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Artikel Finanzierung/Förderung

Verbraucherschutz als Genickbruch

Alternative Finanzierungsinstrumente für (Wohn-) Projekte in Gefahr

*** von Rolf Weilert ***

Die Bundesregierung ist zurzeit dabei, den Markt der Direktkredite und Kleinanlagen zu regulieren. Vor dem Hintergrund der Pleite des Energiekonzern Prokon wurde jetzt ein Gesetzesentwurf vorgelegt, der auch für viele Wohnprojekte negative Folgen haben könnte. Es droht die „Prospektpflicht“!

Immer mehr selbstorganisierte Initiativen zeigen den Weg hin zu einer gelebten solidarischen Ökonomie. Aber eine neue Gesetzesinitiative bedroht sie in ihrer Existenz.

„Bürgerschaftliches Engagement“, heißt es wohlklingend im Koalitionsvertrag der großen Koalition, solle gefördert und „die Gründung unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftlichem Engagement (z. B. Dorfläden, Kitas, altersgerechtes Wohnen, Energievorhaben)“ erleichtert werden. Solche Worte tun gut in einer Zeit, in der neoliberales Kapitalismusdenken weiterhin auf dem Vormarsch ist und die von Politikern gern benutzte Phrase der „sozialen Marktwirtschaft“ zunehmend ad absurdum führt. Denn natürlich ist nichts sozial daran, wenn etwa Altmieter und Einkommensschwache immer häufiger aus ihren Wohnungen vertrieben werden, weil die Gier nach Profit Häuser und Grundstücke zu reinen Spekulationsobjekten verkommen und ihre Preise in astronomische Höhen schnellen lässt, Gentrifizierung die Bevölkerungsstruktur der Innenstädte rabiat umkrempelt und dort nur noch willkommen ist, wer auch kräftig konsumieren kann.

Erfreulicherweise gibt es eine Reihe kleiner gallischer Dörfer, die sich dem Eroberungsdrang kapitalistischer Investorenlegionen mutig – und durchaus erfolgreich – entgegen stellen und ihnen die lange Nase zeigen. Dazu gehören z. B. Hausprojekte wie die im Mietshäuser Syndikat, wo abseits des profitorientierten spekulativen Immobilienmarkts dauerhaft und in Selbstorganisation Wohnraum mit sozial verträglichen Mieten realisiert wird. Aber ebenso viele kleine und mittlere Genossenschaften, solidarische Landwirtschaftsprojekte, Bioläden mit Mitbestimmungsmodellen und viele andere mehr.

Ehrenamtliches Engagement allein reicht aber oft nicht aus, um dem Traum vom solidarischen und selbstbestimmten Leben näher zu kommen. Die Realisierung sozialer Wohnprojekte, selbstorganisierter Eine-Welt-Läden, freier Schulen, Selbsthilfewerkstätten oder des Infoladens von nebenan kostet Geld und lässt sich nur selten aus den eher mageren eigenen Einnahmen decken. Vielen dieser Initiativen ist daher gemein, dass sie auf finanzielle Unterstützung aus ihrem Sympathisantenkreis angewiesen sind: Privatleute, die ihr übriges Geld lieber für einen guten Zweck zur Verfügung stellen als zur Profitmaximierung an die Börse zu bringen, machen so eine Vielzahl von Projekten überhaupt erst möglich – denn Bankkredite sind oft nicht zu bekommen, und wenn, dann zu Konditionen, die sich solidarische Unternehmungen selten leisten können. Diese Privatdarlehen – oft auch „Direktkredite“ genannt – schließen nicht nur eine Lücke in den Finanzierungsmöglichkeiten jenseits der etablierten Bankenlandschaft, sondern erlaubt auch neue Wege hin zu einer solidarischen Ökonomie.

Doch nun droht Gefahr in Gestalt des geplanten Kleinanlegerschutzgesetzes, dessen Entwurf seit Ende Juli vorliegt und das nach der Sommerpause im Parlament verabschiedet werden soll. Denn die vollmundigen Worte aus dem Koalitionsvertrag sind leider das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt ist: Anstatt solche Projekte zu fördern, sollen sie denselben Auflagen unterworfen werden wie millionenschwere Beteiligungsgesellschaften und Investmentfonds. Als „Verbraucherschutz“ und „Kleinanlegerschutz“ will uns das Finanz- und Wirtschaftsministerium gerade verkaufen, was in der Realität vielen dieser kleinen, feinen solidarischen Initiativen in finanzieller Hinsicht das Genick brechen wird.

