Kategorien
Artikel Rechtsform/Genossenschaft

Novellierung des Genossenschafts-gesetzes

Rechtsform wird für kleinere
Wohnungsbaugenossenschaften attraktiver

*** von Burghard Flieger ***

Der Bundestag hat am 19. Mai 2006 die Neufassung des Genossenschaftsrechts in zweiter und dritter Lesung beschlossen. Das Gesetz trat am 18. August 2006 wie geplant in Kraft.

Rund 2.000 eingetragene Wohnungsbaugenossenschaften gibt es gegenwärtig in Deutschland. Die meisten sind älter, Ende des vorletzten Jahrhunderts sowie jeweils nach dem ersten und zweiten Weltkrieg entstanden. Die Hälfte aller Wohnungsbaugenossenschaften verfügt über nicht mehr als 500 Wohnungen und wird zu einem großen Teil durch ehrenamtliche Vorstände geleitet. Die Genossenschaftsgesetznovellierung bietet gerade für Genossenschaften dieser Größenordnung zahlreiche Verbesserungen. Entsprechend sind verstärkt Gründungen zu erwarten, besonders von Wohnungsbaugenossenschaften mit sozialen, kulturellen und ökologischen Zielen. Vor allem auf folgende Änderungen wäre dies zurückzuführen:

  • Die Rechtsform der Genossenschaft wird ausdrücklich auch für soziale oder kulturelle Zwecke geöffnet.
  • Die Gründung wird erleichtert und die allgemeinen Rahmenbedingungen gerade für kleine Genossenschaften werden verbessert. Dazu gehört u. a. die Absenkung der Mindestmitgliederzahl von sieben auf drei.
  • Bei Genossenschaften mit bis zu 20 Mitgliedern kann künftig durch entsprechende Satzungsbestimmung auf den Aufsichtsrat verzichtet und ein einköpfiger Vorstand eingeführt werden.
  • Das Gesetz erleichtert die Kapitalbeschaffung und -erhaltung, z. B. indem eine Sachgründung zugelassen wird.
  • Die genossenschaftliche Prüfung wird durch Verringerung des erforderlichen Prüfungsaufwandes für kleine und mittlere Genossenschaften weniger aufwendig und damit weniger kostenträchtig.

Lobbyarbeit für den Genossenschaftsgedanken

Der Bundesverein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e.V. ist seit zwanzig Jahren bei der Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit zugunsten des Genossenschaftsgedankens aktiv mit vielen Erfolgen. Er hat sich auch sehr aktiv für die Novellierung des Genossenschaftsgesetzes eingesetzt. Mitgliedschaftsanträge sind ausdrücklich erwünscht.
www.genossenschaftsgedanke.de

Soziale und kulturelle Aufgaben

Seit über hundert Jahren steht im Genossenschaftsgesetz, dass die Genossenschaft dem „Erwerb und der Wirtschaft“ ihrer Mitglieder dient. Diese enge Formulierung gab immer wieder zu Zweifeln Anlass, wenn die Genossenschaft kulturelle und soziale Ziele verfolgen sollte, beispielsweise bei Wohnungsbaugenossenschaften, die ökologisches Bauen, Wohnen Jung und Alt oder gemeinschaftliches Wohnen und nicht die wirtschaftliche Förderung in den Vordergrund ihrer Aktivitäten stellten. Bei einigen Sozialgenossenschaften hatte das Rückwirkungen auf die Anerkennung der Gemeinnützigkeit. Mit der neuen Formulierung sind diese Fragen nun geklärt. Einfacher wird mit der neuen Formulierung auch die Umwandlung von eingetragenen Vereinen in eingetragene Genossenschaften.

Klargestellt wird im überarbeiteten Gesetz, dass die Genossenschaft in ihrer Satzung vorsehen kann, dass die Mitglieder für Leistungen, die die Genossenschaft ihren Mitgliedern erbringt oder zur Verfügung stellt, zu laufenden Geldzahlungen verpflichtet sind. Dies ist für Wohnungsbaugenossenschaften mit Kommunikationund Begegnungsstätten oder anderen Gemeinschaftseinrichtungen von Bedeutung. Bislang war in der juristischen Literatur umstritten, ob derartige Pflichten durch die Satzung begründet werden können.

Verbesserungen beim Eigenkapital

Durch die Satzung kann bei Genossenschaften ein Mindestkapital (wie bei der GmbH) eingeführt werden, bei dessen Unterschreitung keine Auseinandersetzungsguthaben mehr ausgezahlt werden. Diese Regelung ist vor allem für die Genossenschaftsbanken interessant,soweit sie internationale Rechnungslegungsvorschriften anwenden. Es sind aber auch Rückwirkungen bei kleinen Genossenschaften denkbar, die die Prüfungspflicht betreffen. Denn das Hauptargument für die weitergehende genossenschaftliche Prüfungspflicht war immer, dass die Genossenschaften anders als die Kapitalgesellschaften kein Mindestkapital hätten.

