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STATTBAU Hamburg zwischen Hafenstraße und HafenCity

*** von Josef Bura ***

1985 wurde die STATTBAU HAMBURG gegründet. Die Zeiten waren damals aufregend. Die Sanierung der innerstädtischen Wohngebiete Hamburgs war eines der zentralen politischen Themen in der Hansestadt. Jeder drohende Abriss eines Mehrfamilienhauses beschäftigte monatelang die Öffentlichkeit. Hausbesetzungen waren an der Tagesordnung. Die Hafenstraße wurde in den frühen 80er Jahren zum bundesweit renommierten Projekt die Widerstandsfähigkeit der jungen Generation gegen drohende Abrisssanierung, zum roten Tuch für das Spießbürgertum und zum Symbol für andere, unkonventionelle Lebensformen. Heute ist Stadterneuerung nur noch ein Thema von Fachleuten, die Hafenstraße aus dem Rampenlicht der Öffentlichkeit verschwunden und man diskutiert statt dessen wohldistinguiert und fachlich ausgewogen über demografische Entwicklung, „Wachsende Stadt“ und HafenCity. Die Geschichte von STATTBAU ist ein Stück Hamburger Stadtentwicklung zwischen Hafenstraße und HafenCity.

Keiner kann sich mehr vorstellen, wie die Pläne in den 70er Jahren in Hamburg zur Sanierung der innerstädtischen Wohngebiete aussahen. Wären sie von Stadtplanern und Verwaltung umgesetzt worden, wäre Hamburg nicht wieder zu erkennen. 64-geschossige Wohntürme der Neuen Heimat über dem alten St. Georg, anstelle von Ottensen die geplante City-West, eine Schwester der City-Nord und auch St. Pauli sollte platt gemacht und mit bis zu 15-geschossigen Wohntürmen zubetoniert werden. Bis auf die Kirche sollte kein einziges Haus stehen bleiben: die sogenannte „Westliche Innere Stadt“ als Kreuzung von Osdorfer Born mit Steilshoop

Am Anfang war die Hafenstraße

Es kam nicht ganz so schlimm, aber die Stadtsanierung in den frühen 80ern sollte immer noch auf den drohenden Abriss von etwa 30 Prozent der vorhandenen Altbauten hinauslaufen. Und genau dagegen, gegen drohende Mieterhöhungen und Vertreibung der alt eingesessenen Mieter, gründeten sich von St. Georg bis Ottensen flächendeckend Mieterinitiativen. Zwar hatte Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung 1969 den Leitsatz „Mehr Demokratie wagen“ ausgegeben. Das hatte sich jedoch nicht bis ins Sanierungsgeschäft durchgesprochen. Als die Mieterinitiativen diese Demokratie und echte Mitsprache einforderten, wurden sie von den Realitäten überrollt. Die Sanierer entmieteten ganze Häuserblocks und Straßenzüge, um sie abzureißen.

Weil alles Diskutieren nichts half, besetzten junge Leute schließlich in vielen Stadtteilen leerstehende Gebäude. Die Politik reagierte mit polizeilicher Räumung und die jungen Leute danach mit Wiederbesetzung. Eine Spirale der Gewalt war in Gang gesetzt und hielt die Stadt in Atem. Anfang der 80er Jahre war fast die ganze St. Pauli-Hafenstraße besetzt. Vorher waren die meisten Altmieter herausgedrängt worden, um für die Ansiedlung des Verlagshauses Gruner und Jahr in St. Pauli-Süd Platz zu schaffen. Damit hatte Hamburg sein politisches Thema für die nächsten 10 Jahre. Räumung und Abriss oder Verhandlungen und konfliktfreie Lösung. Den damaligen Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, der die Verhandlungsoption gewählt hatte, kostete das den politischen Kopf, und der Verlag kam schließlich unterhalb des Michels am Baumwall unter.