PAUSCHALE PROSPEKTPFLICHT ALS FINANZIELLE SIPPENHAFT

Sicher gibt es einige unlautere Anbieter im großen Teich der Vermögensanlagen, die mit falschen Versprechungen versuchen, den Kleinanlegern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Das Rezept der Bundesregierung dagegen: Pauschal allen – großen wie kleinen, profitwie gemeinwohlorientierten Unternehmungen – die aufsichtsrechtlichen Daumenschrauben anzulegen. Im konkreten Fall heißt das: Prospektpflicht auch für Hausprojekte, Dorfläden und Waldorfschulen, die sich Geld von Menschen leihen, die dieselben Ziele verfolgen.

Was vermeintlich harmlos klingt, hat es ganz schön in sich: Die Erweiterung der Prospektpflicht, wie im Kleinanlegerschutzgesetz vorgesehen, bedeutet, dass auch die erwähnten solidarischen Projekte nur dann Geld von sympathisierenden Privatpersonen annehmen dürfen, wenn zuvor ein sogenannter Verkaufsprospekt erstellt und von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) geprüft und für gut befunden wurde. Und dafür reicht es leider nicht, sich einen Abend lang mit zwei, drei Freunden zusammen zu setzen und mal eben einen etwas umfangreicheren Flyer zu schreiben: Das Vermögensanlagengesetz, in dem die Prospektpflicht verankert ist, gibt dem Finanzministerium das Recht, quasi auf Punkt und Komma genau zu regeln, was wo und wie in solch einem Verkaufsprospekt drinstehen muss (einen Vorgeschmack liefert die „Überkreuz-Checkliste“ der BaFin, in der auf 13 Seiten stichwortartig die Anforderungen an einen Verkaufsprospekt aufgelistet sind). Für Menschen, die nicht in der Finanzbranche arbeiten, ist so etwas nicht leistbar, und professionelle Hilfe kostet schnell fünfstellige Eurobeträge. Ohne Prospekt kein Geld, ohne Geld kein Projekt – eine einfache Rechnung, die solidarischem Wirtschaften die Basis entzieht. Institutionelle Anbieter von Vermögensanlagen werden es der Bundesregierung sicher danken, dass sie ihnen durch die Erweiterung der Prospektpflicht unliebsame Konkurrenz vom Hals schafft – denn was die einen aus der Portokasse bezahlen können, entzieht den anderen die finanzielle Grundlage.

Ganz nebenbei erhält die BaFin noch erhebliche Rechte, wie zum Beispiel das Anfordern von polizeilichen Führungszeugnissen oder Kontrollbesuche in den Büros. Selbstredend darf dann auch ein entsprechender Katalog von Strafmaßnahmen nicht fehlen; so sind bei Verstößen Geldbußen bis zu 500.000,– Euro und selbst Gefängnis bis zu drei Jahren vorgesehen. „Regulierung des grauen Kapitalmarkts“ heißt das verharmlosend im Jargon der Finanzmarktwächter, und dass nun auch kleine Initiativen aus dem Bereich der Solidarökonomie zukünftig davon betroffen sein sollen, nennen Schäuble & Co. verharmlosend ein „Schließen von Regulierungslücken“.

DIE MÄR VON DER REGULIERUNGSLÜCKE

Mal ganz abgesehen von der Frage nach der Sinnhaftigkeit, solidarischer finanzieller Unterstützung mit solch Holzhammerregulierung den Garaus zu machen, erscheint es selbst aus Sicht der Aufsichtspraxis zweifelhaft, hier von Regulierungslücken zu sprechen. Denn die Rahmenbedingungen, unter denen Privatdarlehen angenommen und um sie geworben werden kann, unterliegen schon jetzt detaillierten gesetzlichen Bestimmungen. Das Kreditwesengesetz sieht nämlich vor, dass dies nur in Form von sogenannten Nachrangdarlehen geschehen darf. Das heißt, dass solche Privatdarlehen im Insolvenzfall nachrangig behandelt werden; Banken und andere Gläubiger werden zuerst ausbezahlt. Zusätzlich kann der Darlehensnehmer die Rückzahlung bei drohender Zahlungsunfähigkeit verweigern; ist der Anbieter also gerade knapp bei Kasse, müssen die Direktkreditgeber warten, bis wieder genügend Kapital vorhanden ist. Darüber hinaus darf bei der Werbung nicht behauptet werden, die angelegten Gelder seien sicher, und bestehende Risiken dürfen nicht kaschiert oder konterkariert werden. An die Praxis des Geldeinsammelns mittels Nachrangdarlehen als Alternative zum klassischen Bankkredit sind also auch jetzt schon erhebliche Anforderungen gestellt. Eine Regulierungslücke sieht anders aus, und Handlungsbedarf für eine weitere Verschärfung ist daher weit und breit nicht erkennbar (und läge der Politik der Verbraucherschutz auf dem Finanzsektor tatsächlich so sehr am Herzen, wie sie uns gerne glauben machen wollen, so sollte sie sich zuallererst der Benachteiligung der Kleinanleger gegenüber den Banken im Insolvenzfall annehmen).

