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Artikel Stadtsanierung/Stadterneuerung

Stadtentwicklung in Valencia –

Wem gehört El Cabanyal ?

*** von Manfred Gerber ***

Zwischen Ottensen in Hamburg-Altona und Mukojima in Tokio besteht seit über 12 Jahren der Stadtteildialog, ein intensiver Austausch von Informationen über Stadtplanung, mit Kunstausstellungen und sozialen Kontakten. Diesmal ging die gemeinsame Reise mit KünstlerInnen, Studierenden, ArchitektInnen und StadtplanerInnen nach Valencia.

An der Küste von Valencia liegt das ehemalige Fischerdorf El Cabanyal. Im Zuge der Urbanisierung in den vergangenen 100 Jahren rückte die Stadt dem Dorf immer näher, bis es ein Teil Valencias wurde.

Seine Häuser stehen quer zum Meer wodurch ihre damaligen Planer für eine gute nächtliche Belüftung durch den „ Levante“, den vom Meer kommenden kühlenden Ostwind, sorgten. Zu Beginn des 20. Jahrhundert entstand hier ein Ensemble mit ausgeprägten modernistischen Häusern (der Modernismo war die Spanische Art des Jugendstils zu Beginn des 20. Jahrhunderts). Die Häuser sind von einer gestalterischen Einzigartigkeit, was sowohl im Baustil als auch an der lebendigen Fassadengestaltung ablesbar ist. Durchwohnen von einer Straße zur anderen, maximal 2 – 3 Geschosse mit kühlenden Innenhöfen (Patios). Längst ist die Siedlung durch das Madrider Kulturministerium zum schützenswerten Kulturgut erklärt worden.

Doch was auf der einen Seite „heimelig“ und schützenswert erscheint, behindert aus Sicht der Stadtverwaltung die Entwicklung der Metropole Valencia. So kam es vor zwölf Jahren zu einem Konflikt: Die Stadt Valencia wollte den großen Boulevard, der im Zuge der nördlichen Stadtentwicklung seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts gebaut wurde, die Avenida de Blasco Ibáñez, bis zum Meer weiterbauen. Das Problem dabei war das alte Fischerdorfs El Cabanyal, es stand mitten auf der Achse im Weg.

Die bestehende kleinteilige und niedrige Bebauung beeinträchtigen eine so genannte „städtische Entwicklung“. Sie bietet zu wenig Platz für Autos, Plätze und Shopping-Zonen.

Seit nunmehr zwölf Jahren hat es zahllose Gutachten, Klagen, einstweilige Verfügungen und den einen oder anderen Gerichtsprozess gegeben, die den Ausbau der Avenida stoppten, vor allem dank der Bürgerinitiative „Salvem El Cabanyal“ (Retten wir El Cabanyal).

Aber wer ist „die Stadt“?

Es ist ja durchaus überlegenswert, die alte Urbanistik umzukehren und – wie in Barcelona auch in Valencia – den direkten Zugang zu Strand und Meer herzustellen. Doch muss zu diesem Zweck ein gewachsenes Viertel zerschlagen, eine intakte Nachbarschaft vertrieben werden und kann eine Stadtverwaltung vom Wohl aller sprechen, wenn Hunderte enteignet werden müssen und Tausende ihre Gegend nicht wieder erkennen, wenn die Abrissbirne auch kostbare historische Bausubstanz wegputzt?

Die geplante Trasse hat eine Gesamtbreite von 148 Metern, von denen 48 Meter für den Straßenquerschnitt genutzt werden sollen und der Rest für 5-geschossige Bebauung. Das Projekt führt zu einer Trennung des Stadtviertels in zwei Teile. Es bedeutet die Zerstörung von 1.600 Wohnungen, deren Grossteil unter besonderem Denkmalschutz steht sowie die Umsetzung von 1200 bis 1300 Familien – Bewohner des Viertels. Die jetzigen Eigentümer werden gegen Entschädigung zu Niedrigpreisen enteignet, um dieselben Grundstücke dann privaten Bauunternehmen anzubieten, die sie dann bebauen und zu Marktpreisen wieder zu verkaufen. Es scheint unglaublich, dass eine Stadtverwaltung soviel Eigentum zerstört, um eine Straße wie so viele andere zu bauen.

Überrascht durch den Abbau

Beim Rundgang durch das Viertel ist man überrascht vom Ausmaß und der Schnelligkeit, mit der die Zerstörung innerhalb der letzten Jahre vorangetrieben wurde. Die Zerstörung hat Methode. Die Stadtverwaltung schafft vollendete Tatsachen durch den Abriss, zerstört Nachbarschaften, lässt Brachflächen offen liegen wo sich Müll ansammeln kann. Mit den verwahrlosten und leer stehenden Häusern und Grundstücken haben auch Kriminalität und Drogenmissbrauch zugenommen und es ist ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit in der Nachbarschaft entstanden.

Schließlich wurde durch die Zerrissenheit der Bevölkerung auch ein Klima der Feindschaft geschaffen, wie es sich in den Transparenten der Unterstützung oder der Ablehnung der Verlängerung der Blasco Ibáñez manifestiert. Beide Seiten sind für die Revitalisierung, aber finden es schwierig, eine gemeinsame Formel für eine Lösung zu entwickeln.