Der Blick nach Berlin

Während viele in Senat und Hamburger Verwaltung auf die harte Räumungs-Nummer setzten, lernten andere aus Berlin: Sie schufen ein Förderprogramm zur Legalisierung von besetzten Häusern und zur Instandsetzung und Erhalt preiswerten Wohnraums: Das Programm altemativer Sanierung, das genau so funktionierte wie das Instandsetzungsprogramm in Berlin: Wenn der Besitzer zustimmte und die Besetzer willig waren, in Eigenarbeit an der Instandsetzung „ihrer“ Häuser mitzumachen, war die Stadt in bestimmten Fällen bereit, Sanierungsmittel zur Verfügung zu stellen. Vereinfacht formuliert: Die Besetzer sollten arbeiten, statt der Politik Probleme zu bereiten. Das war immerhin ein Angebot, das man klugerweise damals in manchen Fällen nicht ablehnen konnte, weder in Berlin noch später in Hamburg

In dieser Situation trat STATTBAU HAMBURG 1985 als neuer Akteur auf die stadtentwicklungspolitische Bühne, um die Kommunikation zwischen Besetzern, Hauseigentümern und der Stadt zu organisieren. Gegründet von den drei gemeinnützigen Vereinen MIETER HELFEN MIETERN, Netzwerk Selbsthilfe Hamburg und Autonome Jugendwerkstätten Hamburg dümpelte die junge Stadtentwicklungsgesellschaft bis 1987 hin. Erst dann gab es eine institutionelle Förderung von Seiten der Stadt Hamburg und damit eine echte Chance, Projekte zu realisieren. Anfänglich wurde STATTBAU von allen Seiten kritisch beäugt. Schnell konnte sich das engagierte Unternehmen als Mittler zwischen den Konfliktparteien eine unangefochtene Position erarbeiten. Das zeigte sich daran, dass die Anfragen bald von allen Seiten kamen: aus Politik und Verwaltung, besonders aber von interessierten Wohngruppen.

Wohnprojekte für Hausbesetzer

1987 waren mithin die finanziellen und fachlichen Voraussetzungen geschaffen, Wohnprojekte auf den Weg zu bringen – und auf einmal konnte geplant und gebaut werden, wo vorherjahrelang Stillstand geherrscht hatte. Mit der Instandsetzungeförderung im Rücken hat STATTBAU die ersten Wohnprojekte im Altbau mit Beteiligung der Nutzer an der Planung, mit praktischer Selbsthilfe in der Bauzeit und Selbstverwaltung während der Nutzung umgesetzt. Junge Wohnungsbaugenossenschaften wurden gegründet, um die Vorstellungen vom selbstverwalteten und nachbarschaftsorientierten Wohnen einer angemessenen Trägerform zu sichern. Die stadteigene Wohnungsgesellschaft SAGA und klassische Genossenschaften hielten sich damals sehr zurück, wenn es um Trägerschaften für besetzte Häuser und Selbstverwaltung der Nutzer ging. Es entstanden daher in Eigenregie spannende Hausprojekte in der Großen Freiheit auf St. Pauli, in der Chemnitzstraße in Altona-Nord, in der Schmilinskystraße in St. Georg und in der Schanzenstraße im Schanzenviertel, um nur einige zu nennen. Zusammen mit Berlin entwickelte sich Hamburg zu einem Experimentierfeld der Stadtsanierung. STATTBAU wurde dabei zu einem zentralen fachpolitischen Akteur, der Konflikte lösen half und den jungen Menschen zur Seite stand, wenn es um die konkrete Umsetzung ihrer Wohnvorstellungen ging. Das Wort „Abriss“ verschwand für ein Jahrzehnt aus dem Vokabular der Stadtsanierer.

