Wie gelingt ein lebenswerter Ort?
*** von Joachim Reinig ***
Auf einer Fachkonferenz Ende letzten Jahres diskutierte die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) die Frage nach „Mehr Stadt in der Stadt“. Wie gelingen urbane Qualitäten für Wohnen und Freiraum in einer wachsenden und dichter werdenden Stadt Hamburg. In einer Positionsbestimmung legte der Oberbaudirektor Jörn Walter „Leitsätze für die kompakte, urbane und vielseitige Stadt“ vor. Der Hamburger Architekt Joachim Reinig kommentierte auf der Konferenz aus seiner Erfahrung als Planer von Baugemeinschaften notwendige Qualitäten der Stadtentwicklung und wie ein lebenswerter Ort gelingt. Wir drucken Auszüge aus seiner Stellungnahme.
KOMMENTAR 1:
“IST ES WIRKLICH RATSAM,
IN DER STADTENTWICKLUNG DEN FOCUS
AUF „DICHTE“ ZU LEGEN?“
Viele Menschen lieben die Dichte, aber fürchten die Nachverdichtung. Bei einer Zahlendiskussion um Dichte hat man schon im Ansatz verloren.
Unser Bürgermeister hat in vielen Reden darauf hingewiesen, das Hamburg für die Zuwanderer eine „Stadt der Hoffnung“ ist. Er bezieht sich auf die Untersuchungen von Doug Saunders über die „Arrival Citys“, die Ankunftsstädte. Von der Zuwanderung hängt unsere Zukunft ab, so die Grundthese – überall auf der Welt, nicht nur im wachsenden Hamburg.
Nach Hamburg kommen die Arbeitssuchenden, die Migranten, die jungen Menschen zur Ausbildung. Sie benötigen Wohnraum, möglichst bezahlbaren.
Ich halte es für besser, statt um Gentrifizierung und Dichte, eine Diskussion um die Stadt als Hoffnungsträger zu führen und welche kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Chancen Zuwanderung beinhaltet – und dass es dafür lohnt, etwas zusammenzurücken. Der Adressat von Verdichtung muss sichtbar werden!
Neue Nachbarn, Junge Familien mit Kindern, studentisches Leben im Stadtteil sind leichter akzeptierbar und integrierbar als nur die Aussicht auf hohe Häuserblocks.
KOMMENTAR 2:
„ES GIBT IN HAMBURG
EIN STRUKTURELLES PROBLEM“
Die Schiers Passage im Gängeviertel wurde von Ludwig Schier gebaut. Aber er wohnte auch hier, zusammen mit Arbeiterfamilien, Handwerkern und Witwen. Dieser private Hausbesitzer – typisch für die Gründerzeit – ist Hamburg verloren gegangen. Hamburg ist zu fast 80% eine Mieterstadt geworden, oder – um es anders auszudrücken – eine Investorenstadt der Wohnungsbaugesellschaften: der ehemals gemeinnützigen, der Genossenschaften wie auch der privaten Wohnungsbaugesellschaften.
Eine Mieterstadt ist solange gut, wie die Mieten übersichtlich bleiben – früher war das einmal ein Wochenlohn für die Miete.
Jede neue Wohnung steht im Verdacht eine „Luxuswohnung“ zu sein. Selbst bei dem sozialen Wohnungsbau ist die soziale Komponente auf 15 oder 20 Jahre begrenzt – es fehlt in der wachsenden Stadt ein Regulativ, der Mietenspiegel (der als „Mieterhöhungsspiegel“ wirkt) ist es sicher nicht.
Ich glaube, wir brauchen in Hamburg die Diskussion um eine erhebliche Vergrößerung des Eigentumsanteils an Wohnungen. Nur so lassen sich die Belastungen für die Nutzer auf Dauer stabil halten und die Renten werden auskömmlich, wenn die Wohnung abbezahlt ist. Besonders jungen Familien sollte der frühe Weg ins Eigentum erleichtert werden.
Zu Eigentum zähle ich dabei ausschließlich das eigene Haus, die selbstgenutzte Eigentumswohnung oder auch die eigene Genossenschaftswohnung, in der keine Miete, sondern eine Nutzungsgebühr bezahlt wird.
