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Artikel Rechtsform/Genossenschaft

Die beste Genossenschaft ist gar keine

Klaus-Novy-Preis 2012 für das Mietshäuser Syndikat

*** von Stefan Rost ***

Zum „Tag der Genossenschaften“, dem 6. Juli, im „UN-Jahr der Genossenschaften 2012“, hat das Mietshäuser Syndikat den „Klaus-Novy-Preis für Innovationen beim genossenschaftlichen Bauen und Wohnen“ verliehen bekommen. Der Preis wird alle fünf Jahre vom Spar- und Bauverein Solingen eG, der zweitgrößten Wohnungsgenossenschaft in NRW vergeben. Der erste Preis ist mit 3.000 € dotiert.

Der Preis ist Klaus Novy gewidmet, ehemals Volkswirt und Professor für Planungs- und Stadtökonomie an der TU Berlin, der 1991 früh gestorben ist. In den 80er Jahren setzte er sich mit wissenschaftlichen Arbeiten, populären Veröffentlichungen und Ausstellungen für eine Erneuerung der genossenschaftlichen Wohn- und Lebenskultur und ihrer vielfältigen Selbsthilfetraditionen ein, die nach 1933 verschüttet wurden und nach 1945 weitgehend in Vergessenheit gerieten. Ein besonderes Anliegen von Klaus Novy war es, eine Verbindung der alten Traditionsgenossenschaften mit den neuen Wohnprojekten herzustellen, die im Gefolge der 68er Bewegung entstanden waren.

Keine eingetragene Genossenschaft eG

Nun ist das Mietshäuser Syndikat keine eingetragene Genossenschaft (eG), sondern ein Geflecht aus GmbHs und Vereinen. Warum war es überhaupt nominiert worden? An diese Frage knüpfte auch die Präsentation des Mietshäuser Syndikats in Solingen an, die die Verbindung seiner Organisationsstruktur mit dem ideengeschichtlichen Hintergrund der Wohngenossenschaftsbewegung beleuchtete: „Wir freuen uns sehr, das Mietshäuser Syndikat gerade in diesem Rahmen vorstellen zu können. Denn wir haben einen Makel. Das Mietshäuser Syndikat ist ein Kind der Genossenschaftsbewegung – aber ein uneheliches. Wir tragen nicht den Namen der Genossenschaft.“

Das Projekte-Sammelsurium

Auf den ersten Blick erscheint das Mietshäuser Syndikat als buntes Sammelsurium von selbstorganisierten Hausprojekten verstreut in über 30 Städten und Gemeinden in ganz Deutschland. Doch die Hausprojekte bilden einen festen Verbund. Das Bindeglied, das diesen Verbund herstellt, heißt ebenfalls Mietshäuser Syndikat. Die Häuser gehören jedoch nicht dem Mietshäuser Syndikat. Jedes der bestehenden 60 Hausprojekte ist rechtlich selbständig mit einem eigenen Unternehmen, das die Immobilie besitzt, einer GmbH. Und es werden mehr: Projekte, die oft Hunderte von Kilometern weit auseinander liegen; deren BewohnerInnen die Leute aus den anderen Häusern meist nicht kennen; und deren Unterschiedlichkeiten geradezu ins Auge springen. Welche Idee hält diesen Gemischtwarenladen zusammen?

Die Solidarfonds-Idee

Die Solidarfondsidee entspringt einem Perspektivwechsel. Der Blick geht übers eigene Hausprojekt hinaus und bezieht andere Projekte mit ein. „Die Unterstützung, die das eigene Hausprojekt in den Anfangsjahren erfahren hat, lassen wir nicht versickern – wir geben sie an neue Projektinitiativen weiter.“

Ökonomische Grundlage der Idee ist folgender Sachverhalt: Durch die Tilgung der Bau- und Kaufkredite sinkt die Zinslast immer stärker. Der entstehende wirtschaftliche Spielraum kann zum Anschub neuer Projekte genutzt werden.

Die neuen Hausprojekte machen es genauso und transferieren ihre Überschüsse. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird in einen gemeinsamen Fonds eingezahlt, der in steigendem Maße Mittel für eine zins- und schuldenfreie Hausfinanzierung bereithält und Mieten bezahlbar macht.

Die Entdeckung

Diese Solidarfondsidee, mit einem Verbund von etablierten Hausprojekten und neuen Projektinitiativen, wurde 1988/89 beim Grether-Projekt in Freiburg formuliert.

Dort, bei der Suche nach ähnlichen Ansätzen und Organisationsstrukturen, fiel der Blick auf ein altes Papier im Theorieordner des Projekts, das hier seit Jahren abgeheftet schlummerte. Es war ein Aufsatz eben jenes eingangs genannten Klaus Novy aus der Zeitschrift Arch+ Nr. 61 vom Februar 1982:

„ … Die Finanzierungsalternative eines Solidarfonds ist aber nicht auf der Basis eines Zusammenschlusses der Wohnungsuchenden aufbaubar, sondern setzt Trägerformen voraus, die über einen entschuldeten und von Verwertungsansprüchen befreiten Hausbestand verfügen und die eine Solidarabgabe sichern… und die Bildung einer Solidargemeinschaft der Nutzer des Wohnungsbestandes mit den Wohnungssuchenden. …

