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Artikel Wohnprojekte Hamburg

Wohnprojekte- wie läuft´s denn so?

20 Jahre Erfahrung mit der Verwaltung von Wohnprojekten

*** Mascha Stubenvoll und Tobias Behrens im Gespräch mit Manuel Osorio ***

Im November feierte die P99 Wohnungsverwaltungsgesellschaft (P99) ihr 20-jähriges Bestehen in Form einer Zukunftskonferenz,, zu der alle Kunden eingeladen werden.

An einem Samstag kamen über 60 Vertreter der einzelnen Projekte in das Centro Soziale im Schanzenviertel und diskutierten über die Wohnungspolitik im allgemeinen und über die Arbeit von P 99 im Besonderen.
Die Konferenz war geprägt von einer guten Stimmung und dem Bestreben aller Teilnehmer*innen, die Idee der Wohnprojekte als Teil einer gemeinwohlorientierten Wohnungspolitik im Gegensatz zu einer renditeorientierten Praxis weiter zu entwickeln und zu verstärken. Aus diesem Anlass führte freihaus ein Gespräch mit dem Geschäftsführer Manuel Osorio über seine Eindrücke aus 20 Jahren Arbeit mit der Verwaltung von Wohnprojekten.
Weiterhin ist als ein Ergebnis der oben erwähnten Diskussion auf der Zukunftskonferenz ein Aufruf „Für eine gemeinwohlorientierte Wohnungs- und Bodenpolitik“ entstanden, der kurz vor der Hamburger Bürgerschaftswahl an die zuständigen Personen in Politik und Verwaltung versendet wurde und inzwischen von über 50 Organisationen unterzeichnet wurde.

freihaus: Was macht P 99 genau und welche Projekte werden verwaltet?
Manuel Osorio: P 99 hat inzwischen über 50 Kunden bzw. Mandanten. Dies sind überwiegend Wohnprojekte in unterschiedlicher Rechtsform d. h. Genossenschaften, Vereine, GmbHs (auch Mietshäuser Syndikats-GmbHs) oder GbRs. Außerdem werden noch einige andere Projekte verwaltet, die nicht Wohnprojekte, sondern zum Beispiel in der Rechtsform einer Stiftung organisiert sind. Die meisten der P 99 Projekte liegen in Hamburg, aber es gibt auch Mandanten außerhalb der Stadt. ­Besonders in Schleswig-Holstein hier werden sechs klein-genossenschaftliche Projekte verwaltet, sowie wenige Projekte in Hessen, Sachsen, Berlin oder auch Nordrhein-Westfalen.
Die einzelnen Wohnprojekte haben sehr unterschiedliche Größen: das fängt bei fünf Wohnungen pro Kunde an und geht bis über 300 Wohnungen. Zu den größten gehören die Genossenschaft Schanze eG und die Mietergenossenschaft Falkenried. Insgesamt werden über 2.000 Wohnungen von P 99 verwaltet.
Neben den reinen Wohnprojekten verwaltet P 99 auch einige eher gewerblich oder kulturell orientierte Projekte, hierzu zählen die fux eG in der Victoriakaserne, das Gängeviertel, das Kultur- und Bildungszentrum Raoul Wallenberg in Berlin, das Freizeithaus Kirchdorf-Süd, das Kanzlerhaus in Harburg, das Eduard Duckesz-Haus auf dem jüdische Friedhof, sowie das Café Schmidtchen im Parkquartier Friedrichsberg.

freihaus: Worum kümmert sich P 99 und ­worum nicht?
Manuel Osorio: P99 bietet eine spezielle Verwaltung an. Das Besondere daran ist, dass sie sich nur um das Thema Finanzen kümmert, alle anderen Themen, die mit Instandhaltung und Mieterverwaltung zu tun haben, werden von P 99 nicht übernommen. Es ist damit ein speziell auf die Bedürfnisse von Selbstverwaltungsprojekten zugeschnittenes Angebot. Dabei geht es um das Rechnungswesen, Vorbereitung der Jahres-abschlüsse, Betriebskostenabrechnungen, Begleitung der genossen-schaftlichen Pflichtprüfungen und insbesondere auch mittel- und langfristige Wirtschafts- und Liquiditätsplanungen.

