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Artikel Wohnungspolitik

Mehr als nur ein Dach über dem Kopf

Die Stadt setzt auf Baugemeinschaften

*** von Tobias Behrens ***

Interview mit Dr. Heike Opitz, seit 2015 Leiterin der Fachabteilung Wohnen der BSW und Bendix Bürgener, Mitarbeiter der Agentur für Baugemeinschaften über die zukünftigen Herausforderungen bei der Umsetzung von mehr Baugemeinschaften in Hamburg.

FreiHaus: Zunächst eine persönliche Frage: Haben Sie auch privat Kontakte zu Baugemeinschaften (BG) bzw. Menschen, die darin leben?

Heike Opitz: Ja – natürlich, Bekannte von mir wohnen in Baugemeinschaften, die schon realisiert sind und andere sind gerade dabei zu bauen.

FreiHaus: Dann erleben Sie auch mit was für ein Aufwand mit der Umsetzung solcher Projekte verbunden ist?

Heike Opitz: Ich weiß, dass es schon mal bis zu sieben Jahre dauern kann, bis man einzieht und welche Katastrophen in solch einem Prozess dann passieren können, wenn z. B. die Kosten weggaloppieren… Deswegen habe ich auch ein Interesse daran, dass es solche Probleme zukünftig nicht mehr gibt, oder diese deutlich weniger auftreten und auch die Umsetzungszeiten kürzer werden.

NEUE QUARTIERE

FreiHaus: In den neu entstehenden Wohnquartieren sollen bis zu 20% aller Wohnungen für Baugemeinschaften realisiert werden und auch im Koalitionsvertrag ist die Förderung von kleingenossenschaftlichen Baugemeinschaften ausdrücklich genannt. In der Neuen Mitte Altona, an dessen Realisierung Sie in Ihrer vorherigen Beschäftigung bei der Abteilung Bodenordnung entscheidend beteiligt waren, konnte man die Zahl von 20% für BG auch umsetzen. Die Hamburger Wohnungspolitik setzt also auf Baugemeinschaften, was erhofft sie sich davon?

Heike Opitz: Baugemeinschaften sind für uns ein wichtiger Qualitätsfaktor für die neuen Quartiere, weil sich Menschen sehr frühzeitig für den Standort entscheiden und dann meistens auch gute Ideen entwickeln wie sie da wohnen und leben wollen. Dieses ‚wie sie da leben wollen‘ umfasst dann auch mehr als nur das Dach über dem Kopf. Die Hoffnung, die wir mit der besonderen Förderung der BG haben, ist, dass diese Projekte bzw. ihre Bewohner*innen das Leben in den Quartieren aktiv mit gestalten und damit auch für alle anderen Bewohner attraktiv machen.

FreiHaus: Die Baugemeinschaften können damit die Rolle der Pioniere in den Quartieren übernehmen. Können sie sich vorstellen, dass auch die ersten Grundstücke an Baugemeinschaften vergeben werden – ähnlich wie es dies in dem ersten Hamburger Baugemeinschaftsquartier (Parkquartier Friedrichsberg auf dem Gelände des ehemaligen Eilbecker Krankenhaus) gegeben hat?

Heike Opitz: Ja, es ist vorstellbar, dass die ersten Baufelder an Baugemeinschaften vergeben werden. Wir sind da aber noch nicht festgelegt, dafür stehen wir noch zu sehr am Anfang der Planung der Quartiere. Die große Herausforderung bei einer Entwicklung wie in Oberbillwerder ist die Masse, wir reden hier über ganz andere Größenordnungen. 20% aller neuen Wohnungen, sind immerhin ca. 1.200 – bis 1.400 Wohnungen nur für Baugemeinschaften. Wir haben deshalb eine Projektgruppe innerhalb der Agentur für Baugemeinschaften gegründet, die sich mit der Entwicklung der neuen Gebiete beschäftigt und mit der Frage wie wir es schaffen können, so viele Menschen für Baugemeinschaftsprojekte in Oberbillwerder oder anderen neuen Gebieten zu begeistern. Da wird der Faktor Zeit eine große Rolle spielen. Und dann wird entschieden, wie wichtig die BG für die Quartiere sind und wieviel es bringt, wenn sie als erstes dort hinziehen. Wir wissen heute aber noch nicht, in welchem Bereich Baugemeinschaften angesiedelt werden und wie diese sich in dem Gebiet verteilen sollen. Außerdem muss auch noch entschieden werden, in welchen Bauabschnitten das Gebiet entwickelt wird.

