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Artikel Wohnprojekte Hamburg

Belegung ganz anders

*** von Matthias Samson ***

Eine Wohnung wird frei. Ein neuer Mieter wird gesucht. In der Hamburger Mietergenossenschaft Falkenried-Terrassen wirkt die Hausgemeinschaft dabei mit.

Endlich geschafft

Die Häuser in den Falkenriedterrassen – Anfang des Jahrhunderts erbaut – sollten in den 70er Jahren abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden. Dagegen haben sich die Bewohner gewehrt. 1973 wurde ein Mieterverein gegründet mit dem Ziel, die alten Wohnbauten zu erhalten. Anfang der 90er Jahre entstand die Mietergenossenschaft und es konnte mit den Sanierungsarbeiten begonnen werden. Inzwischen sind alle Wohnungen saniert und 100 Wohnungen neu bezogen worden. Hausgemeinschaft und Genossenschaft gemeinsam regeln die Neuvermietung, wenn eine Wohnung frei wird.

Neue Nachbarn erst mal kennenlernen

Mehrmals im Jahr findet eine Mitgliederversammlung der Mietergenossenschaft statt. Jeder Neubewohner wird automatisch Genossenschaftsmitglied. Aufgrund des langen Kampfes zum Erhalt der Häuserhaben sich die Terrassenbewohner entschlossen, ihre „neuen Nachbarn“ erst einmal kennenzulernen, bevor diese in eine der sanierten Wohnungen ziehen. Es sollte nicht zugehen wie auf dem „normalen“ Wohnungsmarkt, wo man sich in eine Warteliste einträgt und dann irgendwann eine Wohnung zugeteilt bekommt. So sind Ideen gesammelt worden. Auf einer Mitgliederversammlung ist dann ein fest umrissenes Verfahren beschlossen worden.

Angebot aushängen und Bewerbungen auswerten

Ist eine Wohnung zu vergeben, wird diese in den Schaukästen der Genossenschaft ausgeschrieben. Größe der Wohnung, Mietpreis und Skizze der Wohnung sowie Besichtigungstermin und Bewerbungsfristen werden angegeben. Außerdem ist ein Zettel mit den Regeln beigefügt, wie das Bewerbungsverfahren verläuft: in drei Sprachen.

Zunächst füllt die Hausgemeinschaft des Hauses, in dem die Wohnung belegt werden soll, gemeinsam einen Bogen aus. Auf diesem Bogen werden Fragen beantwortet Wie zum Beispiel: Wer wohnt in diesem Haus? Gibt es Haustiere? Werden Tiere gewünscht oder abgelehnt? Nachbarschaftliches Verhältnis? Lärmverhalten? Sauberkeit im Treppenhaus?

Der Bewerber füllt einen ähnlichen Bogen aus. Er gibt Namen, Alter und Geschlecht an sowie Beruf und Familienstand. Zu den oben genannten Fragen kommt folgende hinzu: Warum möchte er/sie in den Terrassen wohnen? Diese Bögen werden vom Belegungsausschuss der Genossenschaft miteinander verglichen. Es werden drei Bewerber ausgewählt und vom Mieterbüro zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Alle anderen Bögen werden aus Datenschutzgründen vernichtet.

Bewerberinnen anhören und auswählen

Es gibt in der Genossenschaft drei von der Mitgliederversammlung gewählte Gremien: Vorstand, Aufsichtsrat und Belegungsausschuss.
Jedes Genossenschaftsmitglied hat das Recht, dafür zu kandidieren.

Der Belegungsausschuss trifft sich regelmäßig und macht Termine zur Sichtung der Bewerbungsbögen und zu den Vergabegesprächen. Pro Sichtung bzw. Vergabe treffen sich drei Mitglieder. Außerdem werden Erfahrungen und Erlebnisse ausgetauscht und es wird über Probleme diskutiert.

Am Vergabegespräch nehmen teil: Die Hausgemeinschaft, der Bewerber und drei Mitglieder des Belegungsausschusses. Jeder Bewerber erhält ein dreißigminütiges Einzelgespräch. Nachdem sich jeder vorgestellt hat, erzählt als erstes der Belegungsausschuss etwas über die Genossenschaft. Dann ist die Hausgemeinschaft an der Reihe, sich vorzustellen, über sich und das Zusammenleben zu berichten. Im Anschluss daran ist der Bewerber dran, über sich, seinen Beruf, seine Hobbies und warum er in den Terrassen wohnen möchte, Auskunft zu geben. Danach haben die Beteiligten noch die Gelegenheit, sich gegenseitig zu befragen.

Wenn alle Bewerber gegangen sind, kommt der Moment der Entscheidung. Jeder kann seine Meinung äußern, wen er gerne als Nachbarn haben würde und wen eher nicht. Hausgemeinschaft und Belegungsausschuss haben zu je 50 Prozent Stimmrecht. In der Regel gibt es eine einvernehmliche Entscheidung nach einer intensiven Diskussion. Falls eine Entscheidung nicht zustande kommen kann, muss der Vorstand eine Lösung finden, was jedoch erst einmal vorgekommen ist. Ob das Verfahren auch in der Praxis funktioniert? Zum Nachahmen wird es wärmstens empfohlen.

Matthias Samson ist Bewohner der Falkenried- Terrassen und Mitglied im Belegungsausschuss der Mietergenossenschaft Falkenried-Terrassen e. G.

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 5(1999), Hamburg