Die Verbandsorganisation (der Genossenschaften) … müsste verändert werden, so dass die Gründung von nicht-wachsenden Kleingenossenschaften bzw. Bewohnervereinen erleichtert wird, … die über eine Mietabgabe den verbandlichen Neubaufonds im Maße ihrer Entschuldung speisen.“

K. Novy: „Solidargemeinschaften für Wohnungsverwaltung und Neubau. Ein Modell“, in: ARCH+ 61 anders leben, arbeiten, bauen, wohnen (1982), S. 52–53

Die Grethers in Freiburg waren also nicht die Ersten mir der Solidarfonds-Idee! Und auch Klaus Novy bezog sich auf Vorschläge aus der Wohnreformbewegung der 20er Jahre, insbesondere auf Schriften Martin Wagners. Der war Berliner Baustadtrat, kritisierte die Defizite der Großgenossenschaften und formulierte als Erster die Idee eines Verbundes kleiner, nicht wachsender Bewohnergenossenschaften, die in einen gemeinsamen Neubaufonds einzahlen.

Doch Klaus Novy stieß nicht auf die erhoffte Resonanz. Ähnlich erging es den Grether-Aktivisten, als sie 1989 auf dem Wohnbundkongress in Hamburg die Solidarfondsidee einbrachten.

Grafiken: Mietshäuser Syndikat

Welche Organisationsform?

Die Suche nach Organisationsformen ging weiter, Vorbilder gab es nicht. Denn bei den langen Zeiträumen, die der Solidarfondsidee zu Grunde liegen, können negative Entwicklungen auftreten. Projekte verlassen den Verbund und zahlen keinen Solidarbeitrag mehr. Oder eine spätere Nutzergeneration beschließt, die Wohnungen zu privatisieren und/oder zu verkaufen. Denn mit einer qualifizierten Mehrheit der Mitglieder kann, falls erforderlich, auch die Satzung von Hausverein/-genossenschaft geändert werden.

Das GmbH-Modell

Als Lösung wurde auf einen Vorschlag von Matthias Neuling (heute Rechtsanwalt in Hamburg) zurückgegriffen („Auf fremden Pfaden“, 1986). Der Eigentumstitel an Haus und Grundstück liegt nicht unmittelbar beim Hausverein. Ihm ist eine unabhängige „Wächterorganisation“ zur Seite gestellt, die ein Vetorecht gegen Hausverkäufe und andere Zugriffe auf das Immobilienvermögen hat. Diese „Wächterorganisation“ ist das Mietshäuser Syndikat, das 1992 gegründet wurde.

Erstaunlicherweise eignet sich für diese Konstruktion die Rechtsform der erzkapitalistischen GmbH ganz hervorragend (Details siehe www.syndikat.org). In der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft ist dieses Modell nicht möglich.

Grafik: Mietshäuser Syndikat Das GmbH-Modell

Das Syndikat als Dachgenossenschaft

Die einzelnen Hausbesitz-GmbHs der Projekte bilden quasi die Grundmodule, aus denen sich der angestrebte Solidarverbund fast von selbst ergibt: Da das Syndikat in seiner Rolle als „Wächterorganisation“ Gesellschafter in jeder Hausbesitz-GmbH ist, ist es gleichzeitig das Bindeglied, das die Projekte verknüpft.

Das Mietshäuser Syndikat ist eine Dach- oder Sekundärgenossenschaft – nicht formell, d. h. als eingetragene Genossenschaft (eG), aber materiell und insbesondere auch ideell. Ihre Form ist ein wachsender Unternehmensverbund von derzeit über 60 Hausprojekten in ganz Deutschland, die sich der Idee der dauerhaften sozialen Bindung des Eigentums sowie der Unterstützung neuer Projektinitiativen durch Solidarbeiträge verpflichtet haben. Zahlreiche Aktive, überwiegend aus Hausprojekten, bilden ein ehrenamtliches Beratungsnetz für neue Projektinitiativen: Man muss nicht jedes Mal das Rad neu erfinden. Es ist eine Unternehmensstruktur entstanden, die ehrenamtlich und nicht-kommerziell weiterentwickelt wird, ähnlich wie die Open-Source-Strukturen im Informationsbereich.

Offenheit und Commons

Das Mietshäuser Syndikat ist für neue Projektinitiativen grundsätzlich offen: Es gibt keinen Grund, mit der Idee der Selbstorganisation an den Grundstücksgrenzen des eigenen Hausprojekts Halt zu machen. Erst recht nicht mit der Idee von unverkäuflichem Gemeineigentum an Häusern und Grundstücken – in einer Zeit, wo die Begrenztheit von Flächen und anderen Ressourcen ins Blickfeld der öffentlichen Diskussionen um die Zukunft der Welt gerückt ist. Hier findet die Genossenschaftsidee Anschluss an die aktuellen Debatten um die Commons (Gemeingüter, Allmenden).

Ulrich Bimberg, der Vorstand des Spar- und Bauvereins Solingen, nahm bei der Bekanntgabe des ersten Preises das anfangs genannte Bild vom Mietshäuser Syndikat als unehelichem Kind der Genossenschaftsbewegung, das nicht Genossenschaft heißt, auf: „Das Kind ist angenommen.“

Stefan Rost ist Vertreter vom Mietshäuser Syndikat und hat das Projekt bei der Preisverleihung in Solingen vorgestellt.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 18(2012), Hamburg