Blick über den gemeinschaftlichen Dachgarten: das Wohnprojekt Dock 71 in der Hafencity wurde mit dem Baugemeinschaftspreis 2017 ausgezeichnet (Foto: Archiv STATTBAU Hamburg)

IMAGE- UND INFOKAMPAGNE FÜR BG

FreiHaus: Die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) will das Thema Baugemeinschaften in der Stadt weiter voranbringen – welche neuen Ideen entwickeln Sie zurzeit in der Behörde?

Bendix Bürgener: Zur Zeit überlegen wir, wie wir die Menschen, die sich tendenziell für Baugemeinschaften interessieren, besser zusammenbringen können und wie wir die Realisierungszeiten – von der Idee bis zur Umsetzung – verkürzen können.

Beim Thema Zusammenbringen von potenziell Interessierten für BG sind wir auf den Vorschlag eingegangen, den STATTBAU Hamburg Ende 2017 an uns gerichtet hat und haben diesen weiterentwickelt. Es geht darum ein regelmäßiges Treffen für alle Baugemeinschafts-Interessierten aus Hamburg zu etablieren, das Möglichkeiten zur Information und zur Kontaktaufnahme bietet. Weiterhin soll dieses Treffen auch mit einem Onlineauftritt – wahrscheinlich der Website www.zusammen-bauen-lohnt.de – verknüpft werden, um die Kommunikation zu optimieren. Für die Durchführung dieser Arbeiten bereiten wir gerade eine Ausschreibung für einen Dienstleister oder eine Agentur vor.

Ab 2019 wollen wir dazu noch eine Imagekampagne starten, in dem wir über geeignete Medien für das Thema Baugemeinschaften werben.

Weiterhin möchten wir die Bearbeitungszeiten für die Umsetzung solcher Projekte verkürzen. Hier wäre es unser Ziel, die Projekte – von der Bewerbung bis zum Bezug – innerhalb von drei Jahren umzusetzen. Um das zu erreichen, müssen wir uns mit allen Beteiligten schlankere Verfahren überlegen. Auch das wollen wir in der nächsten Zeit angehen.

NEUAUSRICHTUNG DER BAUGEMEINSCHAFTSFÖRDERUNG

FreiHaus: In den letzten Jahren ist die Finanzierung von kleingenossenschaftlichen Baugemeinschaftsprojekten immer schwieriger geworden. Um die Finanzierung der Projekte sicherzustellen, mussten die Agentur für Baugemeinschaften und die Investitions- und Förderbank Hamburg (IFB) diverse projektbezogene Sonderlösungen basteln, um sie zu realisieren. Dies war und ist sehr zeit- und nervenaufreibend. Seit Februar 2018 sind wir dazu mit Ihrer Behörde im intensiven Gespräch, wir haben schriftlich Vorschläge erarbeitet, um Finanzierungsschwierigkeiten zu lösen bzw. die Förderbedingungen so weiter zu entwickeln, dass die Umsetzung funktionieren kann.

Heike Opitz: Es gibt ja konkrete Vorschläge dazu von Ihnen. Aus meiner Sicht gibt es zwei Themen, die es so schwer machen für Kleingenossenschaften: das sind die Grundstückspreise und die hohen Baukosten. Beide Posten sind ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Wir haben zu wenig Flächen und auch zu wenig Kapazitäten im Bereich der Bauwirtschaft, das trifft gerade eine Baugruppe besonders stark, die nur ein Haus baut und nicht viele Wohnungen wie ein professioneller Entwickler oder eine große Wohnungsbaugesellschaft. Wir sehen das Problem, müssen aber immer rechtfertigen, warum wir wie viel Förderung ausgeben. Wir können nicht jedes Problem immer lösen, haben gleichzeitig den Auftrag besonders Kleingenossenschaften zu fördern. Wir haben bei vielen der betroffenen Projekte in den letzten Jahren versucht gegenzusteuern und meines Erachtens auch immer eine passende Lösung gefunden.

