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Artikel Stadtentwicklung Wohnprojekte Hamburg

Morgendämmerung für Baugemeinschaften?

Neue Quartiere setzen auf nachbarschaftliches Wohnen

*** Tobias Behrens ***

In Bezug auf die Entwicklung des Wohnstandorts Hamburg hat sich die Stadt das ehrgeizige Ziel gesetzt, jährlich 10.000 neue Wohnungen zu bauen. Dabei spielen auch Baugemeinschaften eine wichtige Rolle, wie zum Beispiel in Wilhelmsburg oder Oberbillwerder.

Bei der Bereitstellung der dafür notwenigen Flächen verfolgt die Stadt zwei verschiedene Strategien: Zum ersten gewinnt das Konzept „Mehr Stadt an neuen Orten“ in Hamburg zunehmend an Bedeutung. In Stadtentwicklungsvorhaben werden größere Quartiere völlig neu für den Wohnungsbau erschlossen. Hierzu zählen z. B. das Gebiet Neugraben Vogelkamp (mit ca. 1.500 geplanten Wohnungen) oder das Gebiet Fischbeker Rethen (mit ca. 2.200 geplanten Wohneinheiten).

Daneben wird unter dem Stichwort „Mehr Stadt in der Stadt“ in bestehenden Quartieren nach weiteren Bebauungsmöglichkeiten gesucht. Hierbei geht es nicht nur um die Schließung von Baulücken oder Nachverdichtungen auf bebauten Grund stücken, die unter dem Stichwort „Erneuern durch Ersetzen“ bei einer Neubebauung mehr Wohnungen realisieren, sondern auch um Flächenrecycling. Nicht benötigte Flächen mit ehemalig industrieller oder verkehrstechnischer Nutzung, wie z. B. die ehemaligen Bahnflächen in der Mitte Altona oder dem Güterbahnhof Barmbek, werden dabei für den Wohnungsbau qualifiziert.

Wesentlich größer sind noch die beiden Gebiete, deren Entwicklung von der IBA Hamburg GmbH vorangetrieben wird:

Nördlich der S-Bahn Station Allermöhe plant die Stadt auf bisher landwirtschaftlich genutzten Flächen den völlig neuen Stadtteil Oberbillwerder.

OBERBILLWERDER: „MEHR STADT AN NEUEN ORTEN“

Zum einen ist dies der geplante Stadtteil Oberbillwerder im Hamburger Osten. Hier sind ca. 7.000 bis 8.000 neue Wohnungen und genauso viele Arbeitsplätze geplant. Nördlich der S-Bahnhaltestelle Allermöhe wird auf den bisher ausschließlich landwirtschaftlich genutzten Flächen ein neuer Stadtteil für ca. 15.000 Menschen entstehen. Nach dem schon seit über einem Jahr Ideen gesammelt und die Bevölkerung über die Planungen informiert wurde, steht jetzt die Entwicklung eines städtebaulichen Entwurfs auf der Tagesordnung.

In Rahmen eines sogenannten „Wettbewerblichen Dialogs“ sollen in einem ersten Schritt acht Stadtplanungsbüros aufgefordert werden, Entwürfe für den Stadtteil zu erarbeiten. Diese werden dann öffentlich vorgestellt, diskutiert und bewertet. Aus diesen acht Entwürfen werden maximal vier Büros ausgesucht, die in einer 2. Phase (ca. ab Feb. 2018) – vor dem Hintergrund der Ergebnisse und Diskussionen der 1. Phase – ihre Entwürfe überarbeiten. Geplant ist es im Juni 2018 einen Zuschlag für den besten Entwurf zu beschließen.

Die in den öffentlichen Veranstaltungen zu dem Thema vorgestellten Ideen für den neuen Stadtteil sind vielfältig und ambitioniert: der neue Stadtteil soll natürlich lebenswert sein, er soll eine lebendige Vielfalt von unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichen Wohnformen ermöglichen, er soll unterschiedliche Generationen ansprechen und dabei inklusiv und generationengerecht entwickelt werden. Weiterhin soll er klimafreundlich nachhaltig und möglichst CO2 neutral gebaut werden.

