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Die ersten Hamburger Wohnprojekte-Tage

*** von Josef Bura ***

Über 60 Wohngruppenprojekte sind seit Beginn der 80er Jahre in Hamburg entstanden. Die Hansestadt ist damit eine Hochburg für selbstorganisiertes Gruppen-Wohnen in der Bundesrepublik. Ist das ein Grund, sich auf die Schulter zu klopfen und von Pionierleistungen der Hamburger Wohnungspolitik zu reden? Die Frage beantwortet sich selbst, wenn genauer auf die Realitäten geschaut wird.

40 bis 80 Wohnungen werden pro Jahr von und für Wohngruppenprojekte errichtet. Das entspricht ein bis zwei Prozent des geförderten Bauvolumens. Wohnungsbau für Wohngruppen ist damit eine Randerscheinung im öffentlich geförderten Wohnungsbau Hamburgs.

Die Nachfrage nach selbstorganisierten Wohnformen ist ungleich größer. Die meisten Wohngruppen stehen mehrere Jahre auf Wartelisten, um ein städtisches Grundstück für ein Mehrfamilienhaus zu erwerben. Denn dieses – und die öffentliche Förderung – sind Voraussetzungen dafür, einigermaßen preiswerten Wohnraum in Hamburg erstellen zu können. Wegen dieser Diskrepanz ist es sinnvoll, in die Öffentlichkeit zu gehen und
die Beteiligten und Interessierten zu Wort kommen zu lassen.

Wohngruppen- Wohnen: wofür ist sowas gut?

Es ist noch nicht lange her, da wurden gemeinschaftliche Wohnprojekte als
kurzlebige Modeerscheinung und als ein Bedürfnis von überwiegend jungen Menschen bezeichnet. Heute stellt sich die Situation anders dar. Die Projekte, in denen Bauen und Wohnen in der Gruppe realisiert wird, zeigen eine große Vielfalt. Jung und alt leben gemeinsam, Alleinerziehende mit alleinlebenden Frauen, junge Familien mit Wohngemeinschaften, Behinderte mit Nichtbehinderten usw.

So verschieden die Menschen sein mögen, die in Wohngruppen-Projekten leben, einiges haben sie gemein.

  • Es geht ihnen um mehr als die Wohnung. Eine sozial aufmerksame Nachbarschaft ist ihnen wichtig.
  • Sie wollen mitbestimmen bei den Grundrissen, bei der Belegung und bei der Verwaltung ihrer Gebäude und Wohnungen.
  • Sie wollen gesund wohnen, mit möglichst unschädlichen Baustoffen,
  • mit weniger – oder völlig ohne – Autos und mit behutsamer Nutzung der Ressourcen.
  • Sie wollen die Abhängigkeit vom Vermieter abbauen, indem sie ihre Wohnhäuser selbst verwalten.
  • Sie integrieren Menschen in ihre Wohnprojekte, die sonst auf dem Wohnungsmarkt Schwierigkeiten haben: z.B. Behinderte, alleinstehende Frauen (mit Kindern), Wohnungsnotfälle usw.

Es gibt also viele Gründe, weswegen sich in einer Zeit der zunehmenden sozialen Vereinzelung mehr Menschen für Wohngruppen-Wohnen interessieren.

Ein Forum für Fachleute, Beteiligte und Interessierte

Die Idee ist geklaut – aus München. Dort gibt es zwar bedeutend weniger Wohnprojekte – aber seit Jahren Wohnprojekte-Tage: mit wachsenden Teilnehmerzahlen – und inzwischen auch mit mehr realisierten Projekten.

Die ersten Hamburger Wohnprojektetage sind ein Forum, um sich zu artikulieren. Information, Verständigung und Vernetzung sind Leitziele für die verschiedenen Veranstaltungen: Infostände bieten die Chance der Selbstdarstellung und des Austauschs. Der Besuch eines Wohnprojektes läßt einen Einblick in den Alltag von Wohnprojekten zu. In den Workshops geben Fachleute und Beteiligte Auskunft: NutzerInnen, ArchitektInnen und BetreuerInnen, allesamt mit viel Erfahrung in der Umsetzung von Wohngruppenprojekten, stehen zur Verfügung, um Interessierten Orientierungen auf ihre Fragen zu geben.

Viele, die ein Wohnprojekt machen wollen, haben Schwierigkeiten damit, Gleichgesinnte zu finden. Auch daran ist gedacht. Auf dem Markt der Möglichkeiten können die eigenen Vorstellungen vom Wohnen zu erläutert werden, man/frau kann sich verabreden und austauschen. Doch das reicht nicht aus. An Ort und Stelle wird es daher auch ein Angebot geben, sich in eine Datenbank einschreiben zu können. Damit kann Kontakt zu Personen aufgenommen werden, die ähnliche Vorstellungen vom Wohnen haben.

Wohnprojekte in Hamburg – was leisten sie in der Stadt

Gruppen-Wohnprojekte in Hamburg verdanken ihre Existenz der eigenen Durchsetzungsfähigkeit und der Unterstützung durch Politik und Verwaltung. Sie bilden einen wichtigen Beitrag für das städtische Leben in der Hansestadt.  

  • Wohnprojekte gehen auf die Wohnbedarfe von neuen Haushaltstypen ein. Sie geben diesen die Möglichkeit, ihre Lebensformen umzusetzen und sind damit moderne Bestandteile der Vielfalt urbanen Wohnens.
  • Wohnprojekte tragen positiv zum Stadtbild bei, indem sie gestalterische Akzente setzen: Durch den Erhalt von Wohnhäusern und Ensembles oder durch moderne Architektur setzen sie städtebauliche Zeichen.
  • Hamburger Wohnprojekte sind Gegenstand von Forschungsstudien, Anlaufstellen für Fachleute und Stadtrundgänge und erfreuen sich bundesweiter Aufmerksamkeit.
  • Wohnprojekte sind Orte der Selbststeuerung und der aktiven Selbsthilfe.
  • Ihre Mitglieder nehmen ihre Wohnraumversorgung selbst in die Hand und praktizieren Strategien des Empowerments.
  • Viele haben an alte genossenschaftliche Traditionen angeknüpft und diese vor den heutigen Anforderungen der Wohnungspolitik neu interpretiert.
  • Wohnprojekte fördern den sozialen Zusammenhalt in der Stadt, indem sie daraus Nutzen ziehen, daß sich Menschen mit gleichgelagerten Lebenslagen im Alltag ergänzen können und indem sie gleichzeitig Menschen integrieren, die sozial benachteiligt sind.
  • Wohnprojekte wirken nach außen, weil ihre Mitglieder sich als aktive BürgerInnen der Stadt verstehen und politisch in die Stadtteile und die Stadt hineinwirken.

Die Förderung von selbstorganisierten und selbstverwalteten Wohnprojekten in Hamburg ist mithin ein Bestandteil städtischer Wohnungspolitik, die über die reine Wohnraumversorgung hinaus Akzente im sozialen Gefüge der Stadt setzen will.

Josef Bura ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der STATTBAU HAMBURG GmbH

Zuerst veröffentlicht: FREIHAUS 1(1997), Hamburg