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Selbstverwaltung im Hochhaus

*** von Klaus Habermann-Niesse und Kirsten Klehn ***

Neubauviertel aus den 70er Jahren gelten als städtische Problemsiedlungen. Um den BewohnerInnen dort eine positive Wohnperspektive zu geben, wurden in Kiel Hochhäuser in die Selbstverwaltung übertragen. Spannend, oder nicht?

Eine Großsiedlung wie jede andere

Kiel-Mettenhof, wo etwa 20 000 Menschen wohnen, ist eine Großsiedlung der 60er und 70erJahre mit den typischen Problemen aus dieser Zeit. Der Anteil der Wohnungen mit Belegungsbindungen am Gesamtwohnungsbestand ist relativ hoch. Besonders in bestimmten Bauabschnitten wird die Sozialstruktur als problematisch beschrieben. Viele Eingesessene sind schon weggezogen, andere erwägen das. Beständiger Mieterwechsel belastet das Wohnen im Alltag und erschwert das Entstehen von Nachbarschaften. Dies alles trägt zur weiteren sozialen Destabilisierung des Stadtteils bei.

Vor diesem Hintergrund haben sich im Mai 1998 engagierte Bürgerinnen aus dem Stadtteil zum „Initiativkreis zur Gründung einer Bewohnergenossenschaft in Kiel-Mettenhof“ zusammengeschlossen. Der wollte dort Wohngebäude aus dem Besitz der großen Wohnungsunternehmen in eine neue, bewohnernahe Trägerschaft überführen. Damit sollte die Mieterstruktur stabilisiert, Beteiligungsmöglichkeiten verbessert und Nachbarschaften gestärkt werden. BewohnerInnen sollten Einfluss auf die Belegung sowie die Mietpreisgestaltung nehmen können und eigentümerähnliche Rechte erhalten, ohne damit die wirtschaftlichen Risiken des individuellen Wohnungseigentums auf sich nehmen zu müssen.

Dem Verkauf zuvorgekommen

Zwei neun-geschossige Hochhäuser am Esbjergweg 8 und 10 boten sich zur Umsetzung einer genossenschaftliche Privatisierung an. Es war bekannt, dass die Eigentümerin, die Beteiligungsgesellschaft für Immobilien (BGI), plante, ihren Wohnungsbestand in Mettenhof mittelfristig zu privatisieren, bzw. zu veräußern. Die überwiegend älteren BewohnerInnen wären zum Kauf „ihrer“ Wohnungen größtenteils nicht in der Lage gewesen. Das Genossenschaftsmodell sollte ihnen die Übernahme ihrer Häuser ermöglichen.

Auf einer Mieterversammlung wurde das Genossenschaftsmodell vorgestellt. Das Land Schleswig-Holstein gewährt für die Dauer von sechs Jahren ein zinsloses Darlehen. Der Ankauf war zusätzlich mit einer Genossenschaftseinlage von 3 000 Mark je Haushalt zu finanzieren. Damit konnte erreicht werden, dass die Mieten langfristig auf gegenwärtigem Stand gehalten werden.

Die Reaktion der BewohnerInnen war zunächst verhalten. In einer anschließenden schriftlichen Umfrage, in der die konkreten Vorteile einer genossenschaftlichen Privatisierung nochmals dargestellt wurden, bekundeten allerdings schon 30 Prozent der Mieterhaushalte ihr Interesse an einer Genossenschaft. Einzelne waren sofort bereit, im Initiativkreis an der Vorbereitung einer Gründung mitzuarbeiten.

Bewohnergenossenschaft mit 90 Wohnungen gegründet

Am 29. September 1998 wurde die „Genossenschaft Esbjergweg“ gegründet. Rund 40 Bewohnerlnnen und 20 Förderer erklärten auf der Gründungsversammlung ihren Beitritt. Vorstand und Aufsichtsrat bestehen aus BewohnerInnen und ehrenamtlichen Unterstützerlnnen der Genossenschaft. Mittlerweile sind die 90 Wohnungen am Esbjergweg in ihren Besitz übergegangen.

Im Erdgeschoss des Hauses Esbjergweg 8 wird zur Zeit eine ohnehin leerstehende Wohnung als Genossenschaftsbüro genutzt. Für das erste Jahr hat die BGI ihre Unterstützung bei der Verwaltung der Wohnungen zugesagt. Die Genossenschaftlerlnnen möchten allerdings sobald wie möglich unabhängig werden, um die Qualitäten, die die Selbstverwaltung für die BewohnerInnen mit sich bringt, auch tatsächlich spürbar zu machen. Die Eigentumsübergabe wurde im Juni mit einem großen Bewohnerfest gefeiert.

Bei den Gesprächen über das Für und Wider einer Genossenschaft haben sich in den Häusern Nachbarlnnen kennengelernt, die sich vorher noch nie gegenseitig wahrgenommen oder ein Wort miteinander geredet hatten. Die Genossenschaft ist also auf dem besten Weg, ihr in der Satzung festgehaltenes Ziel, die „Förderung des nachbarschaftlichen Zusammenlebens“, in die Tat umzusetzen.

Dipl. -Ing. Klaus Habermann-Niesse und Dipl. -Ing. Kirsten Klehn sind Stadtplanerlnnen in der PLANERWERKSTATT 1 Hannover und haben die Gründerlnnen der Genossenschaft Esbjergweg im Auftrag der BGI fachlich beraten und unterstützt.

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 5(1999), Hamburg