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Artikel Wohnungspolitik

Drittelmix neu denken

Wohnungspolitik in Hamburg
braucht eine mutige Neuausrichtung

*** von Tobias Behrens und Frank Karthaus ***

Fast alle deutschen Parteien sind sich uni sono einig, dass die Wohnungsfrage bzw. die Frage nach bezahlbaren Mieten besonders in den Großstädten derzeit die zentrale soziale Frage unserer Gesellschaft ist. Man hat damit eingestanden, dass der Markt wohl doch nicht alles richten kann und der vor ca. 15 Jahren eingeleitete Rückzug des Staates aus den wohnungspolitischen Themen ein Fehler war.

In Hamburg lässt sich dieses Phänomen genau beobachten: die Mieten steigen von Jahr zu Jahr insbesondere bei Neuvermietungen und die Anzahl der sozial gebundenen Wohnungen sinkt kontinuierlich. Erst in den beiden letzten Jahren ist es dem Senat durch die Anhebung der Förderzahlen gelungen, den ‚Abschmelzungsprozess‘ zu verlangsamen und die Zahl der Sozialwohnungen stabil zu halten. Dennoch ändert dies nichts an der Tatsache, dass es viel zu wenig preiswerte Wohnungen gibt besonders für die knapp 30% der Hamburger Haushalte, die ein Äquivalenzeinkommen haben, das zum unteren Drittel zählt.

Auch die zum 1.1.2019 verkündete Anhebung der Einkommensgrenzen für den 1. Förderweg von 30% auf 45% über die Bundeseinkommensgrenze schafft keine zusätzliche preiswerte Wohnung. Diese Anhebung hat sogar noch einen Verdrängungseffekt zu Ungunsten der Niedrigeinkommen zur Folge. Denn durch die Anhebung wird in Hamburg der Kreis der Berechtigten, die eine Sozialwohnung beziehen können, um fast 70.000 Haushalte erweitert. Für diese Haushalte ist das eine gute Nachricht, für die Geringverdiener allerdings nicht. Denn jeder Vermieter wird sich aus der Vielzahl der Bewerber für eine Wohnung eher den heraussuchen, der ein höheres Einkommen hat, da er ihm eher zutraut, dauerhaft die Miete zahlen zu können. Es gibt Vermieter in Hamburg, die eine interne Regelung haben, dass nur die Mieter einen Mietvertrag bekommen, die maximal ein Drittel ihres Netto-Haushaltseinkommen für die Warmmiete aufbringen müssen. Dies ist auch die allgemein in der Sozial- und Wohnungspolitik gewünschte Zielgröße, die nicht überschritten werden sollte. Davon ist die Wohnkostenbelastung vieler Hamburger aber weit entfernt.

Wohnraumversorgung für Niedrigeinkommen

  • Das durchschnittliche Einkommen von Rentnern in Hamburg liegt unter € 1.000 monatlich.
  • Eine barrierefreie Neubauwohnung für Senioren in Hamburg darf bis zu 55 m² gross sein.
  • Bei einer Nettokaltmiete von € 6,50 zuzüglich ca. € 2,50 Neben- und Heizungskosten liegt die Bruttowarmmiete für eine 50 m² Wohnung bei ca. € 450 monatlich.
  • Bei einer Rente von z. B. € 950 monatlich wäre das eine Wohnkostenbelastung von 47%

Das Thema der Wohnraunversorgung für Geringverdiener ist in der Hamburger Wohnungspolitik bekannt. Schon 2014 hat der Senat ein Gutachten zu diesem Thema in Auftrag gegeben. Die Gutachter von empirica kamen darin u. a. zu dem Ergebnis, dass Wohnungen insbesondere für Paare oder Haushalte mit Kindern ohne Transferbezug selbst im preisgebundenen Wohnungsbau kaum bezahlbar sind und hier eine Förderlücke besteht. Konsequenzen aus dieser Erkenntnis wurden allerdings nicht gezogen. In den 60er und 70er Jahren gab es in Hamburg in der Förderung die Gruppe der „Minderverdiener“ für die besonders preisgünstige Mietwohnungen reserviert waren

AUS DEM EINDRITTELMIX MUSS EIN ZWEIDRITTELMIX WERDEN

In der Hamburger Wohnungspolitik bedeutet der Begriff Drittel mix, dass bei größeren Bauvorhaben immer eine Mischung der Wohn- und Eigentumsformen umgesetzt werden muss: ein Drittel geförderte Wohnungen, ein Drittel frei finanzierte Mietwohnungen und ein weiteres Drittel Eigentumswohnungen. Bei größeren Bauvorhaben auf städtischen Flächen und auch bei städtebaulichen Verträgen mit privaten Eigentümern wird diese Formel angewendet.

Ziel des Hamburger Senats ist es seit 2015 jährlich 10.000 neue Wohnungen zu bauen. Davon werden jedoch nur 2.200 Wohnungen als klassische Sozialwohnungen im 1. Förderweg mit einer Anfangsmiete von derzeit € 6,50 pro m² netto kalt errichtet und weitere ca. 800 im 2. Förderweg mit einer Anfangsmiete von € 8,50 pro m² netto kalt. D. h. nur knapp ein Drittel der neuen Wohnungen werden als preiswerte errichtet. Die beiden anderen Drittel – frei finanzierte Mietwohnungen und Eigentumswohnungen – sind bereits jetzt so teuer, dass Normalverdiener sich diese nicht mehr leisten können. Und auch der immer wieder vielbeschworene Sickereffekt – die Bezieher von Eigentum und Neubauwohnungen machen preiswerte Wohnungen frei – läuft in Hamburg ins Leere angesichts des realen Wohnungsmarkts.

