es für Beschwerden wegen ruhestörenden Lärms, sondern Toleranz und solidarisches Mitleid.

Integration durch gelebte Nachbarschaft

So zeigt sich, dass die Idee des „Community Living“ funktioniert, dass normale Menschen dann das Leid von anderen mittragen können und dieses auch wollen, wenn es im Rahmen von bekannten Beziehungen stattfindet und nicht in der Anonymität, in dem Rahmen, den Klaus Dörner den dritten Sozialraum nennt. Moderne Stadtentwicklung kann die Theorie und die gemachten Erfahrungen nicht ignorieren, dass die Zeiten des beziehungslosen Hinsetzens von Bauten in eine nicht vorbereitete und unbeteiligte Umgebung endgültig vorbei sind. Diese Erfahrungen zeigen aber auch, dass eine beziehungsstiftende Nachbarschaft die übertriebene Professionalisierung (und deren Kosten) durch uns Sozialprofis verringern kann und beide Seiten zu Gewinnern werden: die Personen mit Unterstützungsbedarf ebenso wie die Personen, die Unterstützung geben und damit für sich Aufgaben gewinnen und Bedeutung für andere. Das darf und kann keine Einbahnstraße mehr sein, denn jeder Mensch braucht für sich, Bedeutung für andere zu haben, auch ein Mensch mit Unterstützungsbedarf wie hier Marcus Schwarz und viele andere.

Dieses Community Living verlangt von uns Profis hin und wieder, Vorleistungen zu erbringen, durch die den Nachbarn deutlich wird, dass wir und insbesondere die KlientInnen ihnen etwas zu bieten haben. Es sind Kleinigkeiten wie das Grillen im letzten Sommer. Unser Haus liegt etwas abseits – die Nachbarn der anderen Häuser haben entschieden, dass bei ihnen vor der Tür nicht gegrillt wird. Das war eine Chance, ein Grillfest für alle zu organisieren und kluge Betreuer helfen den KlientInnen nur bei der Planung, wenn nötig und bleiben nur so lange beim Grillfest, wie die KlientInnen es unbedingt wollen. Dann gehen sie leise und behindern nicht die Entwicklung von direkten Beziehungen zwischen den Nachbarn. Dann sind nämlich alle miteinander nur noch Nachbarn, die gemeinsam grillen und die Behinderung und der Unterstützungsbedarf verlieren völlig an Bedeutung.

Joachim Schwerdtfeger ist geschäftsführender Vorstand von Nussknacker e.V. und hat das Projekt von der Idee bis zum Einzug begleitet.