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Artikel Wohnungspolitik

Allgemeine Wohnungsknappheit bleibt bestehen

Die Letzten beißen die Hunde

*** von Tobias Behrens ***

Dringlichkeitsscheine sollen eigentlich besonders bedürftigen Menschen den Zugang zu einer bezahlbaren Wohnung sicherstellen – doch leider versagt das System zur Wohnraumversorgung für diese Zielgruppe.

Anfang 2016 hat der Senat in der Drucksache DS 21/2905 festgestellt: „Die Versorgungssituation der anerkannt vordringlich Wohnungsuchenden hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter zugespitzt“. Aus diesem Grund wurde bereits in 2014/15 eine Arbeitsgruppe in der zuständigen Baubehörde eingerichtet, die Vorschläge zur Lösung dieses Probleme erarbeiten sollte. An dieser AG wurden neben den Vertretern der Behörden und der wohnungswirtschaftlichen Verbände u. a. auch Vertreter von der Diakonie, Mieter helfen Mietern (MhM) und STATTBAU Hamburg eingeladen.

In der AG wurden eine Reihe von Vorschlägen entwickelt, die aus Sicht von MhM, Diakonie und STATTBAU Hamburg geeignet gewesen wären, das Problem ernsthaft anzugehen. Hierzu gehören u. a. Vorschläge zur Erhöhung der Versorgungsverpflichtung der SAGA, die Höhe der jährlichen leistungsbezogenen Sondervergütung der SAGA Vorstände an die Verbesserung der Unterbringung von vordringlich Wohnungsuchenden zu koppeln, die Freistellungsgebiete aufzugeben, bei Baumaßnahmen ohne vorhandenes Baurecht immer 50% aller Wohnungen für die vordringlich Wohnungssuchenden zu reservieren, bei allen sonstigen Baumaßnahmen regelhaft überall 10% der Wohnungen für die vordringlich Wohnungssuchenden bereit zu stellen, und anderes mehr.

VORSCHLÄGE EINER EXPERTEN ARBEITSGRUPPE WURDEN NUR ZUM TEIL UMGESETZT

Bereits Ende 2014 lag ein konkreter Drucksachenentwurf aus dieser Arbeitsgruppe vor, der mit konkreten Formulierungen das Thema voranbringen wollte. Zum Beispiel: „Die Senatskommission fordert die zuständigen Behörden auf, konkrete Maßnahmen umzusetzen, die das Ziel erreichen, in den kommenden fünfjahren die Zahl der 10.000 – 12.000 unversorgten Dringlichkeitsfälle zu halbieren, d. h. 1.000 – 1.200 zusätzliche WA-Bindung jährlich auf dem Wohnungsmarkt bereitzustellen. Darüber hinaus soll die BSW [Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen] jährlich über die Umsetzung der Maßnahmen der Senatskommission Bericht erstatten. Sollte sich die Zahl der unversorgten Dringlichkeitsfälle weiter erhöhen, muss auch durch geeignete Maßnahmen, die im Einzelnen darzustellen sind, die Zahl der zusätzlichen WA Bindungen weiter erhöht werden.“

Diese Forderungen gingen der damals zuständigen Behördenleitung wohl zu weit. Monatelang wurde weiter über die konkrete Ausformulierung der Drucksache gestritten. Die Anmerkung der wohnungswirtschaftlichen Verbände wurden sehr ernst genommen. So forderte der Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen u. a. deren Freistellungsgebiete nicht aufzugeben und keine regelhafte zehnprozentige Verpflichtung für WA Wohnungen einzuführen. Außerdem wurden eine Reihe weiterer Vorschläge unterbreitet, die immer andere betrafen, z.B. die Erhöhung der Sätze für Kosten der Unterkunft (KdU), die Verstärkung der bezirklichen Fachstellen oder Schaffung eine Flüchtlingsbeauftragten.

Erst im September 2016 – also etwa 20 Monate nach Vorlage des 1. Entwurfs – wurde das „Gesamtkonzept zur Versorgung von anerkannt vordringlich Wohnungsuchenden mit Wohnraum“ (Drucksache 21/2905) vorgelegt und beschlossen.

VERSORGUNGSLAGE WEITER KRITISCH

Nun, drei weitere Jahre später, legt der Senat einen „Bericht über die Umsetzung des Gesamtkonzepts zur besseren Versorgung von anerkannt vordringlich Wohnungsuchenden mit Wohnraum“ vor. Darin berichtet der Senat, dass alle „im Gesamtkonzept vorgesehenen Maßnahmen kontinuierlich und zielgerichtet umgesetzt werden.“ Dennoch räumt er ein, dass nach wie vor ein dringender Handlungsbedarf besteht, weil die Versorgungslage weiter kritisch ist. Wenn man sich die konkreten Zahlen anschaut ist die Lage nicht nur kritisch, sondern dramatisch schlecht: Waren 2015 noch ca. 7.857 Personen unversorgt, sind es 2018 bereits 11.768 Menschen. Obwohl sich mit dem Gesamtkonzept die Versorgungslage verbessern sollte, ist sie viel schlechter geworden. Vor dem Hintergrund, dass Anfang 2019 immerhin noch 35.000 Wohnungen in Hamburg eine sogenannte WA Bindung besaßen, diese Zahl aber bis zum Jahr 2030 vermutlich auf 18.000 Wohnungen abschmelzen wird, ist die Lage eigentlich katastrophal.

Und auch das viel gelobte Bündnis für das Wohnen in Hamburg, dass in seinen beiden Vereinbarungen von 2011 und 2016 versprochen hatte, „[…] die Versorgung von Wohnungsnotfällen als prioritäre gesamtstädtische Aufgabe“ anzugehen und wahrzunehmen (jeweils in der Präambel 2011 + 2016), muss in diesen Punkt als vollständig gescheitert angesehen werden. Und eigentlich müsste das Bündnis für das Wohnen eher in „Bündnis der Vermieter“ umbenannt werden, denn zum Wohnen gehört viel mehr als die technische, finanzielle und rechtliche Herstellung von Wohnungen. Wohnen ist ein Menschenrecht, auf das jeder Mensch in unserer Gesellschaft einen Anspruch hat. Politik muss diesen Anspruch sicherstellen und denjenigen, die sich nicht selbst mit ausreichend Wohnraum versorgen können, die entsprechende Hilfestellung geben. Das sehenden Auges zu missachten, darf nicht länger geduldet werden.

Tobias Behrens hat in einer Arbeitsgruppe mitgearbeitet, die in den Jahren 2014/I5 die Baubehörde beim Thema vordringlich Wohnungssuchende beraten hat.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 24(2019), Hamburg