Kategorien
Artikel Wohnprojekte national/international

Neue Akteure auf dem Wohnungsmarkt

Unterstützung für Baugemeinschaften in Schweden

*** von Staffan Schartner ***

Der Verein „Föreningen för Byggemenskaper“ wurde gegründet, um dieses für Schweden neue Thema zu verbreiten und das gemeinsamen Bauen zu fördern und zu unterstützen. Im April trafen sich Malmö zahlreiche Akteure, Initiativen, Fachleute, ArchitektInnen, VertreterInnen von Kommunen und Stadtverwaltungen aus ganz Schweden, um darüber zu beraten, wie das Bauen in Gemeinschaften stärker verbreitet werden kann. Der Verein vermittelt Wissen über Baugemeinschaften, unterstützt die Gründung von Baugruppen sowie die Realisierung ihrer Projekte.

Vielleicht ist die gesellschaftliche Entwicklung in Schweden während der letzten Jahrzehnte extrem gewesen. In einer stark sozialdemokratisch geprägten Gesellschaft mit außergewöhnlich starken nicht-staatlichen Organisationen, geregelter Wirtschaft und hohem Kollektivismus ist die schnelle Libera lisierung und Individualisierung fast revolutionär.

Vor 100 Jahren herrschte große Wohnungsnot in Schweden. In vielen Städten wurde eine hohe Anzahl exklusiver Mietwohnungen für die Wohlhabenden nach rein merkantilistischen Prinzipen gebaut.

Als Alternative zu den Mietwohnungen wurden verschiedene Typen von Genossenschaften geschaffen, eine davon mit freiem Verkaufsrecht. Die Arbeiter haben sich in „Wohnbauvereinen“ organisiert und eigene, zum Teil sehr ambitionierte und fortschrittliche Wohnhäuser gebaut. Die Gemeinden haben „Allgemeinnützige Wohnbauträger“ gegründet, die kleine einfache Mietwohnungen in großen Serien gebaut haben. Besser verdienende Arbeiter, einfache Beamte und Bedienstete haben Unterstützung und Know-how von den Gemeinden erhalten um eigene, kleine Häuser zu bauen. Diese Initiativen haben seitdem den schwedischen Wohnungsmarkt beherrscht. Mit den Jahren sind die sozialen Ambitionen verloren gegangen.

Aus „Allgemeinnützigen Wohnbauträgern“ wurden mit EU-Hilfe kommerziell Agierende, aus sozialdemokratischen „Bostadsrätt“ wurden prestigevolle Statusobjekte und die Unterstützung der Arbeiter und Handwerker beim Eigenbau ist völlig verschwunden.

Neue Akteure am Wohnungsmarkt

Vielerorts in Schweden ist die Zeit für neue Alternativen am Wohnungsmarkt überreif. In schnell wachsenden Städten wie Stockholm mit jährlich 40.000 neuen Einwohnern schaffen es weder die Gemeinden noch die kommerziellen Wohnbauträger mitzuhalten. In anderen Städten ist die Nachfrage nach Wohnungen generell so niedrig, dass keine kommerziellen Wohnbauprojekte zustande kommen. Wenn gebaut wird sind, mit Ausnahme von wenigen Einfamilienhäusern, standardisierte, unambitionierte Massenproduktionen dominierend.

In den letzten Jahren sind viele, an Stadtentwicklung interessierte Schweden nach Süddeutschland gereist und haben sich von den neuen, von Baugemeinschaften geprägten Stadtteilen in Freiburg und Tübingen begeistern lassen. Mit Unterstützung der Deutsch-Schwedischen Handelskammer wurde im September 2011 ein sehr gelungenes Seminar zum Thema Baugemeinschaften durchgeführt, woraus der schwedische Verein für Baugemeinschaften entstanden ist.

Verein zur Unterstützung von Baugemeinschaften

Unsere Zielsetzung ist es, Wissen über Baugemeinschaften zu verbreiten, sowie Baugruppen und deren Projekte in den langen, teils schwierigen und kostspieligen Plan- und Genehmigungsprozessen zu unterstützen. Die historischen Wurzeln für gemeinschaftliches Bauen sind in Schweden reichlich vorhanden. Ebenso eine sehr starke Vereinstradition. Rund die Hälfte aller Wohnungen werden durch kleine Genossenschaften verwaltet, sogenannte „Bostadsrättsföreningar“.

Vereinzelt sind schon Baugemeinschaftsprojekte in Schweden durchgeführt worden. Es gibt eine starke Bewegung von Wohngemeinschaften, die oft große Häuser mit bis zu 100 Wohnungen besitzen oder mieten. Will man gemeinsam Wohnen scheint es auch natürlich, gemeinsam Bauen zu wollen.

Mit Wurzeln in den 70er-Jahren sind mehrere „Öko-Dörfer“, zum Teil im städtischen Gebiet, als Baugemeinschaftsprojekte durchgeführt worden.

Noch viel stärker scheint die Kraft in eine heterogene Bewegung für Eigenverantwortung beim Wohnen im Alter zu sein. Viele Gruppen mit Menschen die für ein Älterwerden zusammen mit Freunden und entsprechenden Serviceleistungen arbeiten, haben oder werden demnächst Gemeinschaftsprojekte durchführen.

Im Jahr 2009 wurde der vornehmste schwedische Architekturpreis der „Kasper Sahlin“-Preis an das Projekt „Urbane Villen“ verliehen. Unter Führung des deutsch-schwedischen Architekten Cord Siegel haben fünf Familien ihre neuen Wohnungen in einem radikalen Projekt aufeinander gestapelt und im ambitionierten Stadtentwicklungsgebiet „Westhafen“ platziert. Wohnungen, die nie in einem kommerziellen Projekt hätten gebaut werden können.

Gleich daneben steht ein Haus von einer Gruppe Rechtsanwälte und Bankdirektoren. Zusammen sind diese durch Eigenverantwortung zu sehr eleganten Wohnungen mit annehmbaren Wohnkosten gekommen.

Außer dieser fünf Arten von Baugemeinschaften glauben wir an noch eine. Die großen Wohngebiete aus den 60er und 70er-Jahren leiden unter Maßstabs- und Finanzierungsproblemen. Baugemeinschaften machen es möglich, spezifische lokale Maßnahmen durchzuführen, wo der einzelne Mieter zu wenig Kraft und Einfluss hätte, und wo Veränderungen auf Siedlungsebene manchmal eher eine Bedrohung als eine Verbesserung für den Einzelnen sein können.

Die Inspiration kommt mittlerweile nicht nur aus Baden-Württemberg, sondern auch aus Berlin und Hamburg. Besonders in der Hansestadt scheinen die Bedingungen für gemeinschaftliches Bauen denen in Stockholm ähnlich zu sein. Nach viele Jahrzehnten mit einem sehr starkem Fokus auf USA und den Anglo-Sächsischen Raum, freuen wir uns wieder Anregungen aus Hamburg holen zu können.

Staffan Scharnter ist Architekt und Mitglied der „Foreningen för Byggemenskaper“, die die Bekanntheit und Umsetzung von Bauen in Baugemeinschaftsprojekten in Schweden verbessern möchte.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 18(2012), Hamburg