Wenn wir jetzt in die neuen Gebiete gehen wird sich das Problem sicherlich entspannen. Wir haben dort mehr Grundstücke zur Verfügung und können dort auch intensiver die Vergabe von Erbbaurechten einsetzen. Das ist auch ein wichtiges Instrument, um die Kosten und Belastungen zu senken, denn es ist preiswerter Erbbaurecht zu erwerben, als das Grundstück zu kaufen. Außerdem sind in den Gebieten, die jetzt entwickelt werden, die Grundstückspreise nicht so hoch, als wenn wir das mit innerstädtischen Gebieten vergleichen. Wie man auch in der Mitte Altona gesehen hat, ist das Thema Bodenwert ein schwieriges. Wir als Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen können bei den Bodenwerten nicht regulierend eingreifen, sie werden durch eine unabhängige Kommission festgestellt, anhand von Vergleichswerten und -preisen. Wir berücksichtigen aber bei der Preisfindung schon, ob dort gefördert gebaut wird oder besondere Zielgruppen – z. B. für vordringlich Wohnungssuchende – mit Wohnraum versorgt werden.

SOLIDARFONDS FÜR BAUGEMEINSCHAFTEN

FreiHaus: Im Rahmen der Vorschläge für eine Neuausrichtung der Förderung haben wir auch den Aufbau eines „Solidarfonds“ vorgeschlagen. Die Idee ist, bei allen neuen Wohnprojekten nach einer Anfangszeit von etwa 10 oder 15 Jahren monatlich einen kleinen Betrag pro m² Wohnfläche in einen Solidarfonds abzuzweigen, der sich langsam aufbaut und in Zukunft neuen Wohnprojekten Eigenkapital zur Verfügung stellt, um sie zu realisieren. Solche Ideen knüpfen in gewisser Weise an die „Reinvestitionsverpflichtung“ aus dem Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht an oder auch an Modelle aus Österreich und der Schweiz, wobei da völlig andere Rahmenbedingungen vorhanden sind, die eine einfache Übertragung nicht möglich machen. Dennoch möchten wir gern jetzt in ein solches Modell einsteigen. Wie steht die BSW dazu?

Heike Opitz: Wir haben grundsätzlich Sympathie für die Idee, zumal wir dabei auch eine Art Rückfluss von einer anfänglich hohen Förderung in neue Projekte sehen. Allerdings müssen wir bei der Umsetzung eines solchen Modells auch eine Reihe von rechtlichen Fragestellungen mitdenken, die wir uns genau anschauen müssen, um eine sicheres Modell zu entwickeln.

Wir waren mit der Agentur für Baugemeinschaften gerade in der Schweiz und haben uns spannende Projekte und Konzepte angeschaut. Dort sind allerdings die Rahmenbedingungen anders als hier und unterliegen auch nicht den Wettbewerbsbeschränkungen der EU. Insgesamt finde ich unseren geförderten Wohnungsbau ein sehr gutes Modell und vielleicht können wir mit dem Solidarfonds die Voraussetzungen für neue Projekte weiter erleichtern.

FreiHaus: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Opitz und Herr Bürgener.

Dr. Heike Opitz ist seit 2015 Abteilungsleiterin für den Bereich Wohnen in dem Amt für Wohnen, Stadtenterneuerung und Bodenordnung der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen. Sie ist Juristin und hat zuvor im Bereich Bodenordnung gearbeitet. Bendix Bürgener arbeitet seit 2012 bei der Agentur für Baugemeinschaften. Er ist Stadtplaner und war zuvor beim Denkmalschutzamt in Hamburg tätig.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 23(2018), Hamburg