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Artikel Wohnprojekte national/international

An der nachhaltigen Stadt bauen

Kraftwerk für genossenschaftliche Impulse

*** von Andreas Hofer ***

Bei der Suche nach Alternativen zum privaten Immobilienmarkt auf der einen und sozialer Segregierung und kaum mehr finanzierbaren Wohnbauprogrammen auf der anderen Seite rücken partizipative, im Quartier verankerte Initiativen in den Vordergrund. Die starke und lange Tradition der Genossenschaftsbewegung in den schweizerischen Industriestädten und die nachbarschaftlich orientierte Projekteszene verbinden sich in Zürich zu einer innovativen Mischung.

Mindestens seit die Industrialisierung die Städte geöffnet hat – in Zürich fielen die Stadtmauern Mitte des neunzehnten Jahrhunderts – ist die Qualität des städtischen Wohnens und die Frage nach dem Recht auf Zentralität* ein politisches Dauerthema.

* the right to the city heute breit gebrauchter, ursprünglich vom französischen Urbanisten Henri Lefebvre geprägter Begriff,

www.righttothecity.org

Überfüllte Mietskasernen, miserable hygienische Bedingungen, Wohnverhältnisse, wie wir sie heute aus den Slums explodierender Metropolen kennen und ein anhaltender Wohnungsmangel, lösten politische Proteste aus und führten zu staatlichen Eingriffen in den Wohnungsmarkt. In den westeuropäischen Ländern entwickelte sich eine Mischung aus staatlicher Kontrolle (Mietgesetze und bauliche Vorschriften) und direkten Interventionen der öffentlichen Hand mit kommunalem und sozialem Wohnungsbau. Diese Zweiteilung des Wohnungsangebots ist in der Krise: Im internationalen Standortwettbewerb buhlen die Städte um Investoren und liberalisieren in diesem Kampf soziale Sicherungen. Vor allem dort, wo sozialer Wohnungsbau als Massenwohnungsbau an der Peripherie betrieben wurde, drohen die gesellschaftlichen Strukturen zu zerfallen, zeigt sich Perspektivlosigkeit und fehlen die Ideen und die finanziellen Ressourcen für aufwändige bauliche und soziale Reparaturen.

Im Jahre 1907 beschloss die Bevölkerung der Stadt Zürich in einer Abstimmung, die „Förderung günstiger und gesunder Wohnungen“ zu einer kommunalen Aufgabe zu machen. In den folgenden Jahren entstanden Siedlungen mit mehreren hundert Wohneinheiten sowohl inmitten der gründerzeitlichen Arbeiterquartiere wie auch am damaligen Stadtrand.

Berufsverbände staatlicher Angestellter (Eisenbahn, Beamte) gründeten vor dem I. Weltkrieg Genossenschaften und bauten für ihre Mitglieder. Es folgten weitere Genossenschaften (Allgemeine Baugenossenschaft Zürich, Familienheimgenossenschaft Zürich), die schon in ihrem Namen ein offeneres Zielpublikum ausdrückten. Ein bis heute gültiges Gesetz regelte 1924 die Zusammenarbeit zwischen der Kommune und den Genossenschaften. Der kommunale Wohnungsbau mit einem großen Anteil an geförderten Wohnungen und einem Anteil von sechs Prozent aller Mietwohnungen kümmert sich vorwiegend um die Versorgung wirtschaftlich schwacher Haushalte und um die Wohnbedürfnisse von Gruppen, die auf dem ausgetrockneten privaten Markt nur wenig Chancen haben (kinderreiche Familien, ältere Menschen, Menschen in Not). Die Genossenschaften versorgen die unteren und mittleren Schichten (gelernte Arbeiter, Angestellte) mit dauerhaft der Spekulation entzogenem, aber nur zu einem kleinen Teil mit staatlichen Mitteln vergünstigten Wohnraum. Ihr Marktanteil beträgt mit 40.000 Wohneinheiten fast 20 Prozent. Bis auf wenige Ausnahmen gehören die mittlerweile über 120 Genossenschaften unterschiedlichster Größe ihren Mietern. Sie sind juristisch unabhängige Unternehmungen, deren Verbindung zu den Behörden auf freiwilligen Abmachungen beruht. Durch die Erklärung zur Gemeinnützigkeit erhält eine Genossenschaft das Privileg, städtisches Land in Erbpacht erwerben zu können, sie erhält finanzielle Unterstützung in Form von Bürgschaften und Darlehen aus der städtischen Pensionkasse und administrative Hilfe durch das „Städtische Büro für Wohnbauförderung“ sowie weitere Amtsstellen, welche z.B. Architekturwettbewerbe organisieren oder Mietstreitigkeiten schlichten. Auf der anderen Seite verpflichten sich gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften zum Prinzip der Kostenmiete mit Verzicht auf spekulative Aufwertungen der Grundstücke, zu einem Vorkaufsrecht der Kommune und zu einer jährlichen Prüfung ihrer Geschäftsbücher durch eine Amtsstelle.