Wenn diese Selbstnutzer bauen oder bauen lassen – dann bekommt Dichte ein Gesicht. Die Nachbarn sind bekannt, bevor die Baugrube entsteht.
Wir haben viele Erfahrungen gemacht beim Bau von Häusern für Baugemeinschaften, die aktive Nachbarschaftspflege im Vorwege betreiben konnten und trotz anfänglicher Sorgen letztlich freundlich begrüßt wurden. Das ist tausendmal besser als jede „Informationsveranstaltung“.
Auf diese Art und Weise werden Bürger zu Akteuren – und Hamburg kann wieder zu der „Stadt der Bürger“ werden.
KOMMENTAR 3:
„ECHTE MITWIRKUNG HAT SEINEN PREIS“
Das will ich erläutern an einem der erfolgreichsten Mitwirkungsprozesse in Hamburg. Dem Stadtteilpark „park fiction“ in St. Pauli-Süd, eine verdichtete Grünanlage in einem überlasteten Viertel. Die Blechpalmen sind inzwischen eines der meist fotografierten Hamburg-Motive.
Park fiction ist nicht elitär – trotz vieler Touristen, Fischmarktbesuchern und Szenegängern. Die Nachbarn nennen ihn inzwischen auch „Hartz IV-Mallorca“: die armen St. Paulianer gehen hierher in den Urlaub. Es gibt kein größeres Lob für einen Stadtteilpark. Der Park ist zoniert: ein fliegender Teppich als Ruhezone, eine Hundewiese, eine Teeinsel. Das alles mit einer untergeschobenen Turnhalle für die Stadtteilschule. Es wurde auch noch ein Grundstück abgetrennt für ein genossenschaftliches Wohnprojekt, das sich Parkhaus nennt. Zur Eröffnung des Parks schenkte der Bezirksamtleiter den Parkhausbewohnern einen Rasenmäher – sie übernahmen die Pflege des Rasens und behalten den Platz im Blick.
Wie wurde das in St. Pauli vor 15 Jahren erreicht?
Zwei Künstler, Christoph Schäfer und Margit Czenki, moderierten den Planungsprozeß im Stadtteil mit einem Planungscontainer vor Ort. Das erste Geheimnis waren die niederschwelligen Zugänge zu den Wünschen der Nachbarn, wozu sogar eine Hotline mit einem Anrufbeantworter ge hörte. Allen Ideen wurde Platz gegeben und sie wurden dokumentiert, nicht zuletzt als Documenta-11-Beitrag 2002 zur kollektiven Kunst in Kassel. Aus der Beteiligungsgruppe sind die Bewohner des Parkhauses hervorgegangen, für die ich eines der ersten Passivhäuser in Hamburg bauen durfte (mit 3 Unterschossen und 8 Obergeschossen).
Die Beteiligten bewerten heute als wichtigsten Faktor, dass sie mit Radikalität ihre Wünsche gegen die Fachbehörden verteidigt haben, die in den Abstimmungsprozessen immer wieder drohten verwässert zu werden. Im Ergebnis ist den Bewohnern der Platz so viel wert, dass sie in diesem Sommer schon den dritten Rasenmäher verbraucht haben. Wenn nach einem Wochenende mit tausenden Besuchern zu viele Kronkorken und Müll herumliegen, kooperieren sie mit der Stadtreinigung, die dann auch mithilft.
Im Juni dieses Jahres wurde der Park umbenannt in „Gezi Park Hamburg“ – lokal handeln, global denken.
Also: Qualität entsteht durch Konsequenz, Mitwirkung entsteht durch Rechte.
Die Staatsrätin und das Landesplanungsamt haben hier intensiv moderiert. Die Stadt Hamburg hat hier demonstriert, dass sie abgeben kann und viel gewinnt.
KOMMENTAR 4:
DIE PLANUNGSKULTUR MUSS SICH ERWEITERN
Nicht nur bei Architekturwettbewerben: Architekten denken in Fassaden und Strukturen, Nutzer in Nützlichkeiten.
Viel zu früh werden Pläne in Form von Architekturentwürfen oder städtebaulichen Masterplänen vorgestellt, ohne hinreichende vorbereitende Untersuchungen oder Entwicklung von Konzepten.
