Wohnprojekte auf dem Land
*** von Josef Bura ***
Wohnprojekte auf dem platten Land, das entspricht so gar nicht dem Klischee von neuen Wohnformen. Gemeinhin verbindet man damit die Großstadt und dort bestimmte In-Viertel: Ottensen, St. Pauli oder die Schanze. Alles falsch: Horst in Holstein zeigt, dass es auch anderswo geht. Nebenbei und kaum zu glauben: Horst wird Hamburg überholen.
Wie nennt man einen Ort mit 5.100 Einwohnern? Sagt man Dorf dazu, ist der Bürgermeister beleidigt; spricht man von „Stadt“, verlieren die Bewohner alle Maßstäbe und heben ab. In ihrem Internetauftritt beschreibt sich die Gemeinde Horst bescheiden aber zutreffend als „ländlicher Zentral-Ort an der nördlichen Peripherie des Großraumes Hamburg“. Sie hat eine eigene Autobahnabfahrt an der A23 und ist noch näher an Hamburg herangerückt, seitdem es dort eine neue Bahnstation gibt, an der allerdings nur Bimmel-, oder wie sie heute heißen, Regionalbahnen, Halt machen. Immerhin: Horst gibt sich aufgeweckter als mancher Ort im Umfeld.
Auf eine Wiese an den Ortsrand von Horst wird in etwa einem Jahr das erste Wohnprojekt ziehen. Von dort sind es zu Fuß keine 10 Minuten bis in den Ortskern mit dem Sitz des Amtes, der überregional bekannten Elbmarschen-Halle, die früher mal einen großen Möbelmarkt beherbergt hat sowie den üblichen Lebensmittel-Supermärkten. Alles ist hier überschaubar und das macht auch den Reiz aus.
Genossenschaft geht neue Wege
Nils Fischer ist Vorstand einer kleinen Schleswig-Holsteiner Wohnungsbaugenossenschaft, der „GKB-Pinneberg eG“, mit rund 500 Wohneinheiten in ihrem Bestand und Sitz in Pinneberg. Er ist einer aus der jungen Garde der Genossenschaftsvorstände, die jetzt die Nachkriegsgeneration ablösen. Das allein reicht jedoch nicht aus, ihn zu charakterisieren. Wichtiger ist, dass er den Unterschied zwischen einem Wohnungsunternehmen und einer Wohnungsbaugenossenschaft gut formulieren kann und „seine“ Genossenschaft entsprechend modern aufstellt.
Die GKB verfügt über Grundstücke in Horst, darunter die besagte Weide an der Johannesstraße. Anstatt wie eigentlich vorgesehen, das große Grundstück zu parzellieren und an Einzeleigentümer zu veräußern, hatte Nils Fischer die Idee, dort ein Wohnprojekt zu realisieren. Angeregt dazu hatte ihn eine Reihe von Veranstaltungen aus dem Jahr 2004, die STATTBAU im Auftrag der Wohnungsbauförderung im Innenministerium des nördlichen Bundeslandes durchgeführt hatte. Und auch das ist wichtig gewesen: Baugrundstücke auf dem Land sind nicht mehr so leicht wie früher zu veräußern. So kam man ins Gespräch und entwickelte einen Plan, wie man vorgehen wollte.
Horst – das wachsende Dorf
„Ohne den Bürgermeister geht es nicht!“ war die erste Erkenntnis nach gemeinsamer Besichtigung der Grundstücke. Und so verabredete man einen Termin mit dem damaligen Bürgermeister Ernst Wilhelm Mohrdieck, um ihn zu gewinnen. Der war erstaunlicherweise nicht skeptisch, sondern hatte gleich begriffen, dass ein genossenschaftliches Wohnprojekt auch für einem kleineren Ort von Vorteil sein kann: z. B. für ältere Menschen, die aus zu großen Einfamilienhäusern, in denen sie alleine leben, heraus wollen oder für junge Familien, die sich kein Wohneigentum leisten können oder wollen. Und darüber hinaus könnte ja vielleicht auch der eine oder andere Haushalt aus der Umgebung in den Ort umsiedeln: „Wachsende Gemeinde Horst“ ist hier nicht Marketing- Slogan, sondern Realität. Gern erzählt er davon, wieviel Bewohner Horst in den letzten Jahren dazu gewonnen hat.
