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Artikel Rechtsform/Genossenschaft

Weiterentwicklung der Rechtsform Genossenschaft

Neue Initiative der Bundesregierung

*** von Tobias Behrens ***

In den vergangenen Jahren haben wir in der Zeitschrift FreiHaus und auch auf den Wohnprojektetagen häufig über das Thema Weiterentwicklung der genossenschaftlichen Rechtsform berichtet. Anlass waren Aktivitäten der Bundesregierung, die Rechtsform der Genossenschaft attraktiver zu machen.

Hierzu wurde 2006 schon einmal das Genossenschaftsgesetz novelliert und es wurden Erleichterungen bezüglich der Gründung und der Prüfung von Kleingenossenschaften eingeführt. Das Justizministerium hat in den Jahren danach diese Ergebnisse untersucht und festgestellt, dass die Reformvorschläge erfolgreich waren, weil die Zahl der genossenschaftlichen Neugründungen nach jahrelangem Rückgang wieder gestiegen ist. Im Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung waren ebenfalls Hinweise aufgenommen worden, dass diese Erleichterungen weiterentwickelt werden sollen, um die Rechtsform der Genossenschaften noch attraktiver zu machen.

Aus diesem Grund hat das Justizministerium bereits im Jahr 2013 einen neuen Gesetzesentwurf vorgelegt, in dem weitere Erleichterungen bezüglich der Gründung und der laufenden Prüfungen der Genossenschaften angekündigt wurden. Insbesondere wurde hier auch vorgeschlagen, eine neue Rechtsform, die sog. Kooperationsgesellschaft (haftungsbeschränkt), einzuführen.

Dieser Gesetzesentwurf wurde damals heftig diskutiert. Es fanden Expertenanhörungen statt, in denen auch die Vertreter von Kleingenossenschaften (über den Wohnbund) vertreten waren. Es kam dann aber bei der letzten Bundesregierung nicht mehr zu einem Gesetzesentwurf, der verabschiedet werden konnte.

NEUES GUTACHTEN DER BUNDEREGIERUNG ÜBER „POTENZIALE UND HEMMNISSE“

Die neue Bundesregierung hat das Thema wieder aufgegriffen und über das Wirtschaftsministerium ein Gutachten in Auftrag gegeben, das von der Kienbaum Management Consultants GmbH in dem Seminar für Genossenschaftswesen an der Universität Köln erarbeitet wurde. Dies Gutachten liegt seit Juni 2015 vor.

Neben vielen anderen Ergebnissen kommt die Studie unter anderem dazu, dass immer noch der hohe zeitliche und organisatorische Aufwand sowie die hohen Kosten für die genossenschaftlichen Prüfungsregularien ein Problem für Neugründungen darstellen. Insbesondere für kleinere Genossenschaften, wie z. B. Dorfladengenossenschaften, Energiegenossenschaften oder auch Wohnungsbaugenossenschaften, stellt dies eine große Hürde bei der Umsetzung ihrer Projekte auf genossenschaftlicher Grundlage dar.

KOOPERATIONSGESELLSCHAFT ( HAFTUNGSBESCHRÄNKT)

Um diese Problematik zu lösen, hat der Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften (ZdK) schon in den vergangenen Jahren mehrfach Vorschläge unterbreitet, eine neue Rechtsform und zwar die der „Kooperationsgesellschaft ( haftungsbeschränkt)“ einzuführen. Diese sollte dann von allen Prüfungsauflagen befreit werden, allerdings auch nur in bestimmtem Umfang wirtschaftliche tätig werden können. Sie könnte als „kleine“ oder „Vorlaufgenossenschaft“ betrachtet werden.

In einer Beurteilung des Kienbaum Gutachtens kommt der ZdK zu folgendem Ergebnis:

„Die Studie zeigt deutlich, dass die allermeisten Genossenschaften in Deutschland mit ihrer Rechtsform zufrieden sind. Das ist sehr gut und entspricht im Wesentlichen auch unseren eigenen Erfahrungen. Daher setzen wir uns auch für die Beibehaltung der erfolgreichen Regelung für eingetragene Genossenschaften ein, auch wenn wir uns im Detail für Änderungen aussprechen. Andererseits zeigt das Ergebnis der Studie aber auch einen Handlungsbedarf auf, um Initiativen insbesondere, aber nicht nur aus dem Bereich des kleinen bürgerschaftlichen Engagements eine passende Rechtsform zu bieten. Das stützt unsere seit vielen Jahren erhobene Forderung nach weiterer, spürbarer Entlastung für Kleinstgenossenschaften. Der Bedarf ist da und der politische Wille, etwas zu tun auch. Es fehlt nur noch die Entscheidung darüber, wie die Änderungen umgesetzt werden sollen. Unserer Ansicht nach müssen sich die folgenden Rahmenbedingungen erfüllen:

1. deutliche Abgrenzung zur eingetragenen Genossenschaft

2. Begrenzung auf das kleine, gemeinschaftliche Wirtschaften

3. Haftungsbeschränkung auf das eingetragene Kapital

4. Durchlässigkeit zu eingetragenen Genossenschaften“

https://www.zdk-hamburg.de/blog/2015/07/studie-des-bmwi-zu-genossenschaften/

RECHTSFORM U.A. AUCH FÜR
PLANUNGSGEMEINSCHAFTEN GEEIGNET

Auch aus Sicht der kleingenossenschaftlichen Szene der Wohnprojekte könnte eine solche Kooperativgesellschaft sinnvoll sein. Bereits 2013 hat die AG Kleine Genossenschaften im Wohnbund e. V. hierzu in einer Stellungnahme zu dem ersten Gesetzentwurf ausgeführt:

„Wir halten dies für eine sehr gute Lösung, vor der Gründung einer Genossenschaft eine kleine genossenschaftliche Rechtsform neu ins Leben zu rufen, deren Gründung und deren Betrieb wesentlich einfacher ist, als die normale Genossenschaftsgründung bzw. deren Betrieb. Insbesondere bei der Umbesetzung von nachbarschaftlich orientierten Wohnprojekten in der Rechtsform der Genossenschaft haben wir das Problem, dass sich Gruppen sehr früh zusammenschließen, um erste Aktivitäten zur Umsetzung eines Projektes in die Wege zu leiten. Zu diesem Zeitpunkt ist die Genossenschaftsgründung meist viel zu aufwendig, teilweise sogar unmöglich und auch noch verfrüht. Hier wird in der Realität häufig der Weg über die Gründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts gewählt, was sich aber auch wegen der gesamtschuldnerischen Haftung als unpraktikabel darstellt. Außerdem sind die Überleitungen von der BGB-Gesellschaft in eine Genossenschaft doch recht kompliziert. Insofern wäre es hier hilfreich, auch schon mit der Perspektive eine Genossenschaft zu gründen, eine Vorgenossenschaft einzuführen, deren Gründung und deren Betrieb wesentlich einfacher ist.“

Stellungnahme des Wohnbunds vom 22.03.2013

Das Bundeswirtschaftsministerium hat nun zum Ende November eine Expertenanhörung angesetzt, in der nochmal die Ergebnisse des neu vorliegenden Gutachtens diskutiert werden sollen. Ziel ist es, dem politischen Auftrag der Koalitionsregierung aus Berlin nachzukommen, um weitere Änderungen und Erleichterungen der Rechtsform der Genossenschaft umzusetzen und es bleibt zu hoffen, dass die Ideen von 2013 erneut aufgenommen und zu einem Gesetzentwurf überführt werden. Zu der Diskussionsveranstaltung im November ist auch STATTBAU HAMBURG-Geschäftsführer Dr. Tobias Behrens eingeladen und wird aus der Sicht der kleingenossenschaftlichen Wohnprojekte das Gutachten kommentieren. 

Tobias Behrens ist Geschäftsführer der STATTBAU HAMBURG GmbH und hat seit vielen Jahren für den wohnbund e.V. die bundesweite Diskussion um die Weiterentwicklung der Rechtsform Genossenschaft begleitet und in diesem Zusammenhang an verschiedenen Anhörungen und Veranstaltungen teilgenommen.

Neue Wohnungsbau Genossenschaften in Hamburg ab 1985


MG = Mietergenossenschaft – verwaltet Wohnungen ohne selbst Eigentümer zu sein;
DG = Dachgenossenschaft – Zusammenschluss selbstverwalteter Wohnprojekte unter einem gemeinsamen genossenschaftlichen Dach;
PG = Projektgenossenschaft – ein Wohnprojekt, ein Haus, eine Genossenschaft

Nr.JahrNameTypWE*
11985Baugenossenschaft Groß-Borstel e.G.PG46
21985Bau- und Wohngenossenschaft Wolfgang-Borchert-Siedlung e.G.PG34
31987Drachenbau St. Georg Wohngenossenschaft e.G.PG29
41988Wohnungsbaugenossenschaft Schanze e.G., (Dachgenossenschaft, 23 HG (Hausgemeinschaften))DG340
51989Mietergenossenschaft Falkenried-Terrassen e.G.MG324
61989Wohnungsbaugenossenschaft Königskinder e.G.PG6
71989Genossenschaft der Fritz-Schumacher-Siedlung Langenhorn e.G.PG600
81992Mietergenossenschaft Gartenstadt Farmsen e.G.MG2554
91993HausArbeit Wohnungsbaugenossenschaft e.G.PG13
101994Ottenser Dreieck Wohnungsgenossenschaft e.G. (3 HG)DG38
111995Bau und Wohngenossenschaft Osterkirchenviertel e.G.PG29
121995Wohnungsbaugenossenschaft Wendebecken e.G., 33 Wohnungen (4 Hausgemeinschaften)PG33
131996Bau- und Wohngenossenschaft Brachvogel e.G. (3 HG)DG69
141996Wohnwarft – Genossenschaft für autofreies Wohnen e.G.PG31
151996Wohnungsbaugenossenschaft Jung und Alt e.G.PG20
161998Lohmühle Wohngenossenschaft e.G. (Familie Semmeling)PG16
171999Wohnungsbaugenossenschaft „Ecken und Kanten“ e.G. (2 HG)DG20
182001Genossenschaft St. Pauli Hafenstraße e.G., (2 HG)DG19
192001Genossenschaft Alternativen am Elbufer e.G.PG62
202002Wohnreform e.G. – Genossenschaft für gemeinschaftliches Wohnen und Bauen, (3 Hausgemeinschaften)DG59
212002Wohnungsbaugenossenschaft Markthof e.G.PG15
222004Genossenschaft Greves Garten e.G. (2 HG)DG39
232008Friese e.G. (Künstlergenossenschaft – nur Ateliers)PG
242009Stadtschule e.G.PG33
252010Wohnungsgenossenschaft Schlüsselbund e.G.PG0
262010Genossenschaft Gängeviertel e.G.PG0
272012Gnadenkopel e.G.PG19
282015fux e.G. (Viktoria Kaserne – nur Ateliers)
* zusammen ca. 4.500 Wohneinheiten (WE)

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 21(2015), Hamburg