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Artikel Stadtentwicklung

Neue Hamburger Wohnsiedlungen

Was macht sie für Baugemeinschaften interessant?

*** von Ingrid Breckner und Klaus Habermann-Nieße ***

Studierende der Stadtplanung an der HCU haben im Sommersemester 2018 im Rahmen des Moduls „Sozialforschung und Quartiersentwicklung“ unter unserer Leitung fünf neue Wohnsiedlungen in Hamburg untersucht und Vorschläge für notwendige Interventionen erarbeitet: Vogelkamp-Neugraben und die Schlossinsel im Bezirk Harburg, die Finkenau im Stadtteil Barmbek, die Othmarscher Höfe im Stadtteil Bahrenfeld sowie die neue Wohnbebauung in Wilhelmsburg Mitte.

Nachbesserungsvorschläge beziehen sich vor allem auf die Erhöhung der Attraktivität des öffentlichen Raumes, der Nahversorgung und der sozialen Durchmischung. Baugemeinschaften in urbanen Entwicklungsgebieten können von solchen Ergebnissen profitieren, indem sie Erfahrungen zur Kenntnis nehmen bevor sich ein Quartiersimage verdichtet und Handlungsoptionen erschwert.

Ziel der Veranstaltung war die Erschließung des Zusammenhangs zwischen der professionellen Produktion von Stadt und deren Beurteilung sowie Veränderung durch Nutzer*innen der jeweiligen Quartiere.

DIE ERKUNDUNGEN

Die Quartiere wurden zunächst in Arbeitsgruppen mittels eines Dérives und Beobachtung erkundet, danach Nutzer*innen befragt, erforderlicher Interventionsbedarf begründet und Lösungsvorschläge in Modellen visualisiert. Abschließend wurden Forschungsergebnisse und Interventionen von jeder Arbeitsgruppe in einem Quartiersbericht zusammengefasst.

Der anfängliche Dérive diente als Wahrnehmungsspaziergang einer ersten Orientierung im Quartier und dem Sammeln erster Eindrücke. Eigene Erfahrungen und Wahrnehmungen wurden in Fotos und Skizzen dokumentiert und reflektiert, um sie später anhand der Perspektiven von Nutzer*innen zu überprüfen und nicht unreflektiert in Interventionen einfließen zu lassen. Aus den Ergebnissen des Dérive wurden Forschungsfragen für eine systematische Beobachtung von Nutzungspraktiken und eine Befragung von Nutzer*innen abgeleitet. Dabei stellte sich heraus, dass in der Nutzung der unterschiedlichen Quartierstypen teilweise ganz andere Aspekte als im Dérive vermutet von Bedeutung und konsequenterweise in Interventionen zu berücksichtigen sind.

Die folgenden Investitionsideen zeigen die unterschiedlichen Maßnahmen auf, mit denen die Attraktivität der ausgewählten Quartiere gestärkt werden könnte: 

  • Vogelkamp-Neugraben Das Quartier Vogelkamp-Neugraben befindet sich mit seiner ursprünglichen Ausrichtung auf Ein- und Zweifamilienhäuser durch die neuen Baumaßnahmen im Umbruch. Es sind Unterkünfte für Geflüchtete in der Nachbarschaft hinzugekommen und aufgrund der hohen Wohnungsnachfrage wird in Zukunft auch über Möglichkeiten der Nachverdichtung nachzudenken sein. Die Interventionsideen fokussieren hier den neuen Charakter der Nachbarschaft und schlagen deswegen ergänzend zur geplanten Kindertagesstätte die Entwicklung eines Nachbarschaftszentrums sowie die Anpassung der öffentlichen Räume an neue Anforderungen insbesondere von Jugendlichen vor.
  • Schloßinsel Harburg Die Schloßinsel im Harburger Binnenhafen befindet sich noch im Aufbau. Ihre Potentiale wurden als hoch bewertet, aber die derzeit dominante Ausrichtung auf Eigentumswohnungen ließ eine zu einseitige soziokulturelle Struktur vermuten. Gemischter Wohnungsbau und die vorgeschlagene Anreicherung der Freiräume u. a. mit temporären Angeboten könnten nach den Befunden der Studierenden zur Erhöhung der Attraktivität des Quartiers beitragen. 
  • Othmarscher Höfe Die Bebauung der Othmarscher Höfe im Hamburger Westen ist weitgehend abgeschlossen. Hier bewirkt die hohe städtebauliche Dichte eine starke Nutzung der öffentlichen Freiräume. Die sich abzeichnende Grünachse wird nach den durchgeführten Erkundungen den unterschiedlichen Bedürfnissen der Nutzer*innen nicht hinreichend gerecht. Deshalb konzentrieren sich die Interventionsideen auf eine Optimierung der Spielflächen, die Zuordnung von Flächen für alle Generationen und für Jugendliche und eine stärkere Akzentuierung des grünen Bandes.