Viel Zeit und Aufwand geht dann verloren bei Veranstaltungen und dem Werben um Akzeptanz, die nachträglich viel schwerer zu erreichen ist.
Warum wurden bei der Neuen Mitte Altona statt einer gegriffenen Geschossfläche nicht zuerst die Leitbilder diskutiert und die Bedarfe ermittelt? Warum wurde nicht eine Fahrradstadt diskutiert, ein Stadtteil der jungen Familien und Kinder, der Erhalt von Räumen für Künstlerateliers oder warum wurde nicht der dringende Bedarf einer Moschee für die Altonaer Migranten erkannt? Kann nicht eine größere Verdichtung erreicht werden, wenn Wünsche berücksichtigt werden? Statt sich auf einen neuen Stadtteil zu freuen, verweigern Bürger die Mitwirkung und fordern Planungsstopp! Die Neue Mitte Altona ist ein Mitwirkungs-GAU.
Planungskultur entsteht durch niederschwellige Vorbereitung und der frühzeitigen Diskussion alternativer Nutzungskonzepte. Verdichtung entsteht dann von alleine – fast von alleine.
Akzeptanz für Verdichtung zu bekommen durch ein Versprechen von Qualität halte ich im Grundsatz für richtig. Aber wer definiert die Qualitäten? Wenn es der Oberbaudirektor macht, habe ich noch ein gutes Gefühl. Aber ein Architekt definiert Qualität schon völlig anders als ein Nutzer, ein Naturschutzreferat anders als eine Kindergärtnerin, ein Amt für Verkehr und Straßenwesen anders als eine Kirchengemeinde.
Ich fürchte, dass viele Bürger das Versprechen nach „Qualitäten im Einzelfall“ nicht akzeptieren, wenn es nicht sehr konkret benannt wird. Aber ich glaube auch, dass einige Regeln insgesamt geändert werden müssen. Hier einige Beispiele:
- Begeistert bin ich davon, dass die Stellplatzverordnung eingestampft wurde, das gibt viele urbane Spielräume.
- Ich warte noch darauf, dass die Überschreitung der Baulinien um mehr als 1,5 Metern auf mehr als 1/3 der Seite möglich gemacht wird – das wäre ein Schlüssel für mehr nutzbare private Balkone im verdichteten Wohnungsbau.
- Und ich warte noch darauf, dass die unsinnige Regelung für Ersatzpflanzungen entfällt, nach der unbedingt wieder Laubbäume selbst auf privaten Grundstücken angepflanzt werden müssen. Als Pomologe befürworte ich Apfel- und Obstbäume in den Gärten. Das freut die Bienen, die Anwohner und die Kinder und diese Bäume verschatten nicht so sehr. Auch in manch einem Straßenraum mit engen Reihenhausgrundstücken wären Obstgehölze eine Bereicherung für die Anwohner, die dann sicher auch gerne das Obst einsammeln und zu Saft pressen.
Um Qualitäten auszuhandeln müssen die richtigen Akteure auf Augenhöhe am Tisch sitzen – besonders in den ersten Planungsstufen. Und dafür müssen die Beteiligten die Möglichkeit haben, mit eigenen Fachgutachten Gewicht zu bekommen.
Für die Architektenschaft wird die Arbeit leichter, wenn es klare Wünsche und eindeutige Vorgaben gibt. Planungskultur entsteht da, wo es gelingt, dieses zu klären bevor angefangen wird zu zeichnen.
Mehr Stadt in der Stadt? Ja bitte – so könnten sich die Hamburger darauf freuen!
Joachim Reinig ist Architekt und beschäftigt sich mit seinem Büro Plan – R – Architektenbüro mit den Arbeitsschwerpunkten Baugemeinschaften und neue Wohnformen.
Literaturhinweis
Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt: Mehr Stadt in der
Stadt. Chancen für mehr urbane Wohnqualitäten in Hamburg,
November 2013
Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt: Mehr Stadt in
der Stadt. Gemeinsam zu mehr Freiraumqualitäten in Hamburg,
November 2013
zuerst veröffentlicht: FreiHaus 20(2014), Hamburg