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Artikel Wohnprojekte Hamburg

Alltag im Wohnprojekt

Für uns soll’s rote Rosen regnen

*** von Margret Gehrke ***

Viele Wohnprojekte arbeiten lange Zeit um ihr Projekt zu verwirklichen: Grundstückssuche, die einzelnen BewohnerInnen für die Gruppe zusammenzufinden, Planungs- und Bauzeit und dann der langersehnte Einzug. Doch auch das Zusammenleben hat seine Überraschungen…

Ein Frühlingsmorgen im Mai. Es ist Wochenende und begeistert über meine schöne neue Wohnung und den Blick  ins Grüne trete ich hinaus auf meinen winzig kleinen Balkon – eher ein Austritt – und will nur mal kurz in den Garten schauen. Ist vielleicht schon jemand draußen, kann ich schon ein „Guten Morgen“ loswerden? Ein Gefühl, das ich immer wieder aufs Neue genieße.

Tatsächlich, genau unter meiner Wohnung ist Rita am Werkeln. Die Erde vor ihrer kleinen Terrasse hat sie schon aufgebuddelt, daneben liegt ein großer Haufen Büsche. „Hallo Rita!“, ein halb beschämtes, halb pflichtschuldiges: „Was bist du schon wieder fleißig?, (Rita ist immer fleißig) „Was wird denn das?“ Rita blickt hoch. „Hallo Marion, ach weißt du, ich pack‘ das jetzt mal an, ich möchte endlich mal Blumen vor meiner Tür haben. Das wird jetzt ein Rosenbeet mit Lavendel. Die Rosen sind leicht zu pflegen und blühen den ganzen Sommer bis in den Herbst hinein. Es wird ja doch nichts mit der gemeinsamen Entscheidung, was wir hier außer den gesetzten Büschen noch pflanzen wollen. Da hab‘ ich die Sache mal in die Hand genommen.“ Recht hat sie. „Toll, Rita, da guck ich ja dann diesen Sommer noch auf ein Rosenbeet.“ Ich bin begeistert und bewundere mal wieder die tatkräftige Rita mit ihren fast 80 Jahren, so fit mochte ich später auch noch sein, wenngleich Gartenarbeit nicht unbedingt „meine Domäne“ ist. Bei Rita geht alles ruck-zuck, gegen Mittag ist das Beet fertig, die Rosenbüsche stehen dicht an dicht. Rita hat richtig tief in die eigene Tasche gegriffen.

Noch am selben Tag findet ein „gemütlicher Abend“ bei Nina statt. Sechs Frauen auf dem großen Sofa, wir wollen gemeinsam einen Film gucken. Wein und Kräcker stehen bereit. – Herz, was willst du mehr -, genau so habe ich mir das gemeinsame Leben im Wohnprojekt vorgestellt und gewünscht, Harmonie pur!! Es wird erzählt, gelacht, gefragt und dann kommt es: „Sagt mal, wie findet ihr das denn, was Rita da einfach gemacht hat?“ Ich gucke irritiert, was meint Ella? „ Also, ich finde das nicht in Ordnung, einfach eigenmächtig ein Beet anzulegen und dann noch so spießige Rosen und alles so akkurat, ich finde das richtig schrecklich.“ Die Nächste: „Ja, das muss ich auch sagen, ohne uns zu fragen, ich wollte doch einen ganz anderen Garten, wild und phantasievoll.“ Und so geht es weiter, fast alle wollen etwas Anderes, aber niemand weiß genau was, und niemand hat bisher ernsthaft etwas angeregt, geschweige denn getan. Ich traue mich zu sagen, dass ich Rosen ganz schön finde und richtig begeistert bin, dass Rita endlich mal die Initiative ergriffen hat. Aber mit dem absoluten „Wohlfühl-Feeling“ ist es für mich an diesem Abend vorbei und mein harmoniesüchtiges Herz fürchtet schon um den Hausfrieden.

Kurz und gut: Rita hat die zum Glück vorsichtig angedeutete Kritik wenig tangiert, die Rosen blühten bereits im Sommer üppig, fast alle fanden sie dann doch ganz schön und außer den Terrassen-Bewohnern hat niemand mehr die Initiative für eine „wilde und phantasievolle“ Gartengestaltung ergriffen. Heute wohnt Konrad in der Wohnung. Auch er wollte das „konservative“ Rosenbeet eigentlich so schnell wie möglich entfernen, aber auch im achten Jahr erfreuen sie uns von Anfang Juni bis spät in den November hinein mit ihrer pflegeleichten Pracht – und nicht selten schneiden sich einige von uns mehr oder weniger heimlich ein paar Zweige davon ab und freuen sich dann auch noch in ihrer Wohnung über Ritas Rosen.

Margret Gehrke ist schon lange aktives Mitglied bei der WGJA und Bewohnerin eines der drei blauen Häuser der Wohnungsgenossenschaft Jung & Alt in Klein-Flottbek.  

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 12(2005), Hamburg