Kategorien
Artikel Wohnprojekte für besondere Zielgruppen

Pilotprojekt in Hamburg Wilhelmsburg:

Integratives Wohnhaus für pflegebedürftige türkische und deutsche Senioren in Planung

*** von Nina Gust und Jörg Meyer ***

MigrantInnen sind seit einigen Jahrzehnten im Alltag und in der Arbeitswelt ein vertrautes Bild. Bis vor kurzem gingen die meisten Akteure davon aus, dass die SeniorInnen im Alter „in die Heimat“ zurückkehren. Doch für viele ist Deutschland die Heimat geworden, in der sie alt werden. Dies erfordert neue Überlegungen zum Umgang mit Pflegebedürftigkeit und angepasste Angebote, z. B. von Wohn-Pflege-Gemeinschaften, die in der Lage sind, verschiedene kulturellen Hintergründe zu berücksichtigen.

In Zusammenarbeit der Hamburger Koordinationsstelle für Wohn-Pflege-Gemeinschaften, der Internationalen Bauausstellung Hamburg GmbH (IBA) und dem Fachreferat der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz (BSG) der Freien und Hansestadt Hamburg wird derzeit das Projekt Integratives Wohnhaus für pflegebedürftige türkische und deutsche Bewohner konzipiert und begleitet.

Die wichtigsten Konzeptmerkmale

  • Es soll ein Wohnhaus mit Wohngemeinschaften (WG) für türkische und deutsche Senioren entstehen, die aufgrund von Pflegebedürftigkeit (z. B. aufgrund einer Demenz) nicht mehr in ihrer Wohnung leben können.
  • Geplant sind mehrere WGs für insgesamt ca. 30 Personen, die rund um die Uhr in den Gemeinschaften betreut werden können.
  • Es handelt sich um ein integratives Projekt, wobei sich das Angebot vorrangig an türkische Senioren aus dem Stadtteil richtet.
  • Zusätzlich sind ca. 6 Wohnungen mit jeweils ca. 50 bis 55 m2 für Angehörige geplant, sowie
  • Gemeinschaftsflächen zur Förderung von Kontakt- und Begegnungsmöglichkeiten in der Nachbarschaft.

Auf der Grundlage des Hamburger Handlungskonzeptes zur Integration von Zuwanderern sollen Angebote der Regelversorgung ohne spezielle Leistungssegmente für Menschen mit Migrationshintergrund geschaffen werden, die aber in hohem Maße ihren Bedürfnissen entsprechen und zur Integration beitragen. In der Praxis werden klassische stationäre Pflegeangebote von älteren, pflegebedürftigen Zuwanderern bisher selten in Anspruch genommen, obwohl für sie angesichts einer wachsenden Zahl ausländischer Hochbetagter der Pflegebedarf zunimmt.

Der Bezug zum Stadtteil, die Schaffung von Begegnungsmöglichkeiten (z.B. im Garten) sowie die aktive Einbeziehung der Nachbarschaft sind weitere elementare Anforderungen an die Konzeption, die nicht zuletzt durch eine geeignete Architektur zu realisieren ist.

In Hamburg gibt es derzeit noch kein entsprechendes Angebot. Das geplante Wohnhaus hat daher Modellcharakter.

Merkmale von Wohngemeinschaften für pflegebedürftige Senioren

Wohngemeinschaften bieten die Möglichkeit, trotz hoher Pflegebedürftigkeit lebenslang in einer kleinen überschaubaren Gruppe zu wohnen und gleichzeitig die erforderliche Betreuung zu erhalten. Die Bewohner leben in selbst möblierten Einzelappartements mit zusätzlichen Gemeinschaftsflächen. Die Gruppengröße liegt in der Regel zwischen 8 und 12 Personen. Die Alltagsgestaltung orientiert sich an den Gewohnheiten und den persönlichen Bedürfnissen der Bewohner wie zum Beispiel den Schlafgewohnheiten, den Mahlzeiten oder den Freizeitaktivitäten (Biographiebezug). Sie nehmen an den Alltagsaktivitäten teil und werden von den Betreuungskräften einbezogen, um die Selbstständigkeit zu unterstützen. Wohnlage und Betreuungssituation eröffnen die Möglichkeit, Dienstleistungen und kulturelle Angebote des Stadtteils zu nutzen (Quartiersbezug).

Organisationsform

Mit dem Aufbau und der Organisation der WG soll dauerhaft ein Träger beauftragt werden. In seiner Verantwortung liegt die Gewährleistung der Pflege nach dem Elften Sozialgesetzbuch (SGB XI). Im Gegensatz zu einer klassischen Heimversorgung orientiert sich die Konzeption an einer ambulanten Betreuung in der eigenen Wohnung als niedrigschwelliges Versorgungsangebot mit familiärem Charakter: Wohnen steht im Vordergrund. Zentraler Bestandteil des Wohngemeinschaftskonzeptes ist die aktive Einbeziehung von Angehörigen, Betreuern und so genannten Paten in das Alltagsgeschehen.

Bauliche Anforderungen

Die Ausstattung orientiert sich grundsätzlich an einem Privathaushalt. Den Bedürfnissen nach Gemütlichkeit, Geborgenheit und privater Atmosphäre (Milieubezug) soll Rechnung getragen werden. Ebenso müssen die Voraussetzungen für eine umfassende lebenslange Betreuung (einschließlich Pflege) geschaffen werden. Das Wohnhaus ist barrierefrei zu gestalten.

Die Einzelappartements verfügen über eine kleine Küchenzeile und ein Bade zimmer mit Duschbad. Die von jedem Einzelnen zu nutzende Fläche (Individualräume und anteilig die Gemeinschaftsflächen) soll 30 m2 nicht unterschreiten.

Zu den Gemeinschaftsflächen gehört das gemeinsame Wohnzimmer, das großzügig angelegt sein soll ohne einen „Wohnhallencharakter“ zu erzeugen. Im Zentrum jeder WG liegt die Wohnküche mit ausreichend Stauraum und Platz zum Kochen und Essen für die Bewohner der WG sowie Sitzgelegenheiten für Mitarbeiter und Besucher.

Zur Teilhabe an der Gemeinschaft ordnen sich die Appartements um den Gemeinschaftsbereich an. Lange Korridore mit einer Aneinanderreihung von Zimmern sind daher ausgeschlossen. Es besteht eine direkte Verbindung vom Wohnzimmer zum Küchenbereich und ein Teil des Wirtschaftsbereiches (z. B. Waschmaschine) sollte unmittelbar in der Wohngemeinschaft liegen (Funktion: kurze Wege, aktive und passive Beteiligung). Zum Wohnhaus gehört ein Garten.

Planungsstand

Ein Grundstück der IBA steht für das Vorhaben in Hamburg Wilhelmsburg bereit und ein Team aus Investor und Betreiber wurde Ende Mai 2008 für das weitere von der IBA finanzierte architektonische Qualifizierungsverfahren ausgewählt. Die BSG fördert im Einzelfall die Schaffung von Wohngemeinschaften mit Modellcharakter durch eine Zuwendung. Das Projekt soll dann im Rahmen der IBA von Mitte 2010 bis 2013 der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Nina Gust und Jörg Meyer sind MitarbeiterInnen der Hamburger Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz und begleiten die Konzeptentwicklung für neue Wohn-Pflege-Angebote für türkische und deutsche SeniorInnen.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 15(2008), Hamburg