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Artikel Bodenpolitik/Grundstücke

Ein Umdenken in der Bodenpolitik ist nötiger denn je

Münchner Strategiepapier enthält auch für Hamburg wichtige Impulse

*** von Tobias Behrens ***

Ein Blick von Hamburg nach München ist immer mit sehr unterschiedlichen Empfindungen verbunden: einerseits treibt es einen bei Betrachtung der Miet- und Bodenpreise den Angstschweiß ins Gesicht und Befürchtungen kommen auf, dass das, was sich in München in diesem Bereich abspielt, auch zukünftig in der eigenen Stadt Realität werden könnte.

Andererseits produziert dieser extreme Druck auf den Wohnungsmarkt eine aktive Gegenbewegung: es sind in den letzten Jahrzehnten viele Wohnprojekte und neue Genossenschaften entstanden, die dem rasanten Mietsteigerungsprozess entgegengetreten sind.

Besondere Aktivitäten haben die Münchner Kolleg*innen seit dem letzten Jahr zu dem Thema Bodenpolitik ausgebildet. Hier ist die Entwicklung besonders dramatisch, denn inzwischen ist der Anteil des Bodenwerts beim Verkauf eines m² Wohnfläche schon weit über 50% gestiegen. Bei Verkaufspreisen in einem Eigentumsprojekt von über € 8.000 pro m² kann man sich diesen Wahnsinn konkret vorstellen.

Vor diesem Hintergrund ist im letzten Jahr die „Initiative für ein neues Bodenrecht“ gegründet worden und hat als erste Aktivität einen Münchener Aufruf für eine andere Bodenpolitik herausgebracht. STATTBAU Hamburg und P 99 haben diese Initiative neben vielen anderen bundesweit tätigen Organisationen sofort unterstützt. Bereits in der FreiHaus Nr. 22 (2017) haben wir darüber berichtet.

Am 22. und 23. Juni 2018 fand in München ein hochkarätig besetzter Workshop mit Teilnehmer*innen aus dem ganzen Bundesgebiet statt, der zum Abschluss das Strategiepapier Kommunaler Impuls zu einer gemeinwohlorientierten Bodenpolitik. Handlungsmöglichkeiten der Städte für eine soziale Wohnungsversorgung und lebenswerte Städte erweitern erarbeitet und veröffentlicht hat.

In der Präambel heißt es: „Eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik ist der Dreh- und Angelpunkt sozialer Wohnraumversorgung und lebenswerter Städte. Boden ist wie Luft und Wasser kein Gut wie jedes andere.“ In seinem Beschluss zu Artikel 14 Grundgesetz vom 12. Januar 1967 hat das Bundesverfassungsgericht u. a. festgestellt: „Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern.“

Eine „dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung“ (§ 1 Abs. 5 Baugesetzbuch) ist angesichts eines immer mehr in die internationalen Finanzmärkte einbezogenen Boden- und Immobilienmarktes, der in den letzten Jahren stark gestiegenen Bodenpreise und Mieten und eines anhaltenden Wachstumsdrucks in vielen Städten immer weniger zu gewährleisten. Die Städte sehen sich mehr denn je in der Pflicht, die gegebenen Handlungsspielräume für eine soziale Stadtentwicklungspolitik kreativ zu nutzen und den Erfahrungsaustausch zu erfolgreichen Modellen in der kommunalen Bauland- und Wohnungspolitik zu verstärken. Diese Bemühungen im Rahmen des gegebenen rechtlichen Instrumentariums stoßen aber angesichts eines zunehmenden Wachstumsdrucks und eines gravierenden Mangels an bezahlbaren Wohnungen immer mehr an ihre Grenzen.

Die beim Münchner Ratschlag zur Bodenpolitik am 22./23. Juni 2018 teilnehmenden kommunalen Verantwortlichen sehen deshalb dringlichen Handlungsbedarf zur Verbesserung ihrer Steuerungsmöglichkeiten, insbesondere im Boden- und Planungsrecht sowie im Steuerrecht. Sie appellieren nachdrücklich an die Verantwortlichen in Bund und Ländern, im Interesse des sozialen Friedens in den Städten u. a. die im Koalitionsvertrag genannten kurzfristigen Reformvorhaben zügig umzusetzen und die darüber hinaus mittelfristig erforderliche Weiterentwicklung des bodenpolitischen Instrumentariums vorzubereiten, z. B. durch die geplante Expertenkommission „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“.