Die aktuelle Wohnungs- und Grundstücksvergabepolitik lässt die wirkliche Situation des auf preiswerte Mietwohnungen angewiesenen Teils der Bevölkerung außer Acht: Bereits 2014 hatten ca. 42% der Hamburger Haushalte eine Mietbelastung (brutto-kalt) von mehr als 30% und 21% von mehr als 40% (Quelle Drs. 21/9491).

Folglich muss sich der Senat die Frage gefallen lassen, wie sozial seine Wohnungspolitik wirklich ist.

Insofern sollte der Einstieg in eine Wohnungspolitik, die dauerhaft bezahlbaren Wohnraum in der wachsenden Stadt sichert, aus dem einen Drittel zwei Drittel zu machen. D. h. von der zur Zeit vom Senat vorgegebene Zielzahl von jährlich 10.000 neuen Wohnungen sollten zwei Drittel (also ca. 6.600 Wohnungen) für einen geförderten oder dauerhaft preislimitierten Wohnungsbau bereit gestellt werden.

Da die Stadt nur über die Grundstücksvergabe, das Planrecht und die Förderangebote auf das Verhalten der Akteure am Wohnungsmarkt Einfluss nehmen kann, kommt der städtischen Grundstücksvergabe eine zentrale Rolle zu und die Stadt sollte dazu übergehen, mit der Grundstücksvergabe der eigenen Grundstücke sicherzustellen, dass die Zweidrittel erreicht werden.

Die Umsetzung dieses Ziel sollte allerdings mit einer Reihe von weiteren Maßnahmen gekoppelt werden, die hier nur Stichwortartig aufgeführt werden können: 

  • Einführung einer einkommensabhängigen Miete in Verbindung mit der Erweiterung der Bezugsberechtigten. In Anlehnung an die Regelungen aus der Baugemeinschaftsförderung ist es auch für den normalen geförderten Wohnungsbau denkbar und möglich, die Einkommensgruppen innerhalb der einzelnen Bauvorhaben in Verbindung mit unterschiedlichen Miethöhen zu mischen. Mit solch einem Konzept wäre einer der wichtigsten Argumente für den Drittelmix, man wolle einseitige Belegungsstrukturen verhindern, entkräftet, weil innerhalb eines Bauvorhabens eine Einkommensmischung sichergestellt werden kann. Ein Quotierung könnte so aussehen, dass 50% in der ersten Fallgruppe wären (Miete € 6,50 pro m² netto kalt) und 20% in der 2. Fallgruppe (Miete € 8,60 pro m²), 20% in der 3. Fallgruppe (Miete € 11,00 pro m²). Außerdem könnten noch weitere Differenzierungen eingeführt werden, z. B. eine 10%ige Quote für Niedrigverdiener mit einer Miete von € 5 pro m², um das oben beschriebene Problem anzugehen oder auch Quoten für die vordringlich wohnungssuchenden Haushalte (WA Bindungen) zu erreichen. 
  • Vergabe der städtischen Wohnungsbaugrundstücke grundsätzlich im Erbbaurecht, verbunden mit weiteren wohnungspolitischen Verpflichtungen wie Umwandlungsverbot und Orientierung auch nach Auslaufen der Förderung unterhalb des Mittelwerts des Mietenspiegels. 
  • Längere Bindungszeiten der Förderung. Die ab dem 1.1.2019 geltenden 20-jährigen Bindungen sind viel zu kurz, um langfristig eine soziale Wohnraumversorgung sicherzustellen. Zukünftige Bindungen sollten mindestens 30 Jahre laufen.

GUTE HAUSHALTSLAGE UND NIEDRIGES ZINSNIVEAU FÜR DIE WOHNRAUMVERSORGUNG NUTZEN

Die Erhöhung der Zahlen des geförderten Wohnungsbaus in Verbindung mit Einkommensmischung, längeren Bindungszeiten und Erbbaurechten könnte eine echte Perspektive für das Dauerproblem der mangelhaften Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum sein. Außerdem würde man den Bauherrn, die als Bestandshalter langfristig in Hamburg Wohnraum zur Verfügung stellen und sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen (Genossenschaften, kirchliche Träger oder auch Stiftungen) größere Chancen geben, sich am Wohnungsbau auf städtischen Grundstücken zu beteiligen. Denn sie hätten im Gegensatz zu den ausschließlich an hoher Rendite orientierten Bauherrn vermutlich keine Probleme, die im Rahmen von Konzeptausschreibungen gesetzten Ziele – wie oben beschrieben – einzuhalten.

Natürlich würde die Erhöhung der Wohnungsbauzahlen auch eine höhere Belastung des städtischen Haushalts bedeuten (allerdings keine Verdoppelung, denn die Subvention in die Wohnungen für mittlere Einkommen ist geringer als die für den klassischen 1. Förderweg). Die aktuelle Haushaltslage würde dies aber zulassen.

Tut man dies jetzt nicht, sind die Maßnahmen gegen den Mietenwahnsinn in der Stadt eher zu vergleichen wie der Versuch, einen Flächenbrand mit einer Wasserpistole für Kinder zu bekämpfen. 

Frank Karthaus, Dipl. Ing Raumplanung, war von 2002 – 2008 Leiter der Agentur für Baugemeinschaften in Hamburg, und ist Mitglied im Bundesverband zur Förderung des Genossenschaftsgedankens. Dr. Tobias Behrens ist Geschäftsführer von STATTBAU Hamburg.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 23(2018), Hamburg