Außerdem wurde die neue Mitgliedergruppe der „investierenden Mitglieder“ eingeführt, die der Genossenschaft nicht beitreten, weil sie deren Angebote nutzen wollen, sondern denen es um die Geldanlage geht. Diese Vorschrift eröffnet Differenzierungsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Mitgliedergruppen, die aber noch nicht zu Ende gedacht sind. Auch bisher gab es schon bei vielen Genossenschaften „fördernde Mitglieder“. Sie dürften sich für Genossenschaften als attraktivere Variante erweisen, da dies keine Dividenden- oder Verzinsungserwartungen weckt, sondern im Gegenteil die kostenlose Bereitstellung von Kapital zum Ausdruck bringt. Für Wohnungsbaugenossenschaften in der Gründungsphase eröffnet sich durch die Einführung der investierenden Mitglieder aber die Möglichkeit, für diese Anreize zur Zeichnung von Anteilen zu bieten und so die Eigenkapitalsituation der Genossenschaft zu verbessern.

Die Europäische Genossenschaft

Am 22. Juli 2003 wurde in Anlehnung an das Statut der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea) ein Statut für die Europäische Genossenschaft verabschiedet. Sie kann ab dem 18. August 2006 gegründet werden. Durch die mit der Verordnung neu geschaffene Europäische Genossenschaft werden grenzübergreifende und transnationale wirtschaftliche Betätigungen wesentlich erleichtert. Eine Europäische Genossenschaft kann gegründet werden:

  • durch Neugründung von mindestens fünf natürlichen Personen, deren Wohnsitze in mindestens zwei Mitgliedstaaten liegen, oder von mindestens fünf natürlichen und juristischen Personen oder von mindestens zwei juristischen Personen, wobei mindestens zwei der natürlichen oder juristischen Personen in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässig sein müssen;
  • durch Verschmelzung von mindestens zwei bestehenden Genossenschaften (wenn die Genossenschaften in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind);
  • durch Umwandlung einer bestehenden Genossenschaft, die seit mindestens zwei Jahren eine Niederlassung oder Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat hatte.

Sie erwirbt Rechtspersönlichkeit mit dem Tag ihrer Eintragung in dem Staat, in dem sie ihren Sitz hat. In Deutschland ist dazu eine Eintragung in das Genossenschaftsregister erforderlich. Der Sitz kann in einen anderen Mitgliedstaat verlegt werden, ohne dass eine Auflösung und neue Eintragung erforderlich ist. Eintragung und Löschung müssen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden. Das Mindestkapital beträgt 30.000 Euro. Die Europäische Genossenschaft kann wegen ihrer vielfältigen Gründungsmöglichkeiten eine interessante europäische Rechtsform sein.

Senkung der Prüfungskosten

Bis zuletzt waren die beabsichtigten Erleichterungen der Prüfung für kleine Genossenschaften umstritten. Die Lösung sieht nun folgendermaßen aus: Kleine Genossenschaften werden von der besonderen Jahresabschlussprüfung gemäß § 53 Abs. 2 GenG ausgenommen. Die Schwellenwerte sind 2 Mio. Umsatz und 1 Mio. Bilanzsumme. Beide müssen überschritten werden, um die Prüfungspflicht für den Jahresabschluss auszulösen. Nach Angaben der Prüfungsverbände wird damit etwa die Hälfte der Wohnungsbaugenossenschaften aus der besonderen Jahresabschlussprüfung herausfallen. Hierdurch dürften ein bis zwei Tage Prüfungsaufwand und damit die entsprechenden Kosten für Kleingenossenschaften wegfallen.

Damit wird für diese Genossenschaften wieder ein Rechtszustand erreicht, der bis 1985 rund 100 Jahre als Grundlage diente.  

Mit den Veränderungen fallen der Verweis auf das Handelsgesetzbuch weg und damit der Verweis auf die Wirtschaftsprüferordnung und damit die Rückkopplung zum IDW (Institut der Wirtschaftsprüfer) bzw. zum Peer Review (externe Nachschau). Die Verknüpfung zur externen Qualitätssicherung durch die Wirtschaftsprüfungskammer beinhaltete einen hohen Aufwand für die genossenschaftlichen Prüfungsverbände die dadurch aufgehoben ist.

