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Artikel Wohnprojekte für besondere Zielgruppen

„Kauf dir kein Haus, sondern (gute) Nachbarn“

Das Potential der türkischen Bürger auf dem Wohnungsmarkt

*** von Zeynep Adanali ***

In den letzten Jahren ist der Zugang zu Wohnraum für die migrantische Bevölkerung in den meisten deutschen Großstädten mit zunehmenden Schwierigkeiten verbunden. Die Bewohner mit Migrationshintergrund sind von Diskriminierung oder anderen Vorbehalten konfrontiert. Das Interesse an Wohneigentumsbildung ist demzufolge, insbesondere bei einkommensstarken türkischstämmigen Migranten, stark angestiegen. Das genossenschaftliche Bauen ist bei Ihnen dennoch weitestgehend unbekannt, obwohl diese Art des Bauens in sozio-kultureller Hinsicht sehr gut geeignet ist. Es ist sinnvoll das Potential der migrantischen Bevölkerungsgruppe auf dem Wohnungsmarkt wahrzunehmen und ihnen unterschiedliche Möglichkeiten des Zugangs zu Wohnraum zu eröffnen.1)

1) Der Text gründet sich auf die 2013 erschienene Master-Thesis von Zeynep Adanali: „Türkischstämmige Migranten auf dem Hamburger Wohnungsmarkt am Beispiel des Stadtteils Wilhelmsburg“

Mit langen Aufenthaltszeiten und wachsenden Bleibeansichten wird sich der Trend zur Wohneigentumsbildung bei der migrantischen Bevölkerungsgruppe in Zukunft weiter verstärken. Diese Bevölkerungsgruppe stellt sowohl in Deutschland als auch in Hamburg ein wichtiges sowie in Zukunft noch wachsendes ökonomisches Potenzial dar. Die verstärkte Wohneigentumsbildung von Menschen mit Migrationshintergrund verspricht vor allem für die Quartiers- und die Stadtentwicklung besondere Chancen und trägt weitestgehend zur Stabilisierung von Stadtteilen bei (vgl. DIFU 2011). Die aktuellen Fragen zur Integration dieser Bevölkerungsgruppe gewinnen dadurch an Bedeutung und eröffnen Potentiale. Neben der ökonomischen, politischen und rechtlichen Integration spielt die soziale Integration der Migranten eine herausragende Rolle für das Zusammenleben in der deutschen Gesellschaft. Das alltägliche Wohn- und Lebensumfeld hat hierbei eine zentrale Funktion. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, die Lebens- und Wohnverhältnisse der migrantischen Bevölkerungsgruppe zu verbessern und deren Kaufmotivation durch „Wohneigentumalternativen“ zu unterstützen, um ihren Zugang zu Wohnraum zu erleichtern.

Ein Ergebnis der im Rahmen der Master-Thesis durchgeführten Befragung türkischstämmiger Migranten war, dass genossenschaftliches Bauen in „Baugemeinschaften“ neben der klassischen Wohneigentumsbildung durch den Erwerb einer Wohnimmobilie eine interessante Wohnalternative darstellt. Beim genossenschaftlichen Bauen und Wohnen schließen sich Menschen mit ähnlichen Wohnund Lebensvorstellungen zusammen, um ein Wohnprojekt zu realisieren, und dadurch kostengünstiger zu bauen. Diese Form des Bauens und Wohnens bietet den Mitgliedern außerdem eine freie Entfaltung ihrer individuellen Wohnwünsche. Diese Aspekte können zur Akzeptanz dieser Wohnform innerhalb der türkischen Bevölkerungsgruppe führen. Als Handlungskonzept würde deshalb ein Konzept für eine „Agentur für migrantisches Wohnen“ erarbeitet. Dieses Konzept soll allen Interessengruppen entgegenkommen und sozialverträgliche Lösungen anbieten. Die „Agentur für migrantisches Wohnen“ hat drei strategische Handlungsfelder, für ein nachhaltiges Hilfeangebot für Migranten:

  • Beraten, Informieren und Support der Migranten zu Wohnraumthemen und Stadtentwicklungsprozessen. 
  • Partizipation und Mobilisierung der Migranten im öffentlichen Raum. 
  • Kooperation und Suche nach gemeinsamen Lösungen mit der Stadt und der Wohnungswirtschaft und Initiierung sowie Flankierung von Projekten und Strategien.

Unter anderem ist eine der Aufgaben der Agentur die Entwicklung von Baugemeinschaften für migrantische und interkulturell interessierte Bürger. Für das Handlungsfeld „Baugemeinschaft“ wurde ein zweistufiges Konzept entwickelt. In der ersten Stufe wurde eine Informationsstrategie erarbeitet, um die Siedlungsform der Baugemeinschaft den Menschen mit Migrationshintergrund näherzubringen. Darauf folgt als zweite Stufe die Entwicklung einer modellhaften Baugemeinschaft für Migranten.

Grafik: Zeynep Adanali

Für die Entwicklung einer modellhaften Baugemeinschaft ist es wichtig die Wohnbedürfnisse potenziell interessierter türkischstämmiger Migranten zu kennen. Aktuelle Forschungsergebnisse weisen auf sich ausdifferenzierende Lebenslagen und Wohnmilieus innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe in Deutschland hin, die sich in unterschiedlichen Präferenzen, Restriktionen und entsprechende Wohnstandortentscheidungen manifestieren (vgl. DIFU 2011). Die türkische Bevölkerungsgruppe hat ähnliche Wohnbedürfnisse wie die deutsche Bevölkerung. Die Wohnbedürfnisse und Eigentumsbedarfe von türkischstämmigen Migranten unterscheiden sich – wie bei den Deutschen – entsprechend ihres jeweiligen sozioökonomischen und familiären Status (vgl. Firat, Laux 2003: 390ff.).