In dem Forderungspapier geht es um vier Themenbereiche, zu denen konkrete Forderungen und Handlungsoptionen an Bund, Länder und Kommunen erhoben werden, verbunden mit offenen Fragen und Prüfungsbedarfen. Einige Forderungen aus dem zwölfseitigen Dokument werden im Folgenden dargestellt, die hoffentlich in den nächsten Monaten und Jahren bundesweit diskutiert und umgesetzt werden. 

  • Zunächst werden steuerliche Fragen angesprochen und gefordert, dass die neue Reform der Grundsteuer bodensparende Anreize berücksichtigen soll. Ebenso kann die gemeinwohlorientierte Baulandgewinnung durch steuerliche Anreize angekurbelt werden.
  • Im zweiten Abschnitt geht es um die Verbesserung der kommunalen Handlungsmöglichkeiten für eine dem Gemeinwohl verpflichtende Bodenpolitik, insbesondere eine Bodenvorratspolitik. Dazu könnten u. a. die Einführung eines unbedingten Vorkaufsrechts der Kommunen zählen sowie die Bereitstellung von nicht mehr benötigten bundeseigenen Grundstücken für nachhaltige und soziale Stadtentwicklungsmaßnahmen der Kommunen. Ebenso fordern die Verfasser des Papiers die Einrichtung revolvierender Boden- und Infrastrukturfonds, die als städtisches Sondervermögen eingerichtet werden und in die der Bund und die Länder verbilligt Grundstücke mit besonderen Zweckbindungen einbringen können. 
  • Im dritten Teil geht es um die Grundstücksvergaben. Hier wird gefordert, bei öffentlich geförderten Wohnungsbauvorhaben die Bindungszeiten deutlich zu verlängern, grundsätzlich Vergaben nach Konzeptqualität durchzuführen und kommunale Grundstücke nur noch im Erbbaurecht zu vergeben. Ebenso sollen die Haushaltsordnungen der Länder und Kommunen so geändert werden, dass vergünstigte Grundstückspreise verbunden mit sozialen und wohnungspolitischen Verpflichtungen möglich gemacht werden.
  • Im letzten Teil geht es um gemeinwohlorientiertes Boden- und Planungsrecht. Hier werden die Aktivierung bzw. Effektivierung bestehender Planungsinstrumente wie das Vorkaufsrecht, das Baugebot oder die Innenentwicklungsmaßnahme gefordert. Außerdem sollte zukünftig neues Baurecht grundsätzlich nur noch im Zusammenhang mit städtebaulichen Verträgen vergeben werden, in denen verpflichtende Festlegungen über den Anteil von geförderten Wohnungsbau sowie Beteiligungen an Infrastrukturkosten getroffen werden.

Insgesamt stellt dieser Kommunale Impuls zu einer gemeinwohlorientierten Bodenpolitik eine umfangreiche Auflistung von Themen und Handlungsfeldern dar, die auf Bundes-, Landes- und Kommunaler Ebene angegangen werden müssen, um der dramatischen Entwicklung der Miet- und Bodenpreise und der damit verbundenen sozialen Schieflage entgegenwirken zu können. Nur eine solch umfangreiche Heran gehensweise wird dem Thema gerecht, das nur isolierte ‚Herumdoktern‘ an Einzelthemen – wie z. B. der Mietpreisbremse – leistet hier nichts Nachhaltiges.

Vielmehr erscheint die Diskussion um dieses Thema eher eine Art Symbolpolitik zu sein, die einen Aktionismus vortäuscht, aber an die wesentlichen Themen gar nicht herankommt. Bei dem Thema Miet- und Bodenpolitik ist seit langem deutlich, dass der Markt vollständig versagt hat, und es wird täglich immer klarer, dass auch ein Politikversagen vorliegt. 

Dr. Tobias Behrens ist Geschäftsführer von STATTBAU HAMBURG.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 23(2018), Hamburg