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Artikel Wohnprojekte Hamburg

Konfliktlösung durch Mediation

Streit im Wohnprojekt

*** von Andree Lagemann ***

Die nervenaufreibende Planungs- und Bauphase im Wohnprojekt ist endlich abgeschlossen. Alle haben sich soweit eingerichtet. Die Genossen fangen an, sich wohl zu fühlen im netten Haus, da bemerken Frau Weber und Herr Behrens, dass ihre Mitbewohner, die Familie Zieck, die in die Oberwohnung gezogen ist, offensichtlich ausgesprochene Fußballfans sind. Jedenfalls nutzen sie jede Gelegenheit – und es gibt aus Sicht des Paares Behrens/Weber erstaunlich viele davon – Fußballspiele vor dem Fernseher zu verfolgen.

Bei diesen Fernsehabenden wird auch offenbar ordentlich dem Alkohol zugesprochen, so dass die Torschreie bzw. das Aufstampfen der Schuhe im Laufe des Abends immer lebhafter und lauter werden. War das Paar Fußball gegenüber bisher durchaus aufgeschlossen gewesen, ändert sich diese Haltung zusehends. Wenn jemand aus der Familie Zieck begeistert von dem „geilen“ Spiel von gestern Abend im Treppenhaus erzählt, versuchen Frau Weber und Herr Behrens, so schnell wie möglich aus der Gesprächssituation herauszukommen. Mehrmals dämpfen sie auch die Begeisterung ihrer Mitbewohner, indem sie in das Gespräch einfließen lassen, dass es doch am Vorabend sehr laut gewesen sei und dass sie daher nicht einschlafen konnten, Frau Weber wendet sich sogar einige Male direkt an Frau Zieck und bittet sie, die Fußballfernsehabende doch auch einmal außer Haus zu verbringen. Dieser Wunsch wird von Frau Zieck aber überhört, so dass sich an der Situation nichts ändert. Frau Weber und Herr Behrens fühlen sich zunehmend gestört von den oft zwei- bis dreimal in der Woche stattfindenden Fernsehabenden. Das Ehepaar Zieck hingegen wundert sich, dass ihre Nachbarn, mit denen sie während der Planungsphase ganz besonders gut verstanden haben, zunehmend einsilbig und unfreundlich ihnen gegenüber auftreten. Auf einem der monatlich stattfindenden Wohnprojekttreffen kommt es sogar anlässlich der Frage, ob eine neue Gemeinschaftssatellitenschüssel, über die sehr viel mehr Pro- gramme empfangen werden können, installiert werden soll, zu einem heftigen Streit zwischen Herrn Zieck und Herrn Behrens, die trotz der Vermittlungsversuche anderer Hausbewohner in wüsten Beschimpfung endet.

Der Streit eskaliert

Von diesem Tag an ist zwischen Frau Weber/Herrn Behrens und der Familie Zieck nichts mehr wie früher. Im Treppenhaus grüßt man sich nicht mehr sondern geht mit verkniffenen Mundwinkeln aneinander vorbei. Frau Weber denkt bereits an einen Umzug. Doch Herr Behrens meint, dass er einen Umzug nicht einsehen könne, da er eine Menge Zeit und Geld in das Wohnprojeltt investiert habe. Außerdem sei er auch „aus Prinzip“ nicht bereit, zu weichen, er störe den Frieden im Haus ja nicht. Unter dem schlechten Verhältnis zwischen den beiden Parteien leidet auch das Gemeinschaftsleben im gesamten Wohnprojekt. Es bilden sich zwei Lager – die Fußballfreunde und die Fußballhasser. Die monatlichen Wohnprojekttreffen werden immer schlechter besucht und im Jahr darauf finden sich nicht einmal genügend Menschen, die Lust haben, das gemeinsame Sommerfest zu organisieren…

Streitereien dieser oder ähnlicher Art kommen nicht nur in „normalen“ Mietverhältnissen, sondern auch in Wohnprojektgruppen immer wieder vor. Oft reden die Beteiligten aber nicht miteinander – wie hier – und erfahren gar nicht, warum sich die Nachbarn ihnen gegenüber so feindselig verhalten. Wenn die Beteiligten es schaffen, miteinander zu reden, können sie auch eine Lösung finden: Familie Behrens könnte die Fernsehabende irn Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss mit der besonders schallisolierten Decke verbringen, man könnte sich auf bestimmte Fernsehabende einigen, etc. Eine Plattform zu schaffen, damit Konfliktbeteiligte in solchen Situationen wieder miteinander ins Gespräch kommen und die Sache klären können, das ermöglicht Mediation. Das Verfahren bietet nach den Erfahrungen von Mieter helfen Mietern die Chance, die Ursache eines Konflikts aufzudecken und miteinander zerstrittene Menschen an einen Tisch zu bringen.

Kreative Lösungen müssen her

Ein neutraler Vermittler, der Mediator, ermöglicht den Konfliktbeteiligten, dem Streit auf den Grund zu gehen. Ziel ist es, eine für beide Seiten gute Lösung zu finden. Häufig ermöglichen Mediationen Lösungen, an die die Beteiligten vorher, in ihrer Wut überhaupt nicht gedacht haben. Anders als im „klassischen“ Schlichtungs- oder Gerichtsverfahren wird den Beteiligten keine Lösung „von oben“ verordnet sondern sie erarbeiten sich „ihre“ Lösung selbst mit Unterstützung des Mediators. Selbstverständlich wird der Konflikt vom Mediator vertraulich behandelt. Mieter helfen Mietern bietet inzwischen seit einem dreiviertel Jahr seinen Mitgliedern bei Nachbarschaftsstreitigkeiten an, diese mit Hilfe erfahrener Mediatoren zu lösen. Hintergrund für diesen neuen Service war, dass die juristische Konfliktlösung bei Nachbarschaftsstreitigkeiten regelmäßig höchst unbefriedigend blieb, da die „eigentlichen“ Themen der jeweiligen Konflikte in der juristischen Auseinandersetzung in der Regel keine Rolle spielen. Mieter helfen Mietern hat bisher gute Erfahrungen gemacht. Auch bei Streitigkeiten unter Menschen in Wohnprojekten kann eine Mediation den Beteiligten helfen, Lösungen zu finden, bei denen beide Seiten gewinnen.

Andree Lagemann, Juristin, ist seit 1996 in der Beratung beim Hamburger Mieterverein, Mieter helfen Mietern, tätig.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 12(2005), Hamburg