Als die Stadt Zürich 1934 mit acht Bauerngemeinden im Umland fusionierte, waren die Baugenossenschaften strategische Partner für die Urbanisierung dieser Gebiete. Sie füllten die großflächigen Gartenstadtplanungen mit ihren Siedlungen und ermöglichten das massive Stadtwachstum der Nachkriegszeit.

Niedergang und Protest

Seit den frühen sechziger Jahren hat Zürich fast zwanzig Prozent der Bevölkerung verloren. Eine stagnierende Wohnungsproduktion, die Massenmotorisierung, die je nach Lesart Stadtflucht oder Landsuche ermöglichte und eine scharfe Konkurrenz mit dem expandierenden Dienstleistungsbereich um Fläche führten zusammen zum eigentlichen Niedergang der Wohnstadt. Den Tiefpunkt erreichte diese Entwicklung Ende der achtziger Jahre mit einer der größten offenen Drogenszenen Europas, ungehemmter Spekulation und Wohnraumverdrängung und einem Imageverlust der einst mittelständischen Stadtrandquartiere. Es war von der A-Stadt die Rede, der Stadt der Alten, der Ausländer, der Arbeitslosen und der Auszubildenden.

Parallel zum Verlust städtischer Attraktivität hatten sich in den schweizerischen Städten schon seit einiger Zeit, die wohl historisch ersten, eigentlichen, urbanen Bewegungen gebildet. Während die Arbeiterbewegung die städtische Dichte als Teil der kapitalistischen Ausbeutungsstrategie verteufelte und die 68er-Bewegung nach dem Studienabschluss sozialromantisch in Reihenhaussiedlungen auf dem Land verschwunden war, lebte die Jugendbewegung 1980 mit schriller Grafik, Punk, Besetzungen und Demonstrationen eine urbane Kultur. Am Anfang stand die Forderung nach kulturellen Freiräumen im Vordergrund. Bald gewann aber die Wohnfrage an Bedeutung. Ende der achtziger Jahre hatte sich eine große Besetzerszene etabliert und wöchentliche Wohnungsnotdemonstrationen trieben die Polizei und die innerstädtischen Geschäftsinhaber zur Verzweiflung. 1991 krachte der grotesk aufgeblasene Immobilienmarkt zusammen und hinterließ ein wirtschaftliches Vakuum, das in den folgenden Jahren eine Neuerfindung des Städtischen ermöglichte. Das Spielfeld waren die Industrieareale, riesige, zentrumsnahe Gebiete. Ihre Verwandlung in monofunktionale Bürolandschaften war eigentlich schon beschlossen, fand dann aber mangels Nachfrage nicht statt.