freihaus: Wie haben sich die Wohnprojekte über die letzten 20 Jahre verändert?
Manuel Osorio: Bei der Frage nach der Veränderung der Projekte muss zunächst hervorgehoben werden, dass P 99 sowohl sehr alte – fast 20 Jahre bestehende Projekte – verwaltet, als auch neue Projekte, die erst vor einem Jahr in ihr Gebäude eingezogen sind.
Für die älteren Projekte gilt, dass eine Reihe von neuen Themen aktuell diskutiert werden, dabei geht es um Alterungsprozesse – nicht nur der Gebäude- sondern auch der Strukturen und Personen. Und es geht um das Thema Generationswechsel. Die Generation der Gründer scheidet langsam aus und es wachsen neue Personen in den Projekten nach. Für alle alten Projekte lässt sich aber eindeutig sagen, dass die Fluktuation innerhalb der Projekte sehr gering ist, viel geringer als auf dem normalen Wohnungsmarkt. Dies lässt meines Erachtens darauf schließen, dass die Bewohner sich sehr wohl fühlen.
Für viele Projekte ist die Frage der Selbstverwaltung sehr wichtig und der Umgang mit diesem Thema ist in den Projekten unterschiedlich. Es gibt Projekte, in denen die aktiven Personen (gewollt) regelmäßig durch neue Kräfte ausgetauscht werden, bei einigen Kunden sitzen seit Jahren die gleichen Personen auf den verwaltungsrelevanten Positionen.
In Bezug auf die Veränderung der Wohnprojekte lässt sich im Gegenzug festhalten, dass sie (in Hamburg) noch immer eine Nische darstellen. Wenn man die Gesamtzahl der Wohnprojekte zusammenzählt, kommt man wohl auf einige 1.000 Projektwohnungen. Bei einem Gesamtbestand von 900.000 Wohnungen in der Stadt bedeutet dies, dass Wohnungen in Wohnprojekten nicht mal ein Prozent des Gesamtbestandes ausmachen. Insofern ist dieser diese Art des Wohnens immer noch eine „Nischen- Produkt“, es hat noch keine Breitenwirkung entfaltet, obwohl es von der
Qualität her und den Effekten für die Menschen, die Quartiere und für die Stadt eigentlich eine Breitenwirkung entfalten hätte sollen.

freihaus: Eng verbunden mit der Idee der Wohnprojekte ist der Begriff der Selbstverwaltung. Wie wird diese Selbstverwaltung konkret in den Projekten gelebt?
Manuel Osorio: In Bezug auf die Qualität der Selbstverwaltung lassen sich die Kunden von P 99 in drei Gruppen aufteilen:
 die erste Gruppe bilden die Projekte bei den es super gut läuft,
 eine zweite Gruppe – und das ist die Mehrzahl aller Projekte – ist in Bezug auf die Selbstverwaltung gut aufgestellt. Zwar gibt es hier auch Reibungen und Konflikte, aber insgesamt kann man sagen, dass es funktioniert.
 in der dritten Gruppe sind die Projekte, die schon ziemlich heftige Konflikte mit sich rumtragen und auch teilweise über Jahre keine
Lösung finden. Das hat auch Auswirkungen auf die Selbstverwaltung und belastet die Projekte bzw. die Personen, die in der Selbstverwaltung aktiv sind.
Bei einer zahlenmäßigen Verteilung der drei Gruppen, würde ich nach meinem Gefühl her schätzen, das jeweils 20 % der Projekte zu den Gruppen 1 und 3 zählen und ca. 60 % in der Gruppe 2 liegen.