Folglich bot der Bürgermeister dem Vorstand seine Unterstützung bei dem neuen Bauvorhaben an. Die bestand im Wesentlichen aus drei Bestandteilen: aus der Bereitschaft der Kommune, den bestehenden Bebauungsplan auf die Bedürfnisse einer Wohn-Gruppe hin abzuändern und aus der Bereitstellung des Gemeindesaales als Veranstaltungsort, sodass man nicht auf Kneipenhinterzimmer ausweichen musste, wenn man in Horst eine Informationsveranstaltung zum Thema durchführen wollte. Und schließlich stellte er sich hinter das Wohnkonzept und machte selbst Werbung dafür.
Claudia Bontjes van Beek will mit ihrer Familie, zu der zwei Kinder gehören, in das Wohnprojekt umziehen. Sie war aufs ganz platte Land gezogen, um dem hektischen Leben in der Stadt zu entfliehen. Heute lebt sie noch in einer Wohnung auf einem Bauernhof. Auch die Wendts – er Tierarzt, sie Hebamme – haben zwei Kinder. Beide Familien bilden den Kern und die gewählten SprecherInnen der zukünftigen Nutzergruppe. Sie sind schon seit einem Jahr dabei. Anders Klaus-Dieter und Petra Blohm, die vor knapp einem halben Jahr zur Gruppe gestoßen sind. Sie gehen so langsam auf die Rente zu. Bei ihnen ist der Sohn längst aus dem Haus. Sie wollen jetzt aus ihrem gemieteten Reihenhaus ausziehen, um sich räumlich zu verkleinern und in eine neue und lebendige Nachbarschaft zu integrieren.
Die Gruppenmitglieder planen und diskutieren alle wichtigen Entscheidungen mit. Für den Aufbau der Wohngruppe und deren Betreuung bedient sich die Genossenschaft der fachlichen Hilfe von STATTBAU und für die Bauplanung des Architekturbüros Dittert und Reumschüssel, beide erfahren in der Beratung und Begleitung von Wohngruppenprojekten. Inzwischen hat die Kerngruppe die Größe von acht Haushalten und das ist eine solide Basis, um zu sagen: Jetzt wird gebaut.
1 Prozent der Bevölkerung …
Wenn die Gruppe komplett ist, könnte sie durchaus 50 Personen umfassen: Das wären dann knapp ein Prozent der Bewohner von Horst. Da muss sich Hamburg jetzt anstrengen: Ein Prozent der Hamburger Bevölkerung macht mal gut 18.000 Bewohner aus, und so viele leben längst nicht in den knapp 200 Hamburger Wohnprojekten.
Nun wächst in Horst zusammen, was zusammen wachsen möchte. In einem Jahr wurden die Grundlagen für das geplante Projekt geschaffen. Allen voran hat sich eine Kerngruppe gefunden, die sich regelmäßig trifft und sich das Motto „jung und alt in Horst“ gegeben hat. Der neue Bebauungsplan ist flexibel auf die Bedürfnisse der Wohngruppe ausgerichtet. Das Bebauungskonzept besteht aus Doppel- und Reihenhäusern, die nicht in langen Reihen ausgerichtet sind, sondern um zwei Platzbereiche gruppiert sind und sich im Bautyp der ländlichen Wohn-Umgebung anpassen. Anstatt üppiger Individualbereiche gibt es großzügige und gemeinsam nutzbare Freiräume, die gleichermaßen Kindern wie Erwachsenen Räume und Freiheiten geben. Autos bleiben vor der Siedlung. Gebaut werden soll mit natürlichen Baustoffen und mindestens in Niedrig-Energie-Bauweise. Ein Gemeinschaftshaus, wo auch einmal Treffen und Feierlichkeiten außerhalb der eigenen vier Wänden stattfinden können, soll hergerichtet werden – wenn es die Bewohner tragen können und wollen.
Neue Wohnformen sind auf dem Lande genauso möglich wie in der Stadt – und so viel ist sicher: Sie sind dort auch machbar, wenn man die richtigen Akteure vor Ort einbindet. FreiHaus wird weiter über das Projekt berichten.
Das Projekt im Überblick
- 14 Mietwohnungen als Doppelund Reihenhäuser
- zwei zentrale Platzbereiche
- Energiesparbauweise
- Miete ca. 6 Euro/m² zuzgl. Nebenkosten
- Genossenschaftsanteile: ca. 1500 Euro, Eintrittsgeld 60 Euro
- Baubeginn: 2008, Einzug geplant: Ende 2008
- Kontakt: unter www.stattbauhamburg. de oder Josef Bura
Josef Bura, Sozialwissenschaftler, ist Mitarbeiter der STATTBAU HAMBURG GmbH und hat sich bei STATTBAU auf die Projekte im „ländlichen Raum“ spezialisiert.
zuerst veröffentlicht: FreiHaus 14(2007), Hamburg