Im politischen Kampf gegen Wohnraumverdrängung und Abriss erprobte in den besetzten Häusern eine junge Generation von Aktivisten einen neuen Lebensstil. Wohngemeinschaften waren selbstverständlich, mit Kellerbars, Dachkinos und temporären Ausstellungsräumen entstanden die Freiräume, welche die verkrustete offizielle Kultur nicht zu bieten vermochte. In leeren Industriehallen entwickelte sich eine Galerien-, Theater- und Clubszene.

Hausbesetzer werden Hausbesitzer

Aus den Besetzungen innerstädtischer Abrissobjekte wuchsen neue Wohnbaugenossenschaften. Sie setzten auf sanfte Stadterneuerung mit einem teilweisen Erhalt der bestehenden Bauten und versuchten mit günstigen Mieten das soziale Milieu zu stabilisieren. Erfolgreich waren diese Projekte allerdings nur auf Grundstücken, welche der Stadt Zürich gehörten. Auf dem privaten Markt schränken die hohen Bodenpreise die Möglichkeiten von Genossenschaften ein. Diese Lücke füllte immer mehr, die als Reaktion auf die Wohnungsknappheit der achtziger Jahre 1990 gegründete städtische Stiftung PWG (Stiftung zur Erhaltung von preisgünstigen Wohn- und Gewerberäumen). Die PWG kauft gezielt Liegenschaften an innerstädtischen Problemstandorten und ist in der Lage Marktpreise zu bezahlen. Dies trägt ihr immer wieder den Vorwurf ein, am Spekulationskarussell mit zu drehen, erweist sich aber mittelfristig als effizientes Mittel der Wohnraumsicherung und Gewerbeförderung.

Während die Initiativen in den bestehenden Wohnquartieren wichtig aber kleinräumig sind, schufen sie den Nährboden für grundsätzlichere Diskussionen um Stadtqualität und neue Wohnformen. Dabei verbanden sie sozialutopische Forderungen mit der Diskussion um die Weiterentwicklung der Stadt. 1995 kaufte die neugegründete Genossenschaft Karthago ein leerstehendes Gewerbegebäude und richtete in ihm einen Großhaushalt mit professioneller Küche und einem Esssaal ein. Seit 1997 leben über 50 Menschen in dieser einmaligen Wohnform.

Noch grundsätzlicher führte die Genossenschaft KraftWerk1 diese Diskussion. Sie mischte sich in die politische Auseinandersetzung über die Zukunft der Industrieareale ein und schlug vor, diese mit sozialintegrativen und ökologisch nachhaltigen Wohn- und Gewerbeprojekten umzunutzen. Die Provokation für die konventionelle Verwertungslogik der Immobilienentwickler fand in der Krise der neunziger Jahre eine Nische. Auf einer Brache wagte eine Generalunternehmung nach mehreren gescheiterten Dienstleistungsprojekten die Zusammenarbeit mit der jungen Genossenschaft. 2001 bezogen die Genossenschafter die 100 Wohnungen und das Bürogebäude in der Siedlung KraftWerk1 in Zürichs Industriequartier. KraftWerk1 war das erste große Minergie-Gebäude in der Schweiz (schweizerischer Niedrigenergiestandard), bietet Wohnraum vom Atelier bis zur Großwohngemeinschaft, integriert in Zusammenarbeit mit Stiftungen Behindertenwohngruppen und kinderreiche Ausländerfamilien und ist ein begehrter Bürostandort für Betriebe im sozialen und ökologischen Bereich. Obwohl sich KraftWerk1 bewusst als Genossenschaft formiert hatte und somit an die Pionierzeiten der zwanziger Jahre anknüpfte, unterstützten weder bestehende Genossenschaften noch die Stadt das Projekt. Die Finanzierung der Baukosten von 35 Millionen Euro war eine Herausforderung, die schlussendlich aber dazu führte, dass die Genossenschaft hervorragend mit eigenen Mitteln ausgestattet ist. Dies ermöglicht ihr mit weiteren Projekten ihre Ideen weiter zu entwickeln und zu wachsen. Zur Zeit ist KraftWerk2 im Bau und KraftWerk3 und 4 sind in Planung.