Erste Aussagen einiger Verbände lassen erkennen, dass sie Prüfungserleichterungen und damit den Wegfall von Prüfungsgebühren nicht offensiv angehen werden. Entsprechend sollten die Genossenschaften selbst darüber nachdenken:Wie wollen wir von dem von uns ausgewählten Genossenschaftsverband geprüft werden. Schutz und Hilfe für die Genossenschaft ist das traditionelle Anliegen der genossenschaftlichen Prüfung. Der Sinn besteht also nicht vorrangig darin, die Anleger und Gläubiger zu schützen, sondern die Genossenschaftsmitglieder zu unterstützen. Die Prüfung dient einer prüfungsnahen Beratung und Betreuung durch die Verbände. Die Prüfungsverbände sind also dazu da, dass es den Genossenschaften gut geht: Sie sollen dienenden Charakter haben.

Lohnende Prüfung anstreben

Genossenschaften, für die die veränderten Prüfungsbedingungenen relevant sind, sollten entsprechende Erwartungen deutlich benennen. Von Seiten des ZdKs, des Zentralverbandes der deutschen Konsumgenossenschaften, wird dafür der Begriff der lohnenden Prüfung verwendet: Eine Prüfung muss so angelegt sein, dass sie für die Genossenschaft mindestens so viel an Einsparungen und Umsatzsteigerungen einbringt, wie sie kostet. Bestandteil einer derartigen Prüfung ist die Risikominimierung. Diese wesentliche Veränderung wird nun durch das Gesetz und seine Änderungen möglich. Um sie tatsächlich zu bewirken, sollten Wohnungsbaugenossenschaften folgende Anforderungen an ihre Prüfungsverbände formulieren:

  1. Wir wollen eine direkte persönliche Beziehung des Prüfers zur Genossenschaft. Neue Prüfer erhöhen jeweils den Aufwand.
  2. Wir wollen einen Fragebogen als Grundlage, der uns vor der Prüfung zugeht. Er dient zur Erfassung der Veränderungen und damit der Konzentration auf den Veränderungsbereich. Die Wahrheitspflicht von Aufsichtsrat und Vorstand ist hierfür zentrale Voraussetzung und Grundlage.
  3. Wir wollen als Konsequenz auf den Fragebogen nur auf unsere Genossenschaft zugespitzte Formulare ausfüllen.
  4. Wir wollen eine Schlussbesprechung als Betreuung, in der uns mitgeteilt wird, was gut und was schlecht läuft. Dies ist für uns wertvoller als ein mit Textbausteinen gefüllter Prüfungsbericht.
  5. Wir wollen ein System der Qualitätssicherung für die lohnende Prüfung. Dieses könnte systematisch entwickelt werden, durch Formulierung darüber, was sind die Zielsetzungen der Prüfung, mit welchen Mitteln sollen sie erreicht werden, wurden sie erreicht und wenn nicht, warum nicht.

Gemeinsame Vorgehensweise

Es ist Aufgabe der Verbände, die neuen, erleichternden Standards zu entwickeln und umzusetzen. Gleichzeitig wird aus den formulierten Fragen aber auch umgekehrt deutlich: Prüfungskosten zu sparen funktioniert nur, wenn die Genossenschaften Arbeit in die Vorbereitung ihrer Prüfung stecken. Sie müssen bereit sein, unbezahlte ehrenamtliche Arbeit an die Stelle der teuren Wirtschaftsprüfer zu setzen. Dafür ist teilweise eine zusätzliche Schulung der Vorstände und Aufsichtsräte erforderlich, manchmal allein schon, damit sie die Bilanz verstehen.

Um Erwartungen an die Prüfungsverbände formulieren zu können, erscheint es sinnvoll, dass sich kleinere Wohnungsbaugenossenschaften untereinander besprechen und darüber austauschen: Was gehört nach unserer Einschätzung zu einer lohnenden und was zu einer nicht lohnenden Prüfung? Welche Erfahrungen mit der Prüfung und den Prüfungsverbänden haben wir gemacht? Wie werden die Kosten und der Zeitaufwand begründet? Wie reagiert der Verband auf Unzufriedenheit und Veränderungsvorschläge? Nur durch einen aktiven Umgang mit der Thematik Prüfung werden Veränderungen, die die Novellierung ermöglicht, tatsächlich realisiert.  

Dr. Burghard Flieger ist seit 25 Jahren beratend, schreibend und forschend im Genossenschaftssektor engagiert. Als Vorstand und wissenschaftlicher Leiter der innova eG stehen aktuell Qualifizierungen und Betreuungen von Genossenschaftsgründungen aus der Arbeitslosigkeit und im sozialen Sektor im Mittelpunkt seiner Aktivitäten. Gegenwärtig moderiert und begleitet er im Rahmen von ExWoSt Forschungsprojekte zum Thema Dachgenossenschaften für Wohnprojekte.

Kontakt: innova eG, Projektbüro Freiburg
Erwinstrasse 29, 79102 Freiburg
Telefon: 0761/709023

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 13(2006), Hamburg