PROKON ALS AUSREDE

Dennoch ist die Regulierungswut auf Seiten der Bundesregierung ungebrochen, und als Rechtfertigung für erstere muss seit einiger Zeit immer wieder Prokon herhalten. Das Unternehmen, das im Bereich regenerativer Energien tätig ist und zur Finanzierung insgesamt fast eineinhalb Milliarden Euro von Kleinanlegern eingesammelt hatte, musste Anfang des Jahres Insolvenz anmelden, nachdem es gekündigte Anlagen nicht mehr zurück zahlen konnte. Viele Kleinanleger bangen seitdem um ihr Geld.

Nicht nur die Presse hat diesem Fall besondere Aufmerksamkeit gewidmet; auch die Bundesregierung bedient sich seiner, um die Einführung einer Prospektpflicht auch für Nachrangdarlehen zu rechtfertigen. Dabei hat das eine mit dem anderen nicht das Geringste zu tun. Denn die von Prokon ausgegebenen Genussrechte waren auch nach geltender Rechtslage schon längst prospektpflichtig, und im Falle von Prokon existieren auch die entsprechenden öffentlich zugänglichen Verkaufsprospekte – allesamt von der BaFin geprüft und genehmigt. Nur geholfen haben sie den Kleinanlegern herzlich wenig. Wie auch; Verkaufsprospekte in der Form, wie sie vom Vermögensanlagengesetz vorgesehen sind, sind als Mittel zum Schutz der Kleinanleger schlicht und ergreifend ungeeignet, zumal sich die Prüfung der BaFin auch auf die formalen Aspekte des Prospekts beschränkt.

VERKAUFSPROSPEKTE SCHÜTZEN NUR DIE GROSSEN

Hält man einen solchen geprüften und gebilligten Verkaufsprospekt mal in Händen, fallen vor allem zwei Dinge auf: Er sieht sehr professionell aus, und er enthält viele, viele Zahlen. Es findet sich die Unternehmensbilanz, Gewinn und Verlustrechnungen, Prognosen, Anlagespiegel und einiges mehr. Für professionelle Anleger, die ihre Brötchen damit verdienen, aus viel Geld noch mehr Geld zu machen, ist das sicher hilfreich, um Chancen und Risiken einer Geldanlage genauer einschätzen zu können. Für jemand, der keine besonderen Vorkenntnisse in Betriebswirtschaftslehre oder Buchhaltung mitbringt, bleibt der Verkaufsprospekt hingegen ein Buch mit sieben Siegeln. Viel schlimmer noch: Das professionelle Layout auf Hochglanzpapier, die vielen Unterschriften von Dr.s, Dipl.-Ing.s und Geschäftsführern, die Verweise auf Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und die Genehmigung durch die BaFin suggerieren fast zwangsläufig eine falsche Seriosität und gaukeln Sicherheit vor, wo Vorsicht geboten wäre.

Kleine, nicht gewinnorientierte Unternehmungen erlauben Kleinanlegern hingegen mit deutlich geringerem Aufwand eine realistische Risikoabschätzung. Gerade die ideelle Nähe zwischen Geldgebern und Kreditnehmern erleichtert den direkten Kontakt erheblich, und die Entwicklung des „Investitionsobjekts“ kann unmittelbar verfolgt werden, da die meisten Direktkreditgeber in derselben Stadt, oft sogar im selben Stadtteil wohnen wie die von ihnen unterstützten Projekte. Zudem sind die Zinsen für solche Nachrangdarlehen meist sehr moderat gehalten; ohne mehr oder weniger horrende Renditeversprechungen, mit denen die profitorientierte Konkurrenz oft lockt, ist ein solides Wirtschaften natürlich deutlich einfacher, die damit verbundenen Risiken entsprechend geringer. Für Kleinanleger ist ein Verkaufsprospekt in solchen Fällen nicht nur überflüssig, sondern geradezu nutzlos.

