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Artikel Rechtsform/Genossenschaft

Flexibel und angepasst

Anforderungen von Wohnprojekten an die Genossenschaft

*** von Mathias Fiedler ***

Bei der Beratung von genossenschaftlichen Wohnprojekten in den letzten Jahren haben wir festgestellt, dass bestimmte Gestaltungswünsche immer wieder Gesprächsgegenstand waren. Zusammen mit den jeweiligen Projekten wurden dann passende Lösungen entwickelt, die als Anregung auch für andere Genossenschaften übernommen werden können.

Der Sinn und Zweck von genossenschaftlichen Wohnprojekten ist, dass die Mitglieder durch das genossenschaftliche Eigentum mit Wohnraum versorgt werden. Dieser Auftrag, der den Förderauftrag der Wohnungsgenossenschaften darstellt, ist Ausgangspunkt einer jeden Diskussion mit Wohnprojekten. Die Genossenschaft hat die Förderung der Mitglieder zur Aufgabe, nicht die Kapitalmehrung der Mitglieder. Gerade bei neuen Wohnprojekten muss den Gründern dieser Punkt sehr klar sein, da mit dem Nutzungsentgelt der Genossenschaft ein Vermögen finanziert wird, das die Einzelnen nicht durch Kündigung herausziehen können. Wer die Vermögenszuwächse zum Beispiel an seine Erben weitergeben möchte, für den wäre eine Genossenschaft die falsche Rechtsform.

Zweck ist die Förderung der Mitglieder

Die Auseinandersetzung mit dem Förderauftrag berührt aber auch einen anderen Punkt. Bei Genossenschaften, bei denen im hohen Maße die Nutzer und die Eigentümer identisch sind, spielt die Gewinnverteilung über eine Dividende keine große Rolle, da den Initiatoren recht schnell deutlich wird, dass sie eine Dividende nur bekommen können, wenn sie ein Nutzungsentgelt zahlen, das deutlich über der Kostenmiete liegt. Denn nur so lassen sich Überschüsse erwirtschaften, die ausgeschüttet werden können.

Entgegengesetzte Interessen: Niedrige Mieten und Kreditsicherheit

In der Anfangsphase der Genossenschaft stehen die Anforderungen der Banken bei der Kreditfinanzierung einem günstigen Entgelt häufig im Wege. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen haben sich bei der Immobilienfinanzierung deutlich verändert. Ist die Genossenschaft auf eine Fremdfinanzierung angewiesen, dann erfolgt eine Kreditvergabe nur dann, wenn das Objekt ausreichend Sicherheiten bietet. Sind die Mieten nicht marktüblich, dann sinkt der Beleihungswert der Immobilie drastisch, da die Bank vermutet, dass die Immobilie im Falle eine Zwangsversteigerung keinen Käufer findet. Aus diesem Grund besteht bei Neugründungen der Zwang mit den Mitgliedern einen marktüblichen Mietzins zu vereinbaren. Hat die Genossenschaft am Ende eines Jahres zu viel Geld, dann kann dieses über die genossenschaftliche Rückvergütung an die Mitglieder zurückfließen. So kann auch mit einem marktüblichen Nutzungsentgelt der Auftrag einer Versorgung der Mitglieder mit günstigem Wohnraum umgesetzt werden.

Bei der Ausgestaltung der zukünftigen Genossenschaft sind den Initiativen meist folgende Punkte wichtig: Ermöglichung der Mitgestaltung, Mitbestimmung durch die Mitglieder und gegenseitige Unterstützung.

Individuelle Wohnwünsche contra Wiedervermietbarkeit

Die Mitgestaltung ist für viele Initiativen sehr wichtig. Die zukünftigen Nutzer und Nutzerinnen möchten ihren Wohnraum mitgestalten. Diese Aufgabe zu koordinieren, also die Gemeinschaftsinteressen und die individuellen Vorstellungen unter einen Hut zu bringen, ist nicht immer einfach. Die Diskussion über den Zuschnitt und die Ausgestaltung der Räume kann aber auch sehr befruchtend sein. Um für alle Beteiligten Verlässlichkeit zu bekommen, werden in den Satzungen von Wohnprojekten häufig Rechte der Einzelnen geregelt. Die Nutzer und Nutzerinnen der zukünftigen Häuser organisieren sich in Beiräten, die mit dem Vorstand der Genossenschaft und den planenden Architekten über das Bauvorhaben verhandeln. Der Vorstand muss den Wünschen des Beirates folgen, soweit die Finanzierung sichergestellt ist und die Bauvorschriften eingehalten werden. Ist der Vorstand der Ansicht, dass der Grundriss einer Wohnung so speziell ist, dass die Genossenschaft in der Zukunft Schwierigkeiten bei der Weitervermittlung bekommt, dann kann er ein Veto einlegen, über das dann die Generalversammlung entscheiden muss. So können die Interessen der Gemeinschaft gewahrt bleiben.