Fusion und urbane Renaissance

Zu Beginn des neuen Jahrtausends kamen die pionierhaften Projekte und das in ihnen entwickelte städtische Selbstbewusstsein – die Überzeugung mit neuen Ideen Stadt gestalten zu können – in den Vorständen der traditionellen Genossenschaften an. Dort waren die Häuser mit den Erstbewohnenden in die Jahre gekommen, zeigten sich strukturelle Defizite in den einst begehrten familienfreundlichen Vorstadtsiedlungen und große Zweifel an der Zukunft des genossenschaftlichen Modells mit seinen Ansprüchen an die Selbstverantwortung und gegenseitige Hilfe der Genossenschafter.

Nachdem zuerst mit einzelnen kleineren Ersatzneubauprojekten – häufig mit ambitionierter Architektur und viel zu teuren Mieten – das Bauen nach Jahrzehnten des Verwaltens wieder entdeckt war, setzte eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Bestand ein. Die Genossenschaften planen mittlerweile strategisch, erweitern gezielt ihre Zielgruppen, nehmen Rücksichten auf die Bedürfnisse der bestehenden Mieter und liefern sich einen Wettkampf im Bereich des nachhaltigen Bauens. Mit dieser Entwicklung gewinnen die Ideen der jungen Genossenschaften eine Breite, welche auf Quartier- und Stadtebene Wirkung zeigt. Es wäre sicherlich übertrieben, den spürbaren Aufbruch und das neu gewonnene Selbstbewusstsein der Stadt, das sich nach 40 Jahren der Stagnation seit einiger Zeit auch wieder quantitativ in einer Zunahme der Bevölkerung zeigt, allein der neu erstarkten Genossenschaftsbewegung zuzusprechen. Zumindest aber leistet sie ihren Beitrag und überrascht mit einer erstaunlichen neu gewonnenen Vitalität.

So waren die Feierlichkeiten zum hundertjährigen Jubiläum der Wohnbauförderung in Zürich im Jahre 2007 nicht nur Anlass zum Rückblick sondern eine eigentliche Leistungsschau, an der 10 Neubauprojekte mit über 1000 Wohnungen besichtigt werden konnten. Im Anschluss an das Jubiläum gründeten die Hälfte aller Züricher Wohnbaugenossenschaften eine Dachgenossenschaft mit dem Ziel eine Grosssiedlung in einem städtischen Entwicklungsgebiet als Innovations- und Lernplattform für den Wohnungsbau zu realisieren. Die „baugenossenschaft mehr als wohnen“ erhielt von der Stadt Zürich die Zusage das Areal einer ehemaligen Fabrik in Erbpacht übernehmen und entwickeln zu können. Die 450 geplanten Wohnungen werden ein Quartier mit Läden, Kinderbetreuung, Arbeitsplätzen, Hotel und unterschiedlichsten Wohnungen bilden. Spätestens mit diesem Projekt ist der Zusammenschluss der Pioniere aus den neunziger Jahren mit den traditionellen Genossenschaften und der Stadt Zürich für die Entwicklung der Stadt mit innovativem, gemeinschaftlichem Wohnungsbau vollzogen.

Andreas Hofer ist diplomierter Architekt ETH und Partner im Büro archipel – Planung und Innovation in Zürich. Er war Mitinitiant, Vorstandsmitglied und Projektentwickler des experimentellen genossenschaftlichen Wohnprojekts KraftWerk1 und hat ein Mandat dieser Genossenschaft für die Entwicklung weiterer Kraftwerk-Projekte. Er leitet als Koordinator das genossenschaftliche Wohnprojekt mehr als wohnen in Zürich-Leutschenbach. Andreas Hofer publiziert regelmässig in verschiedenen Medien zu Architektur-, Städtebau- und Wohnungsfragen und engagiert sich in der Lehre an Hochschulen.