DER BÜRGER ALS UNMÜNDIGER KLEINANLEGER

Das Prinzip, mithilfe der Finanzgesetzgebung den verschiedenen Facetten einer solidarischen Ökonomie das Leben nicht nur schwer, sondern zunehmend unmöglich zu machen, ist beileibe nicht neu. Das Kreditwesengesetz erzwingt die Nachrangigkeit einer ideellen Finanzierung gegenüber dem Bestandsschutz der Banken; Bürgersolaranlagen wurden vor einigen Jahren von der Prospektpflicht eingeholt, und nun werden Hausprojekte, Genossenschaften, Nachbarschaftstreffs und Kulturzentren, die sich über Nachrangdarlehen finanzieren, von einer neuen Regulierungswelle in ihrer Existenz bedroht. Den Menschen, die mit ihrem Geld lieber die Utopie eines solidarischen Lebens unterstützen anstatt profitorientiert einem immer rücksichtsloser um sich greifenden Kapitalismus zu huldigen, werden immer mehr die Möglichkeiten dazu genommen. Das Recht, selbst darüber entscheiden zu können, wen und welchen Zweck man mit dem eigenen Geld unterstützen will, wird so durch die Hintertür Stück für Stück abgeschafft. Die Banken werden’s danken; das Zunichtemachen alternativer Anlageformen treibt ihnen natürlich neue Kundschaft in die Hände.

Der Politik kann man bestenfalls Gleichgültigkeit attestieren – wieder einmal soll „Verbraucherschutz“ mit dem Gießkannenprinzip realisiert werden, anstatt dort gezielt nachzubessern, wo sich in der Vergangenheit tatsächlich Defizite ergeben haben (Defizite für die Kleinanleger, wohlgemerkt). Institutionelle Anbieter, die Kleinanleger durch rücksichtslose Profitmaximierung besonderen Risiken aussetzen, und gemeinwohlorientierte Projekte werden in denselben Topf geworfen. Der Flurschaden, den das Kleinanlegerschutzgesetz anrichten würde, ist beträchtlich und wäre wohl auf Jahrzehnte hinaus nicht wieder gutzumachen. Denn in einer Welt, in der es immer wichtiger wird, dem grenzenlosen Kapitalismus eine gelebte Alternative entgegen zu stellen, bedeutet die geplante Prospektpflicht für Nachrangdarlehen, sowohl für schon realisierte als auch für noch im Entstehen begriffene solidarische und selbstorganisierte Projekte unterschiedlichster Couleur und Machart, nicht nur ein lästiges Ärgernis, sondern eine unmittelbare Bedrohung in ihrer Existenz. Höchste Zeit, der Politik klar zu machen, dass das so nicht geht. 

Rolf Weilert, vom Mietshäuser Syndikat Hamburg, berät seit vielen Jahren Wohnprojekte und Initiativen, die ihre Projekte und Häuser langfristig der Immobilienspekulation entziehen wollen.

Linksammlung


Koalitionsvertrag CDU CSU SPD vom 14.12.2013:
Seite 17, Existenzgründer und Wachstumsfinanzierung https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/ koalitionsvertrag.pdf

Ebenfalls aus dem Brief des ZdK: „Wir werden die Gründung von Genossenschaften wie andere Existenzgründungen fördern. Dazu werden wir geeignete Förderinstrumente entwickeln und bestehende anpassen. Wir werden Genossenschaften die Möglichkeit der Finanzierung von Investitionen durch Mitgliederdarlehen wieder eröffnen.“

„Maßnahmenpaket zur Verbesserung des Schutzes von Kleinanlegern“ des Bundesfinanzministeriums vom 22.05.2014:
http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/
Downloads/Finanzmarktpolitik/Ma%C3%9Fnahmenpaket-
Kleinanleger.pdf?__blob=publicationFile&v=1 [BaFin]

Referentenentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Kleinanlegerschutzgesetzes vom 28.07.2014:
http://www.bundes finanzministerium.de/Content/DE/Downloads/
Gesetze/ 2014-07-28-kleinanlegerschutzgesetz.pdf
?__blob=publicationFile&v=5f [Kleinanlegerschutzgesetz]

Österreichische Bewegung, Bürgerinitiative betreffend
allgemeine Freiheit der direkten Kreditgewährung:

http://www.wirsindviele.at

Homepage des Mietshäuser Syndikats mit weiteren Informationen
und Stellungnahmen:
www.syndikat.org

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 20(2014), Hamburg