*** von Holger Kowalski ***
Auch alte Genossenschaften sind für neue Herausforderungen offen. Der Altonaer Spar- und Bauverein wagte das Experiment, gemeinsam mit MieterInnen zu planen und neu zu bauen. Ein Vorstandsmitglied erläutert: wieso, weshalb, warum?
Mieter wollen mehr Mitbestimmung
Anfang der 90er Jahre erarbeiteten wir erstmalig eine Wohnzufriedenheitsstudie. Sie hat wesentliche Teile unserer Konzepte und Pläne bestätigt, unseren Service und unsere Mitarbeiter gelobt und ein für Marktforscher ungewöhnlich großes Vertrauen der Mitglieder zu ihrer Genossenschaft deutlich gemacht. Die Wohnzufriedenheitsstudie hat aber auch neue Anforderungen und Herausforderungen gestellt, wie der Wunsch nach mehr Mitbestimmung.
Die Aufgabe war nun, einen Weg zu finden, der eine Ausgewogenheit der Interessen der Mitglieder, der Genossenschaft und der Mitarbeiter sichert. Dieses haben wir auch in unserer Unternehmensphilosophie festgeschrieben. Hier wurde vereinbart, daß die Mitbestimmung der Bewohner im Altonaer Spar- und Bauverein mit geeigneten Modellen fortentwickelt werden soll.
Unsere ersten Erfahrungen bei Bauvorhaben mit Nutzerbeteiligung sammelten wir bei dem Neubauprojekt „Zeisewiese“. Hier wurden bei 20 Wohnungen die zukünftigen Mieter von Anfang an und bei 20 Wohnungen von Rohbaufertigkeit am Prozeß beteiligt.
Alle Räume waren zu klein
Schon eine Woche nach der Information meldeten sich 242 Interessenten, so daß wir die erste Informationsveranstaltung im Altonaer Rathaus abhalten mußten. Alle Versammlungsräume der Genossenschaft waren zu klein. Nach Auswertung der verteilten Fragebögen und der Berechtigung der einzelnen Mieter entsprechend der Förderungsbestimmungen standen die 40 zukünftigen Mieter fest.
Meeting auf dem Lande
Das erste Planungsmeeting mit den „von Anfang an Mietern“ haben wir an einem Wochenende von Freitagnachmittag bis Sonntagmittag in unserem Seminarhotel in Bruhnskoppel durchgeführt. Jeder konnte auf einer für ihn von der Architektin vorbereiteten Grundplatte, die sich aus den Vorgaben der Baukörper ergaben, seinen gewünschten Grundriß planen. Das Ergebnis war überraschend. Es fiel zunächst vielen sehr schwer, die eigenen Vorstellungen zu entwickeln und sie in einen realistischen Grundriß umzusetzen. Auch die unterschiedlichen Vorstellungen von Partnern und die Diskussion war beeindruckend. Durch die geschickte Einflußnahme des Architektinnenteams gelang es, jedem Planer zu seinem Erfolg zu verhelfen.
Am Ende des Meetings hatten sich die zukünftigen Mieter nicht nur kennengelernt, sondern jeder Teilnehmer hat seinen Grundriß vorgestellt. Es war eine beeindruckende Leistungsschau mit verhältnismäßig großen Übereinstimmungen.
Grundrisse der Zukunft
Wir haben als Erkenntnis mitgenommen, daß Wohnungen ohne Hierarchie der Räume die Zukunft gehören und daß das Kochen und die Kommunikation verbunden werden sollten. Für uns war das Planungsmeeting auch eine unschätzbare Meinungsforschung, die erhebliche Auswirkungen auf unsere zukünftigen Bauplanungen hat.
Im Rahmen der Veranstaltung wurde auch über die Ausstattung diskutiert. Die Ansprüche der zukünftigen Mieter sind wesentlich realistischer als vermutet. Außerdem ist das Bewußtsein, daß der öffentliche Wohnungsbau einen Kostenrahmen hat, vorhanden.
Nach dem Planungsmeeting wurden die Grundrisse von der Architektin und von der Genossenschaft auf die Machbarkeit, die Wirtschaftlichkeit und die langfristige Vermietbarkeit untersucht. Erforderliche Änderungen wurden mit den zukünftigen Mietern abgestimmt.
Die Grundrisse für die ab Rohbaufertigkeit an der Planung beteiligten Mieter sind von der Architektin konzipiert worden. Sie wurden mit den Einzelnen abgestimmt und Änderungswünsche wurden berücksichtigt.
Leider war der Zeitraum zwischen der Planung und dem Baubeginn so groß, daß nicht alle an der Planung beteiligten in die Wohnungen einziehen.
Jetzt wird gebaut
Zwischenzeitlich ist das Bauvorhaben in der Realisierung. Die Wohnungsausstattung wurde bemustert und jeder Bewohner konnte im Rahmen von mehreren Vorschlägen seine Fliesen, seine Küche, seine Armaturen und seinen Fußboden aussuchen.
Die Gesamtkosten liegen im Rahmen der öffentlichen Förderung. Mehrkosten sind zur Zeit nicht erkennbar. Trotzdem war der Planungsaufwand für die Architektin sehr groß. Auch unser Aufwand für die Bauvorbereitung überschreitet den üblichen Aufwand erheblich. Das Experiment der Mietermitbeteiligung hat sich jedoch gelohnt. Wir sind jetzt auf der Suche nach geeigneten Grundstücken für eine Fortsetzung, da wir alle Berührungsängste verloren haben.
Holger Kowalski ist Vorstandsmitglied der Altonaer Spar- und Bauverein eG
Zuerst veröffentlicht: Freihaus 3(1998), Hamburg