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Artikel Stadtentwicklung

Neue Wohnformen und soziale Stadtentwicklung

*** von Jens S. Dangschat ***

Es hat lange gedauert, bis Wohnprojekte sich durchgesetzt haben. Sie waren ursprünglich auf eine randliche Nachfrage im breiten Spektrum der Wohnungssuchenden beschränkt. Städte beginnen nun langsam, mit ihnen offensiv werbend umzugehen, was dadurch erleichtert wird, dass die Klientel breiter streut und bürgerlicher geworden ist. Welche integrativen Wirkungen gehen noch von ihnen aus?

Urbane Erlebnisgesellschaft versus sozialräumliche Polarisierung

Anfangs war die soziale Distanz zwischen Wohnungsbauträgern, Behörden und Finanzgebem zu der überwiegend anti-bürgerlichen Klientel nahezu unüberwindbar groß und es bedurfte einer umfangreichen „Übersetzer“- und Vermittler-Tätigkeit zwischen den „Fronten“. Heute ist der Kreis derer, die über Wohnprojekte ihr Lebensgefühl (er)fassen wollen, zwar breiter gestreut und umfasst insbesondere auch solche Menschen, die im üblichen öffentlich geförderten Wohnungsbau keine Bleibe finden. Daher übersteigt das Interesse in der Regel die Zahl der verfügbaren und geeigneten Grundstücke oder Objekte.

Die Fülle jüngster Sozialwissenschaftlicher Interpretationen gesellschaftlicher Realität als einer hoch mobilen und flexiblen Freizeit- oder Erlebnisgesellschaft könnten die Erklärungsfolie für die zunehmende Ausdifferenzierung von Wertemustem und Lebensweisen abgeben. Dem widerspricht die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung nach Vermögen, Einkommen und Arbeitsplatzsicherheit sowie die wachsende Einmauerung hinter ethnischen Schranken. Die sozioökonomische Polarisierung und die soziokulturelle Heterogenisierung fordern demnach die Integrationskraft der großstädtischen Gesellschaft heraus.

Aufgrund der Verräumlichung sozialer Ungleichheit sind die Lasten der gesellschaftlichen Integration sehr ungleich verteilt. Immer mehr Stadtteile sind relativ frei von benachteiligter Wohnbevölkerung, während sich Armut, soziale Problematik und unkonventionelles Verhalten in anderen Stadtteilen konzentriert. Damit lastet die gesamte Integrationsarbeit einer städtischen Gesellschaft auf den BewohnerInnen von Wohnvierteln des „unteren Drittels“, ohne dass jene dafür eine belohnende Kompensation erhielten.

lntegrative Netzwerke und lokale Akteure

Wohnprojekte, die überwiegend in diesen Quartieren zum Zuge kommen, können in dreifacher Hinsicht sozial integrativ wirken: Durch das Projekt selbst, dessen Planung und Durchführung für deren Mitglieder einen Gruppenbildungsprozess verstärkt, der eine Vereinzelung weitgehend verhindert. Je nach Ziel und Zusammensetzung kann das Zusammenwohnen und -leben Grundlage für die individuelle Stabilisierung sein, d.h. es ist die Voraussetzung für die soziale Integrierbarkeit einzelner Personen.

Viele der Wohnprojekte verfolgen für ihre Gruppe eine sehr stark sozialintegrative Zielsetzung, die zudem auf Projekte gerichtet ist, mit denen in die Nachbarschaft hinein gewirkt werden soll (Kinderbetreuung, Einzelhandel, Frauenprojekte etc.). Da die Wohnprojekte häufig einen deutlichen Bezug zum Standort haben, sind die Mitglieder von Wohnprojekten oftmals wichtige Akteurlnnen in stadtteilbezogenen Netzwerken, welche wiederum Voraussetzung von Quartiersarbeit und Beteiligungsverfahren sind.

Ein dritter Aspekt bildet die Integration oftmals systemkritischer sozialer Bewegungen in das flexible System der Regulation des „lokalen Staates“. Durch die Abhängigkeit von öffentlichen Förderungen sind sowohl die Wohnmodelle selbst, als auch deren Berater, Organisatoren und Bauträger in „bedingte Freiheiten“ eingebunden. Ein kritisches Potential wird benutzt, um eine gesellschaftliche Regulation zu unterstützen, die gegenwärtig das „Aussortieren“ bestimmter sozialer Gruppen und Fertigkeiten zumindest billigend in Kauf nimmt, weil die „Sachzwänge“ der Kapitalakkumulation (Globalisierung) sie vermeintlich dazu zwingt.

ldentitätsfindung statt gesamtgesellschaftlicher Integration?

Nicht nur der letzte Aspekt ist fragwürdig. Auch die mit der Konzentration auf das Stadtquartier verbundenen Strategien haben einen umstrittenen Effekt. Bei diesen Projekten werden individuell-psychologische Integrationsleistungenund eine Integration auf Quartiersebene unterstützt. Wenn beide im Widerspruch zur normativen Vorstellung des Mainstreams der Gesellschaft stehen, wird dieses entweder mit den „draussen“ vorherrschenden Wertesystemen im Widerspruch stehen oder aber die Sozialisation verläuft gebrochen. Auch wenn die Wohnprojekt-Mitglieder selbsthäufig eine Nische zur Identitätsfindung anstreben, sollte zumindest deutlich werden, dass mit diesen Projekten die gesamtgesellschaftliche Integration als Zielsetzung schrittweise aufgegeben wird. Dieses ist nur dann unumstritten richtig, wenn es unrealistisch ist, dass eine gesamtgesellschaftliche Integration erreicht werden soll und kann.

Dr. Jens Dangschat ist Ordentlicher Professor fiir Siedlungssoziologie und Demographie an der TU-Wien

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 5(1999), Hamburg