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Beitrag der Redaktion

„Mich interessiert alles, was Stadt ist – vor allem die Menschen, die darin leben“

Ein Nachruf auf Britta Becher

*** Für das STATTBAU HAMBURG-Team, ihr ehemaliger Kollege, Josef Bura ***

BRITTA BECHER ist vor einem Jahr, eine Woche vor ihrem 51. Geburtstag, im Leuchtfeuer-Hospiz in St. Pauli an Krebs gestorben.

Geboren ist sie in Berlin. Im Alter von 8 Jahren siedelte ihre Familie nach Hamburg um. Scherzhaft sagte sie dazu oft, sie sei nach Hamburg „verschleppt worden“. In Wahrheit wurde sie im Laufe ihres Lebens zu einer Hamburgerin, genauer gesagt zu einer St. Paulianerin. Sie liebte an St. Pauli vor allem die Menschen dort, die nahe Elbe und den Hafen. Sie machte einen Sportbootführerschein und hat in ihren letzten Lebensjahren mit ihrer Frau im Spreehafen auf einem Hausboot und im Wohnprojekt Drachenbau e.G. in St.Georg gewohnt.

Immer wieder zog es sie seit Jugendzeiten nach St. Pauli, wo sie zeitweilig im Wohnprojekt Große Freiheit gelebt hat und wo ihr Arbeitsplatz mit Blick auf das Millerntor lag. Immer, wenn es ihr möglich war, verfolgte sie die Heimspiele von St. Pauli im Stadion. Bei STATTBAU HAMBURG, wurde sie 1992 direkt von der Technischen Universität weg mit dem Diplom in der Tasche als Stadtplanerin ins Team aufgenommen und dort verbrachte sie danach ihr gesamtes Arbeitsleben.

Britta Bechers berufliche Einsatzfelder waren vielfältig und durch die Mitwirkung an einer großen Zahl bedeutender STATTBAU HAMBURG-Projekte geprägt. Das begann schon mit ihrem Eintritt ins Team als gerade fertige Studentin. Sie wurde mit der Mieterbetreuung bei der Umsetzung der Sanierung zum Erhalt der Falkenried-Terrassen im Interesse der dort wohnenden Menschen betraut. Dann hat sie als Projektentwicklerin das erste Wohnprojekt in Harburg unter dem Dach der SAGA aufgebaut. In ihren letzten Arbeitsjahren war sie aktiv an den Planungen für die Neugestaltung des Bethanien-Areals, „martini·erleben“ beteiligt. Dieses Projekt hat sie auch in einem Europäischen Forschungsfeld und dort im internationalen Kontext vertreten. Inzwischen wird „martini·erleben“ so umgesetzt, wie es mit ihr und den anderen Akteuren vor Ort geplant worden ist. Parallel dazu betreute sie das Wohnprojekt Open House, ein IBA-Projekt im Stadtteil Wilhelmsburg und das modernste Wohnprojekt der Wohnungsbaugenossenschaft Schanze e.G., um nur einige ihrer Arbeitsprojekte zu nennen.

Britta war ab 2005 auch für die Öffentlichkeitsarbeit von STATTBAU HAMBURG zuständig: d. h. allgemein für den Internetauftritt und sämtliche Veröffentlichungen. Von besonderer Bedeutung war ihr Engagement für die Zeitung FreiHaus, für deren Konzept und Umsetzung sie als verantwortliche Redakteurin zuständig war. Herausragend war auch, dass sie die Hamburger Wohnprojekte-Tage weiterentwickelte, modernisierte und dann in der Praxis auch organisierte. Damit hat sie die Hamburger Wohnprojekte-Tage zu einem bundesweit oft kopierten Format gemacht. An mehreren Forschungsfeldern des heutigen Bundesinstituts für Bau-, Stadt und Raumforschung war sie als STATTBAU HAMBURG-Mitarbeiterin tätig. Sie war in den letzten Lebensjahren auch dabei, eine Dissertation zum Thema „Neue Wohnformen in Europa“ zu schreiben – bis ihre Krankheit sie daran hinderte, diese fertigzustellen.

Im STATTBAU HAMBURG-Team war sie jemand, der die wohnungs- und stadtentwicklungspolitische Dimension in den Arbeitsalltag einbrachte. Sie war und blieb neben der Praxis auch Wissenschaftlerin. Ihr Motto: Erst (kritisch) nachdenken, was tue ich eigentlich, wem dient es und erst dann handeln. Sie lieferte wichtige Beiträge zum innerbetrieblichen Diskurs und forderte durchgängig zur fachpolitischen Auseinandersetzung auf und zu einem Denken über den Tellerrand hinaus. Ihr ging es in ihrer Arbeit ganz zentral darum, gemeinsam mit den beteiligten Menschen deren Projekte zu entwickeln. Durch diese Beteiligung hat sie ihnen die Chance eröffnet, ihr Wohnen und damit einen wichtigen Teil ihres Lebens selbstbestimmt gestalten zu können.

Ihr Thema während ihres gesamten Berufslebens war: die Stadt menschlicher zu machen. Und dabei legte sie immer auch einen besonderen Blick auf Rollen und Perspektiven von Frauen. Einer ihrer Träume, den sie zu verwirklichen suchte und an dem sie lange gearbeitet hatte, war ein Beginenprojekt in Hamburg auf die Beine zu stellen – ein Wohnprojekt, in dem Frauen gemeinsam leben und wirtschaften. Bis jetzt wurde das noch nichts – aber vielleicht greift jemand dieses Vermächtnis von ihr auf.

Sie hat es einmal selbst formuliert, worum es ihr ging: „Mich interessiert alles, was Stadt ist – vor allem die Menschen, die darin leben“.

Sie ist viel zu früh von uns gegangen und wir vermissen sie sehr.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 21(2015), Hamburg