Die Mauer fiel, Hamburg boomte

Als die Wiedervereinigung kam und die Handelsschranken zum osteuropäischen Raum wegfielen, wurde Hamburg in den 90ern zu einem der Gewinner dieses politischen Prozesses. Die Wirtschaft boomte, der Handel in den Osten legte zu und die Bevölkerung wuchs vom niedrigsten Stand im Jahr 1986 (1,57 Mio Einwohner) auf 1,71 Mio Einwohner im Jahr 1996, also um fast 10 %. Der Wohnungsmarkt wurde immer enger, auch weil der Flächenverbrauch pro Person anstieg. Alles, was irgendwie zu vermieten war, ging weg. Wohnungsbesichtigungen damals waren so gut besucht wie Demonstrationen heute. Das waren fette Jahre für die Wohnungswirtschaft. Der Hamburger Senat musste seine Neubauförderung steigern – und die Wohngruppenprojekte wollten auch daran teilhaben. Die mit Selbsthilfe sanierten Wohnprojekte in den vormals besetzten Häusern erwiesen sich als sehr erfolgreich. Aus anderen Teilen der Bundesrepublik kamen Architekten, Planer, Politiker und Verwaltungsfachleute, um sich darüber zu informieren.

Wohnprojekte für junge Familien

Vor allem Haushalte in der Familiengründungsphase forderten nun Wohnprojekte im Neubau, In der HamburgerVerwaltung und auch teilweise in der Politik hatte sich mittlerweile das Verhältnis zu neuen Wohnformen versachlicht. Vor allem dank des Engagements des damaligen Staatsrats in der Baubehörde, Dr. Knut Gustafsson, wurde der öffentlich geförderte „soziale“ Wohnungsbau geöffnet. 1992 konnte STATTBAU mit dem ersten Projekt des Vereins WGJA (vgl. Beitrag S. 19) auch sein erstes gefördertes Wohnprojekt im Wohnungsneubau realisieren. Mit den verschiedenen nachfolgenden Bau- und Hausgemeinschaften in Ottensen auf dem Zeisegelände ging es weiter. Die autofreie Siedlung in der Saarlandstraße ist eines der vielfältigsten und größten Wohnprojekte von STATTBAU im Neubau, weitere Projekte gingen in Bau oder sind zur Zeit in Planung.

Damit ging Hamburg bundesweit. einen neuen Weg. Mit seinen geförderten Wohnprojekten im Neubau wollte die Politik Bewohner in der Stadt halten, die ansonsten ins Umland abgewandert wären. Wohnprojekte für Jung und Alt oder für Alleinerziehende entstanden, in die oft auch neue Wohnformen für Behinderte integriert wurden. Immer noch blieben die klassischen Träger der Hamburger Wohnungsversorgung, die Genossenschaften, reserviert. Deswegen hat STATTBAU mit den Wohnprojekten viele neue Wohnungsgenossenschaften gegründet und Hamburg zur Boomtown der Neuen Genossenschaftsbewegung gemacht.

Neues Wohnen im Alter

Die Erfolge und Qualitäten dieses Hamburger Segments der Wohnungsbauförderung waren so offensichtlich, dass in der damaligen Baubehörde 2003 eine eigene Stelle für die Förderung von Bau- und Hausgemeinschaften geschaffen wurde – die Agentur für Baugemeinschaften. Mit einem besonderen Programm für selbstverwaltetes Wohnen in genossenschaftlichem und im privaten Eigentum hat das Land Hamburg zusätzlich eine Förderung aufgelegt, die genauer auf die Förderbedarfe von Wohnprojekten eingeht. Das waren Entwicklungen, die STATTBAU maßgeblich beeinflusst hat. Ende der 90er Jahre und bis jetzt änderte sich die Nachfrage noch einmal, Heute kommen vor allem auch Menschen zu STATTBAU, die neue Wohnformen als Alternativen gegen Alleinsein und Altersheim suchen. Wohnprojekte sind aus der Nische des Exotischen herausgetreten – immer mehr Menschen begreifen, dass Wohnen in den sozialen Netzwerken eines Wohnprojekte eine persönliche Chance für sie sein kann.