WAS LÄSST SICH SCHLUSSFOLGERN?

In der vergleichenden Analyse wird deutlich, dass für die Entwicklung von Baugebieten neben der Lage im Stadtgebiet sehr viele Indikatoren zu berücksichtigen sind, die städtebauliche Planung und die Attraktivität der Neuen Wohnsiedlungen prägen. Die städtebauliche Beurteilung von Quartieren erfordert eine Berücksichtigung der Bewohnerdichte, der baulichen Dichte, der Wohnungsbelegung, des Wechselverhältnisses zwischen privaten und öffentlichen Freiräumen und der Nahversorgung, die nur gemeinsam eine immobilien- und volkswirtschaftlich nachhaltige Baukultur ermöglichen.

Die Untersuchungen zeigen, dass die neuen Quartiere sowohl in städtebaulicher Hinsicht – und hier waren es oftmals die öffentlichen Freiräume – als auch in sozialer Hinsicht in Bezug auf eine vielfältigere Nutzungsstruktur Interventionsbedarf aufweisen.

WAS MACHT NEUE QUARTIERE FÜR BAUGEMEINSCHAFTEN INTERESSANT?

Für Baugemeinschaften ist es aus unserer Sicht erforderlich, eine klare Haltung zur erforderlichen städtebaulichen Dichte in wachsenden Städten zu finden, die den Quartierstypus neuer Siedlungen auch und insbesondere an der Stadtkante prägen muss. In solchen Lagen ist es für Baugemeinschaften nicht unerheblich, auf ein ausgewogenes Wechselverhältnis zwischen privaten, halböffentlichen – der Gemeinschaft zugeordneten – und öffentlichen Grün- und Freiräumen zu achten. Hinsichtlich der sozialen Konnotationen eines Quartiers, das auch für Baugemeinschaften interessant sein soll, geht es um soziale Vielfalt, aber auch um lebensstilhomogene Angebote. Die Inwertsetzung eines Quartiersimages für eine Vielfalt von Lebensstilen ist zentral. Dazu tragen vor allem Baugemeinschaften bei, die sich neben ihrem Grundstück auch für das umliegende städtische Wohnquartier engagieren und bereit sind, mehr zu leisten als Marktakteure mit kurzfristigen Verwertungs- und Belegungsinteressen. Vor diesem Hintergrund sind Baufenster für Baugemeinschaften als erster Schritt sinnvoll, wenn die Planung im Blick behält, dass sich ein Quartier auch als Ganzes und längerfristig als eine differenzierte städtebauliche und soziale Konfiguration entwickeln können muss. 

Ingrid Breckner ist Dr. rer. soc., Diplom-Soziologin, Universitätsprofessorin an der HafenCity Universität Hamburg. Ihre Forschungen konzentrieren sich unter anderem auf alle sozialen spekte integrierter Stadtentwicklung. Klaus Habermann-Nieße ist Dr.-Ing. Stadtplaner und Architekt, Lehrbeauftragter an HCU und Leibniz Uni Hannover, Geschäftsführung plan zwei Stadtplanung und Architektur, Forschungsschwerpunkte Stadtquartiere unter Nachfragedruck, Grün in der Stadt und Energetische Stadtsanierung, Vorstand wohnbund e. V..

Literatur

Krause, Katy (2016): Eines der größten Neubaugebiete wächst
in Othmarschen, in: Hamburger Abendblatt vom 27.10.2016
(Zugriff am 13.08.2018)

IBA Hamburg:

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 23(2018), Hamburg