URBANITÄT DURCH DICHTE UND WOHNORTNAHE ARBEITSPLÄTZE

Die große Herausforderung bei der Entwicklung dieses neuen Stadtteils wird sein, nicht die Fehler anderer Großwohnsiedlungen in Hamburg zu wiederholen. Hierzu gehört eine einseitige Gebäudetypologie und Belegungspolitik, fehlende Nutzungsmischung und schlechte Anbindung an den ÖPNV. Dies führte vielfach dazu, dass die Quartiere zu reinen Schlafstätten mit schlechtem Image wurden.

In Oberbillwerder sollen Gebäudetypologie, Belegungspolitik und Nutzungsmischungen in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden, damit Urbanität entstehen kann. Urbane Dichte und individuelle Körnung müssen daraufhin eingestellt werden.

Und auch in Oberbillwerder sind ca. 20% aller neuen Wohnungen für Baugemeinschaften vorgesehen, das wären dann ca. 1.500 Wohnungen an diesem Standort. In allen bisher veröffentlichten Informationen zu dem Stadtteil ist auf die besonders wichtige Rolle der Baugemeinschaften hingewiesen worden. Insofern ist davon auszugehen, dass die Stadt dies ernst meint und alles daran setzt, diese Ziele auch umzusetzen.

Die verschiedenen Quartiere in der neuen Mitte Wilhelmsburg

WILHELMSBURG: „MEHR STADT IN DER STADT“

Ein weiteres Projekt ist die Entwicklung der neuen Mitte Wilhelmsburg. In insgesamt 6 Teil-Quartieren werden auf der Elbinsel insgesamt ca. 5.500 neue Wohnungen entstehen. Hier sind die Planungen, die schon zu den Zeiten der Internationalen Bauausstellung (bis 2015) in den wesentlichen Grundzügen vorbereitet wurden, weit fortgeschritten. Städtebauliche Entwürfe und Funktions pläne sind weitgehend fertiggestellt und aktuell werden die Bebauungspläne erarbeitet. Wenn die Wilhelmsburger Reichsstraße auf die jetzige Trasse der Bahn verlegt wurde (wahrscheinlich bis zum Jahr 2019), können die Grundstücke vergeben werden und die konkreten Planungen beginnen. Angestrebt ist auch auf diesen Flächen, ca. 20% aller Wohnungen für Baugemeinschaften vorzusehen. Obwohl der Stadtteil nach wie vor vielen Belastungen durch Verkehr und Industrie ausgesetzt ist, hat dieser Standort speziell für Baugemeinschaften eine hohe Attraktivität, denn 

  • er ist verkehrsgünstig gelegen (die S-Bahn braucht 10 Minuten vom Bahnhof Wilhelmsburg bis zum Hauptbahnhof), 
  • er liegt in direkter Nachbarschaft zum alten Stadtteilkern von Wilhelmsburg mit allen Versorgungs-, Bildungs- und Kultureinrichtungen, die den Stadtteil schon heute attraktiv machen, und 
  • die Preise für Grund und Boden sind im Vergleich zu vielen anderen Citynahen Quartieren noch relativ günstig.

Wenn die beiden Quartiere Wilhelmsburg und Oberbillwerder in den nächsten zehn Jahren realisiert und die angestrebte Zielzahl für Baugemeinschaften erreicht werden sollte, wären das insgesamt ca. 2.500 neue Wohnungen für Baugemeinschaften – und das nur in diesen beiden Quartieren!

Wenn weitere Baugemeinschaften an anderen Standorten in dem Umfang wie in den letzten Jahren hinzukämen (ca. 100 Wohnungen pro Jahr), würde sich die Zahl der umgesetzten Baugemeinschaftswohnungen in Hamburg im Vergleich zu den letzten Jahren vervielfachen!!

Das sind gute Aussichten für die Menschen, die sich für diese Wohnform interessieren und natürlich auch für die Quartiere selbst. Der nachfolgende Artikel beschäftigt sich mit den Rahmenbedingungen, die zum Gelingen von Quartieren mit einem größeren Anteil an Baugemeinschaften beitragen. 

Dr. Tobias Behrens ist Geschäftsführer von STATTBAU HAMBURG und Mitglied eines „Immobilienwirtschaftlichen Beratungsgremiums“, das den wettbewerblichen Dialog zur Findung eines städtebaulichen Entwurfs für Oberbillwerder bis Mitte 2018 begleiten wird.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 22(2017), Hamburg