STATTBAU hat zusätzlich, um den existierenden Wohnprojekten ihre Aufgaben der Selbstverwaltung zu erleichtern, als Gesellschafter die Gründung der „P99 Gebäudeverwaltungs-GmbH“ betrieben und damit eine Einrichtung geschaffen, die inzwischen bundesweit vor allem Wohnprojekte bei Verwaltungsaufgaben fachlich kompetent unterstützt.

Neue Wohnformen jetzt bundesweit diskutiert

Neue Interessenten verlangen nach neuen Wegen: Eigentumsbildung in privater Hand ist heute auch in Wohngruppen möglich, Kooperationen von Wohngruppen mit Dachgenossenschaften und von Wohngruppen mit klassischen Wohnungsgenossenschaften nehmen zu. Klassische Wohnungsgenossenschaften haben Wohnprojekte als Thema entdeckt.

Wenn man in anderen Teilen der Bundesrepublik über STATTBAU, Wohnprojekte und die Vielfalt der Hamburger Projekte berichtet, fragen sich viele Zuhörer, ob Hamburg in einem anderen Land liegt. Denn nirgendwo sonst gibt es so viele aufregende Wohnprojekte und eine solche Kultur von Interessierten und Fachleuten, die gemeinsam daran arbeiten, neue Wohnformen zu entwickeln wie in Hamburg. STATTBAU ist mittendrin und hat über die Hälfte aller ca. 110 neuen Wohnprojekte, die es in Hamburg gibt, betreut. Für das zuständige Ministerium in Kiel war STATTBAU in den letzten Jahren als Berater tätig, um auch dort die Chancen für die Umsetzung von Wohnprojekten zu verbessern. Erste genossenschaftliche Projekte sind jetzt auch in Schleswig-Holstein auf den Weg gebracht.

Raus aus der Nische – aber gleich rein in die HafenCity?

Was mit Hausbesetzungen anfing, hat sich verbreitert. Das Bedürfnis nach neuen Formen des Wohnens in verbindlichen nachbarschaftlichen Bezügen ist gesellschaftsfähig geworden. Erstmalig ist ein Wohnprojekt für jung und alt, das „Wohnprojekt 13“ in der Eimsbütteler Telemannstraße als einziges Hamburger Bauvorhaben beim bundesweit renommierten Bauherrenpreis 2004 mit einer Auszeichnung versehen worden. Die Qualitäten der neuen Wohnformen werden auch anderswo wahrgenommen.

20 Jahre STATTBAU sind ein Stück Stadtgeschichte Hamburgs und ein Beitrag zur Wohnreformbewegung in der Bundesrepublik. Viele blicken inzwischen interessiert auf die neuen Wohnformen in Hamburg, um davon zu lernen.

Und übrigens: Die Häuser der Hafenstraße sind inzwischen fertig saniert. Das haben überwiegend die Bewohner in Selbsthilfe geleistet – und STATTBAU hat sie dabei unterstützt. Die Wohnungsgenossenschaft St. Pauli Hafenstraße, gegründet von Bewohnern und Unterstützern, hat inzwischen auch ein Neubauprojekt am Pinnasberg realisiert und plant mit STATTBAU ein weiteres,

Ob STATTBAU jetzt gleich auch mit Wohnprojekten in die HafenCity – neben Elbphilharmonie und Marinemuseum, Ozeanarium, Überseequartier und Kreuzfahrtterminal muss, ist noch nicht ausgestanden. Einige Wohngruppen wollen dahin – viel Geld müssen sie mitbringen und die Kriterien für Architektur und Nutzungskonzept sind mit der Realisierung nutzerorientierter Planung nicht unbedingt kompatibel. Ob man dort inmitten narzistisch anmutender moderner Architekturvielfalt ausreichend soziale Wohnqualität erwarten darf, ist fraglich. Man kann beruhigt sein: Hamburg hat noch viele andere Stadtteile, die Wohnprojekte gut vertragen können.

Josef Bura ist seit Gründung Mitarbeiter der STATTBAU HAMBURG GmbH

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 12(2005), Hamburg