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Artikel Wohnungspolitik

Bewohnergenossenschaften: das war’s?

Hamburg bremst Neugründungen von Genossenschaften aus

*** von Joachim Reinig, Architekt ***

Vor zwanzig .Jahren wurden in Hamburg die beiden ersten ehrenamtlichen Bewohnergenossenschaften der Nachkriegszeit gegründet. 1987 bildete dann Drachenbau eG in St. Georg den Auftakt für eine rasche Folge weiterer Neugründungen von Genossenschaften für Wohnprojekte in Selbstverwaltung. Bis zum letzten Jahr sind so 21 Genossenschaften entstanden, darunter zwei große Ausgründungen (in der Gartenstadt Farmsen und den Falkenried-Terrassen) und zwei Dachgenossenschaften, die offen sind für weitere Projekte. Die anderen sind nachbarschaftliche Kleingenossenschaften mit einem Wohnungsbestand von durchschnittlich 41 Wohnungen.

Die Kleingenossenschaften erfreuen sich großer Stabilität. Durch die ehrenamtliche Arbeit und Selbstverwaltung ist das Wohnen dauerhaft kostengünstig und der Spekulation entzogen. Die Fluktuation der Nutzer ist gering, die Nachfrage nach Wohnungen ist groß. Die Nachbarn sind bekannt, die notwendigen Entscheidungen werden gemeinschaftlich getroffen. Oft beleben soziale und kulturelle Initiativen das gemeinsame Wohnen und strahlen auch in den Stadtteil aus. Eigentumsorientierte Genossenschaften profitierten in den letzten Jahren sogar von der Eigenheimzulage, die in beschränktem Umfang auch genossenschaftlichem Wohnen zugute kam.

Expertenkommission: Genossenschaftsneugründungen fördern!

Eine Expertenkommission der Bundesregierung empfahl letztes Jahr, gerade Neugründungen von Genossenschaften zu erleichtern und eine Renaissance genossenschaftlichen Wohnens einzuleiten. Der Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen forderte im Jahr 2002 die Unterstützung neu gegründeter Wohnungsgenossenschaften insbesondere bei der Privatisierung von größeren Wohnungsbeständen, die durch die Finanznot der Städte allerorts fortschreitet. Hunderttausende von Wohnungen sind in den letzten Jahren in die Hand von Spekulanten geraten und es werden immer mehr. Insbesondere internationale Rentenfonds kaufen offensiv ehemals gemeinnützige Wohnungsbestände auf, da sie ein gewaltiges ,,Wertsteigerungspotential‘ im deutschen Wohnungsmarkt entdeckt haben. Inzwischen zeigt sich, dass die Mieter die Zeche zahlen mit dem Verkauf ihrer Wohnung oder der Vernachlässigung der Instandhaltung der Wohnungen.

Zu hohe Grundstückspreise

Auf diesem Hintergrund ist es völlig unverständlich, dass die Phase der Neugründungen von Kleingenossenschaften in Hamburg offensichtlich vorbei ist. Das liegt nicht an der mangelnden Nachfrage. Viele Projektgruppen planen nach wie vor eigene Genossenschaften – sie scheitern jedoch zunehmend an der Finanzierung. Hamburg hat sich mit dem CDU-Senat zu einer eigentumsorientierten Wohnungspolitik entschieden. Baugemeinschaften werden zwar auch noch öffentlich gefördert, insbesondere für Familien mit Kindern. Die Grundstückspreise wurden vom Senat und der Kommission für Bodenordnung jedoch so hochgeschraubt, dass neue Genossenschaften diese nicht mehr finanzieren können. So werden auf den Baugemeinschaftsgrundstücken am Eilbecker Krankenhaus Grundstückspreise von 500 Euro pro qm Wohnfläche verlangt- vor 5 Jahren lag der (subventionierte] Grundstückspreis noch bei 430 DM!. Preise über 500,- Euro pro qm Wohnflächen werden bei Genossenschaften nicht gefördert, so dass Grundstücke z. B. an der Kleinen Horst, Jarrestraße oder Lastropsweg für neue Genossenschaften unbezahlbar werden. Die Förderung durch die Hamburgische Wohnungsbaukreditanstalt ist 2003 reduziert worden, so dass Kostensteigerungen und Baugrundrisiken wie Altlasten und schlechter Boden ein erhebliches Risiko darstellen. Der vorgesehene Eigenanteil von 200-250 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche reicht deshalb oft nicht mehr aus. Die Projektförderung wird zudem Jahr für Jahr abgesenkt, so dass Mietsteigerungen notwendig werden, die in keinem Verhältnis stehen zu der realen Einkommensentwicklung. Insbesondere junge Menschen mit Kindern können das nicht mehr bezahlen. Eine Wohnungsbaupolitik, die junge Familien in der Stadt halten will, muss Wohnen bezahlbar gestalten.