P 99 hat sich vor einigen Jahren anhand eines Wohnprojekts intensiv mit der Frage beschäftigt, welche Art von Arbeiten eigentlich für die Selbstverwaltung anfallen. Dieses Projekt wurde ein Jahr begleitet und alle Arbeiten notiert. Im Ergebnis hat jede erwachsene Person in dem Projekt monatlich durchschnittlich drei Stunden Arbeit in die verschiedensten Bereiche der Selbstverwaltung investieren müssen, um alle anfallenden Arbeiten zu erledigen.
Dieser Aufwand könnte vielleicht auch für andere Projekte zutreffen.
Allerdings unterscheiden sich die Projekte erheblich darin, ob dieses Engagement als Belastung oder sogar als Bereicherung empfunden werden. Bei den Projekten, bei denen die Stimmung gut ist, merken die Menschen kaum den Aufwand. In Projekten, bei denen die Stimmung getrübt ist, empfinden die Beteiligten den Aufwand als große
Belastung.
Insofern ist meine Erkenntnis nach 20 Jahren Arbeit mit Wohnprojekten, dass die Projekte in Bezug auf solche Arbeiten auch kreativer werden könnten und „soziale Innovationen“ wagen sollten. Damit meine ich, dass Verwaltungsarbeiten wie z. B. Reinigung, Instandsetzung, Post, Buchungen, aber auch Entscheidungsfindung und Konfliktbearbeitung in neuen Formen erprobt werden (z. B. „Soziokratie“). Bislang wird vieles in traditioneller Arbeitsteilung in einsamen „Ämtern“ bearbeitet – manches würde vielleicht besser mit gemeinschaftlich organisierten Abläufen funktionieren.
In Bezug auf die Selbstverwaltung kann ich auch feststellen, dass sich Umgangston und Umgangsformen in den Projekten in den letzten 20 Jahren schon sehr verändert haben. Die älteren Projekte waren und sind z. T. noch von einer „Machokultur“ geprägt. Inzwischen sind aber die Strukturen wesentlich differenzierter und sensibler geworden d. h. man versucht – zumindest in einigen Projekten – mit besonderen Regeln möglichst viele Mitglieder an der Entscheidungsfindung zu beteiligen. Dabei versuchen wir als Verwaltungsgesellschaft auch einen gewissen Beitrag zu leisten. Denn durch eine auch für Laien verständliche Vermittlung und Transparenz in Bezug auf die Finanzen kommt sehr viel Sachlichkeit in das Projekt. Damit leisten wir aus unserer Sicht eine Art vorbeugende Konfliktvermeidung. Darüber hinaus werden wir auch gelegentlich beauftragt uns mit besonderen Konflikten ausein-anderzusetzen und hier Lösungen mit den Projekten zu erarbeiten.
In Bezug auf die langfristige Stabilität von Wohnprojekten habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Projekte, die aus einer Kerngruppe heraus entstanden sind, die sich also auch schon vor dem Projekt kannten und etwas gemeinsam unternommen haben, besser funktionieren, als Projekte, die sich über das Wohnprojekt erst kennenlernen.

freihaus: Wie kann man den Mehrwert der Wohnprojekte beschreiben – für die Bewohner*innen selbst und für das Quartier? Gibt es Beispiel dazu, die den Mehrwert verdeutlichen?
Manuel Osorio: Aus meiner nun über 20 Jahre andauernden Beobachtung kann ich mit großer Überzeugung sagen, dass für Bewohner das Leben in den Hausgemeinschaften schon einen sehr positiven Effekt hat. Die nachbarschaftliche Nähe und die vielfältigen Möglichkeiten, Dinge gemeinsam zu organisieren, ist für die allermeisten Menschen eine große Bereicherung. Damit sind diese Wohnformen ein Modell, dem allgemein in der Gesellschaft vorhandenen Trend zur Vereinzelung und Verein­samung entgegenzuwirken.
In Bezug auf die Ausstrahlung der Projekte in die Quartiere kann ich nicht so viel sagen, weil wir hauptsächlich mit den internen Strukturen beschäftigt sind. Außerdem hängt dies natürlich auch von der konkreten Lage der Projekte ab. Als besonders gutes Beispiel kann ich von einem Projekt aus einer Randlage in Hamburg berichten, die einen dörfliche Charakter hat. Dort ist die Ausstrahlung des Projekts, bzw. ihre Bewohner schon deutlich erkennbar, weil viele Aktivitäten dort in dieser Dorfgemeinschaft dann auch von diesem Projekt initiiert oder unterstützt wurden.

freihaus: Vielen Dank für das Gespräch Herr Osorio.

Mascha Stubenvoll und Tobias Behrens ist Geschäftsführer von STATTBAU Hamburg GmbH.

Manuel Osorio ist seit 20 Jahren Geschäftsführer der Wohnungsverwaltungsgesellschaft P99. Er ist promovierter Soziologe und hat zuvor 10 Jahre in der Mietergenossenschaft Falkenried als Geschäftsführer gearbeitet. Bei P99 arbeiten inzwischen sieben Kolleg*innen. In der letzten Zeit wurden die Aktivitäten in Berlin verstärkt, weil es dort auch eine Reihe von selbstverwalteten Projekten gibt und zwei feste Mitarbeiter von P99 aus Berlin kommen.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 25(2020), Hamburg