Deutlich wurde bei den Auseinandersetzungen, dass es immer noch Wunden aus der Franco Diktatur gibt. Die Bürgermeisterin Rita Barbera ist von der Konservativen Partei (PP), das Kulturministerium in Madrid wird von den Sozialisten (PSOE) geleitet. Dass an runden Tischen oder mit anderen Beteiligungsformen die Interessen der Anwohner einfließen oder andere Ergebnisse ausgehandelt werden, ist nicht vorstellbar. Es gibt nur ja oder nein, und von Madrid lassen sich die stolzen Valencianer sowieso nichts sagen.

Internationaler Workshop zur alternativen Stadtteilentwicklung

Der Kampf der Stadtteil-Initiative „Salvem“ hat sich internationalisiert, das zeigte sich jüngst bei einem internationalem Workshop im Juni 2010. Rund fünfzig Profis und Studierende der Architektur und Stadtplanung aus Tokio, Hamburg und Valencia nahmen an einem Workshop unter der Koordination von Professor Luis Francisco Herrero von der Polytechnischen Universität von Valencia (UPV) teil, um sich über gemeinsame Wege und Mittel bei der Auseinandersetzung in großstädtischen Vierteln, die marginalisiert werden, auszutauschen und auseinander zu setzen.

Welche Rezepte könnten angewendet werden, insbesondere in der Einbeziehung und Mobilisierung der Nachbarschaft. Hilfe und Mut machen für El Cabanyal sollten die Beispiele aus Ottensen in Hamburg und Mukojima in Tokio, die überlebt haben. Während der Woche wurde eine Reihe von Vorschlägen für die Revitalisierung erarbeitet.

Dass El Cabanyal viel von dem deutschen Viertel Ottensen und dem japanischen Mukojima lernen kann, wurde während der Tagung deutlich. Beide Stadtviertel haben die Bedrohung einer Stadtentwicklung ohne Rücksicht auf gewachsene Strukturen erfahren und wie staatliche Planungen wie der Bau einer Autobahn die angestammte Bevölkerung zum Widerstand motivieren konnte.

Die Erfahrungen aus den beiden Städten wurden unter Beteiligung von Soziologen, Architekten und Vertreter der Initiative „Salvem El Cabanyal“ diskutiert.

Die derzeitige Situation der durch Abriss entstanden Brachen, die verlassenen Häuser, die gespaltene Bewohnerschaft innerhalb von El Cabanyal waren die Schwerpunkte der Workshops gewesen. Ziel war, sowohl die Erinnerung an das Vergangene in El Cabanyal zu bewahren, aber auch eine mögliche Revitalisierung aufzuzeigen, damit das Viertel mit seinen besonderen Qualitäten als Wohn-, Arbeits- und Erholungsgebiet wieder entwickelt werden kann.

Erfahrungsaustausch mit Initiativen

Im Verlauf des Workshops gab es Arbeitsgruppen zu verschiedenen Punkten der Erneuerung des maritimen Stadtteils. Die Ergebnisse wurden am Samstagnachmittag unter Beteiligung der Bürgerinitiative („Salvem El Cabanyal“) mit den folgenden Themen vorgestellt:

  • Die Form der leeren Räume und Aktivitäten
  • Urbane Vibrationen durch Mainstreaming
  • Neue Arten von Wohnungsbau.

Das erste Thema wurde mit einer klaren Perspektive behandelt: die Vernachlässigung und der Marginalisierungsprozess mit dem Ziel einer Verschlechterung der Nachbarschaft. Die Teilnehmer an diesem Workshop hoben die Arbeit der verschiedenen Initiativen hervor, die die entstanden Abrissbaulücken für Aktionen der Nachbarschaft nutzen und somit den Boden für eine künftige neue Nutzung im urbanen Umfeld bereiten. Zu diesem Zweck entwickelten die Architekten auf den Standorten Vorschläge für Parks, Märkte, kleine öffentliche und gewerblich genutzte Flächen.

Der zweite Workshop konzentrierte sich auf die Revitalisierung der Haupteinkaufs- und Geschäftsstraße, einer städtischen Straße, die mit ihren verlassenen Gebäuden provoziert. Sie sollte ein neues Gesicht und wieder eine Seele bekommen. Die vorgeschlagenen Umstellungen betreffen die Verbesserung von Blickachsen und Knotenpunkten sowie zu integrierende singuläre Punkte wie etwa Bäume und Kunst im öffentlichen Raum.

Der dritte Workshop befasste sich mit neuen Wohnformen und ihrer Integration in die Nachbarschaft. Hier wurde diskutiert, wie die ursprünglichen Grundstücksteilungen und das Wiederbeleben von Wohnen und Arbeit in unmittelbarer Nachbarschaft, so wie es die Fischer vor 100 Jahren geplant und gebaut haben, ermöglicht werden könnten. Dadurch dass heute durch den Einsatz der neuen Kommunikationstechnologien die Trennung von Wohnen und Arbeiten wieder aufgegeben werden kann, bestehen in diesem Viertel beste Voraussetzungen für ein Anknüpfen an die historischen Nutzungen.

Manfred Gerber ist Architekt bei STATTBAU HAMBURG GmbH und war mit dem Stadtteilaustausch Ottensen-Mukojima zu Besuch in El Cabanyal.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 17(2010), Hamburg