Als Alternative unter das Dach einer großen Genossenschaft schlüpfen

Als Alternative haben sich in den letzten Jahren einige Wohngruppen entschieden, unter das Dach einer traditionellen Genossenschaft zu schlüpfen. Durch ihre großen und entschuldeten Wohnungsbestände haben diese Genossenschaften meist ausreichende Finanzreserven. Sie können leichter hohe Grundstückspreise verkraften und müssen die Baukosten geringer fremdfinanzieren. Die Genossenschaftsanteile liegen bei traditionellen Genossenschaften bei etwa 70-90 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche – ein einleuchtendes Argument gegen eine selbstverwaltete Neugründung.

Genossenschaften wie die Langenfelder oder der Harburger Eisenbahnbauverein wissen Wohngruppen inzwischen auch zu schätzen. Mit Bewirtschaftungsverträgen geben sie Wohngruppen Mitbestimmungsrechte z. B. bei dem Vorschlag von Nachmietern oder bei der Bewirtschaftung von Gemeinschaftsräumen und Außenanlagen. Die Wohnungsverwaltung wird so erleichtert, die Wohnzufriedenheit erhöht und die Belegung stabilisiert. Außerdem haben sie so Zugang zur sozialen Wohnungsbauförderung, die außerhalb von Baugemeinschaften nur noch für Studenten und Senioren gewährt wird. Für die BewohnerInnen ist die Selbstverwaltung aber auch eingeschränkt. Über die Instandsetzung entscheidet die Trägergenossenschaft, die Bewohner haben Einzelmietverträge. Nachträgliche bauliche Veränderungen – ein besonderes Spielbein von Kleingenosenschaften, um die Baustruktur an Veränderungen der Bewohnerstruktur anzupassen – sind wesentlich schwieriger. Schließlich müssen die Interessen aller Genossenschaftsmieter betrachtet werden und nicht nur die der Hausgemeinschaft.

Der Bund fördert die Entwicklung genosenschaftlichen Wohnens durch mehrere Forschungsvorhaben in Hamburg insbesondere in Hinblick auf Kooperation von neuen und traditionsreichen Genossenschaften. Diese Entwicklung kann man nur mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten. Erfreulich ist es, dass traditionelle Genossenschaften neue Wohnformen ausprobieren und zum Paten von Hausgemeinschaften werden. Bedauerlich ist es, wenn Genossenschaftsneugründungen als ehrenamtliche Genossenschaften nicht mehr möglich sind. Die Hamburger Kleingenossenschaftsbewegung ist Vorbild für viele Initiativen in anderen deutschen Städten. Sie wird ausführlich beforscht und ist nach wie vor Ziel vieler Fachexkursionen. Im sozialen Zusammenleben, im ökologischen und kostengünstigen Bauen und Wohnen, im Denkmalschutz, in der Kinderfreundlichkeit und im Zusammenleben der Generationen haben Kleingenossenschaften Standards gesetzt.

Es ist zu hoffen, dass die Förderbedingungen für Baugemeinschaften so weiterentwickelt werden, dass die Erfolgsgeschichte von Hamburger Kleingenossenschaften weitergeschrieben werden kann. 

Mieter- und Kleingenossenschaften in Hamburg

JahrNameWE
1985Baugenossenschaft Groß-Borstel eG46
1985Bau- und Wohngenossenschaft Wolfgang-Borchert-Siedlung eG34
1987Drachenbau St. Georg Wohngenossenschaft eG29
1988Mietergenossenschaft Falkenried-Terrassen eG324
1989Wohnungsbaugenossenschaft Königskinder eG6
1992Mietergenossenschaft Gartenstadt Farmsen eG2554
1993(D)Wohnungsbaugenossenschaft Schanze e.G.251
1993HausArbeit Wohnungsbaugenossenschaft eG12
1994Ottenser Dreieck Wohnungsgenossenschaft eG44
1995Bau und Wohngenossenschaft Osterkirchenviertel eG29
1995Wohnungsbaugenossenschaft Wendebecken eG33
1996Bau- und Wohngenosserischaft Brachvogel eG69
1996Wohnwarft – Genossenschaft für autofreies Wohnen eG31
1996Wohnungsbaugenossenschaft Jung und Alt eG20
1998Lohmühle Wohngenossenschaft eG (Familie Semmeling)16
1999Wohnungsbaugenossenschaft „Ecken und Kanten“ eG20
2001Genossenschaft St. Pauli Hafenstraße eG9
2001Genossenschaft Alternativen am Elbufer eG62
2002(D)Wohnreform eG – Genossenschaft für gemeinschaftliches Wohnen und Bauen22
2002Wohnungsbaugenossenschaft Markthof eG15
2004Genossenschaft Greves Garten eG30
(D) Dachgenossenschaft

Bilanz: 19 Kleingenossenschaften mit 788 Wohnungen, im Mittel 41 Wohnungen pro Genossenschaft 2 Mietergenossenschaften mit 2878 Wohnungen (Falkenried und Farmsen) Stand 2005, angegeben ist das Gründungsjahr oder das Fertigstellungsjahr der Gebäude   

Joachim Reinig ist Architekt und hat mitgeholfen zahlreiche Baugemeinschaften in Hamburg zu realisieren: „Die Häuser denen, die drin wohnen! “ Er selbst wohnt seit 1987 bei Drachenbau eG.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 12(2005), Hamburg