Entscheidungsrechte bei Modernisierung und Neuvermietung

Auch während der Nutzungsphase möchten sich die Mitglieder an der Entwicklung der Genossenschaft weiter beteiligen. Hier spielen in der Regel zwei Punkte eine Rolle. Zum einen geht es um die wirtschaftlichen Planungen der Genossenschaft. Gibt es mehrere Objekte, die in einer Genossenschaft umgesetzt werden, dann müssen die Organe sich eines Tages mit der Frage nach den Modernisierungen auseinander setzen. Wie wird modernisiert und welches Objekt beginnt? Dazu werden aus den jeweiligen Häusern Delegierte gesendet, die mit dem Vorstand über die Modernisierungs- und Instandsetzungspläne beraten. So können die Bewohner und Bewohnerinnen regelmäßig in das Projekt mit eingebunden werden. Zum anderen geht es um die Frage des Nutzerwechsels. Wird eine Wohnung frei, aus welchem Grund auch immer, dann ist die Frage des Nachnutzers für die übrigen Bewohner sehr wichtig. Insbesondere bei Wohnprojekten, die auf ein besonderes Miteinander achten, ist dies wichtig, da die neuen Nutzer zu dem Projekt passen müssen. Aus diesem Grund hat der Nutzerbeirat in der Satzung das Recht bekommen in den ersten sechs Wochen nach einer Kündigung einer Wohnung einen Nachmieter zu suchen. Die Befristung auf sechs Wochen wird deshalb vorgenommen, damit ab der siebten Woche der Vorstand mitsuchen darf. So soll sichergestellt werden, dass die Genossenschaft spätestens nach drei Monaten wieder einen neuen Nutzer bekommen hat. Es muss sichergestellt werden, dass die Genossenschaft Leerstände vermeidet, um ihren Zahlungsverpflichtungen jederzeit nachkommen zu können. Wenn der Nutzerbeirat einen Kandidaten vorschlägt, dann ist der Vorstand daran gebunden, außer er lehnt den Kandidaten aus wichtigem Grund ab. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der zukünftige Nutzer ein bekannter Mietnomade ist oder ähnliches. Über dieses Modell soll sicher gestellt werden, dass die Interessen der Einzelnen und die der Gemeinschaft in Einklang stehen.

Gegenseitige Unterstützung und solidarische Finanzierung

Auch die gegenseitige Unterstützung ist den Initiativen sehr wichtig. Bei vielen Projekten sind die Menschen, die an dem Projekt teilnehmen, bunt gemischt. Das betrifft häufig auch die Vermögens- und Einkommenssituation. Gerade diejenigen, die sich mit einem geringen Einkommen und/oder Vermögen an einer Neugründung beteiligen möchten, tun sich mit den finanziellen Vorgaben schwer. Möchte eine neue Genossenschaft ein Projekt in Angriff nehmen, dann geht dies meist nicht ohne Fremdkapital. Dieses bekommen die Genossenschaften jedoch nur dann, wenn sie Eigenkapital nachweisen können. Je nachdem, ob es öffentliche Förderprogramme gibt oder nicht variieren die erforderlichen Eigenkapitalquoten von 20 bis zu 40% der Herstellungskosten. Wenn für den Quadratmeter ein Preis von ca. 1.800 € anfällt, dann sind bis zu ca. 700,00 € Eigenkapital je Quadratmeter erforderlich. Bei einer Wohnung von 70 Quadratmetern sind das 49.000,00 €. Das kann sich nicht jeder auf einen Schlag leisten. Aus diesem Grunde wünschen sich die Projekte häufig die Möglichkeit der gegenseitigen Unterstützung.

In den Satzungen, die dieses ermöglichen, wird das dann so umgesetzt, dass die erforderlichen Anteile nicht als Pflichtanteile in der Satzung geregelt werden, sondern der Vorstand verpflichtet wird, je Wohnung eine bestimmte Anzahl von Anteilen als „vertragliche Pflichtanteile“ einzuwerben. Im günstigsten Fall werden 100 % der erforderlichen Anteile im Nutzungsvertrag fest vereinbart. Kann ein Mitglied diese nicht leis ten, dann können andere Mitglieder freiwillig übernommene Anteile zu „Solidaritätsanteilen“ erklären, die dann auf die notwendigen Anteile angerechnet werden können. Diese „Solidaritätsanteile“ können während der Mitgliedschaft nicht gekündigt werden und haben damit eine ähnlich hohe Bindung, wie die Anteile, die in dem Nutzungsvertrag vereinbart worden sind. So wird sichergestellt, dass die erforderlichen Anteile in die Genossenschaft fließen und zum anderen, dass es dennoch ein flexibles System gibt, das auf die unterschiedlichen Möglichkeiten der Mitglieder Rücksicht nimmt.

Jedes neue Wohnprojekt hat einzigartige Besonderheiten, auf die durch entsprechende Reglungen in der Satzung eingegangen werden kann. Das Genossenschaftsrecht bietet hier viele flexible Lösungen. Wenn diese vorher gründlich diskutiert und niedergeschrieben werden, dann ist die neue Genossenschaft ein Gewinn für ihre Mitglieder.

Mathias Fiedler ist Vorstand des ZdK und bietet Beratungen für Genossenschaftsgründungen an.

Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften e.V. (ZdK)

Baumeisterstraße 2, 20099 Hamburg
www.zdk-hamburg.de

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 18(2012), Hamburg