Bei näherer Betrachtung der Wohnbedürfnisse können jedoch einige Unterschiede genannt werden: Die traditionelle Relevanz der Familie hat bei den Wohnwünschen der türkischstämmigen Migranten im Gegensatz zur deutschen Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Die Räume werden funktionsbezogen gemeinschaftlich genutzt und die Wohnungen sind meistens stärker geschlechtsbezogen strukturiert. Das gemeinschaftliche Wohnen hat eine große Bedeutung. Außerdem stellt der Freiraumbezug einen wichtigen Aspekt dar. Freiräume wie z.B. Gärten, die zur eigenen Nutzung verfügbar sind, empfinden die meisten als deutliche Erhöhung der Wohnqualität.

Es ist erkennbar, dass die Wohnbedürfnisse der türkischstämmigen Bürger durch das Baugemeinschaftsmodell weitestgehend befriedigt werden können. Eine gute Nachbarschaft ist sehr wichtig für die türkische Gemeinschaft, denn ein türkisches Sprichwort besagt: „Kauf’ Dir kein Haus, sondern (gute) Nachbarn“. Demnach erscheint die Wohnform einer Baugemeinschaft für die Wohnbedürfnisse dieser Bevölkerungsgruppe nach einer harmonischen Nachbarschaft sozio-kulturell gesehen geeignet zu sein und weist Ähnlichkeiten mit gewohnten traditionellen Wohn- und Lebensformen auf.

STRUKTUR DER BAUGEMEINSCHAFT FÜR MIGRANTISCHE UND KULTURELL INTERESSIERTE BÜRGER

Die (modellhafte) Baugemeinschaft sollte die Vorteile des urbanen Raums als Stärken herausarbeiten und der Stabilisierung gewachsener Nachbarschaften eine gezielte Bedeutung zukommen lassen. Eine derartige Baugemeinschaft kann als Pilotprojekt dienen und somit offenlegen, dass die Wohneigentumsbildung der türkischstämmigen Migranten auch anderweitig durch Baugemeinschaftsprojekte möglich und wirtschaftlich tragbar ist. Die Baugemeinschaft sollte unter einem Label bzw. zu einem Thema konzipiert werden, um eine mögliche Stigmatisierung zu verhindern. Das Label dieser Baugemeinschaft könnte Interkulturalität sein. Dadurch können Haushalte, die an einem interkulturellen Zusammenleben interessiert sind, Mitglied werden. Hierfür sollten ausschließlich Menschen, „die multikulturell und tolerant wohnen wollen“, angeworben werden. Dabei sind die kulturelle Akzeptanz, der gegenseitige Respekt und die Toleranz für die individuellen Lebensformen unter den Mitgliedern sehr wichtig.

Es gibt keine typische Architektur für ein Integrationsmodell, doch für das Zusammenleben von unterschiedlichen Kulturen und Ethnien erscheint es sinnvoll Gemeinschaftsräume für Kommunikation und Austausch zu planen. In diesem Zusammenhang braucht es Räume für Zusammenkünfte der Bewohner, z. B. bei Festen oder religiösen Anlässen. Es sollte – wie die meisten Integrationsprojekte auch – gemeinschaftlich nutzbare Innen- und Außenräume geben, die zu sozialem Handeln und gemeinsamen Aktivitäten motivieren.

Das Projekt kann dazu beitragen, die Reputation von Baugemeinschaftsprojekten speziell bei den türkischstämmigen Migranten, die ihre Zukunft in Hamburg sehen, zu stärken. Es bietet tatsächlich eine interessante, individuelle und kostengünstigere Alternative zum konventionellen Wohneigentum an. Migranten sollten von den Kommunen und den Wohnungsbaugesellschaften gezielt z.B. durch spezifische Öffentlichkeitsarbeit angesprochen werden. Zudem sollten die Städte bzw. Kommunen die Beratung der Migranten hinsichtlich der Finanzierung bei Privatisierungsprozessen stärken und Wohneigentumsbildung in Wohnbeständen und Gestaltung sozialverträglicher Privatisierungsprozesse fördern. Die Wohnbedürfnisse der türkischstämmigen Migranten sind im Wandel und der Wunsch nach Zugang zu modernen Neubauvierteln scheint zu wachsen. Einer der Zielsetzungen der Wohnungswirtschaft sollte daher lauten, die Rahmenbedingungen des Eigentumserwerbs für Migranten in den Stadtteilen, in denen sie augenblicklich leben, attraktiv zu gestalten.

Zeynep Adanali ist Stadtplanerin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der HafenCity Universität Hamburg, im Fachbereich Stadt- und Regionalsoziologie.

Quellen

Adanali, Zeynep (2013): Türkischstämmige Migranten auf dem
Hamburger Wohnungsmarkt: am Beispiel des Stadtteils Wilhelmsburg.
Online abrufbar unter HCU-Server: https://edoc.sub.uni-hamburg.de/hcu/volltexte/2013/101/
Deutsches Institut für Urbanistik GmbH (DIFU) (2011):
Wohneigentumsbildung von Migranten – ein Stabilisierungsfaktor
für Quartiere? Online abrufbar unter: https://www.difu.de/
sites/difu.de/files/archiv/veranstaltungen/11_wohneigentumsbildung.
programm.pdf
, Zugriff am 05.07.2014
Firat, Serap; Laux, Hans Dieter (2003): Wohneigentumsbildung
von Migranten – ihre Bedeutung für die räumliche
und individuelle Eingliederung am Beispiel der türkischen
Bevölkerung in Köln. In: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und
Raumforschung [Hrsg.]: Informationen zur Raumentwicklung
Heft 6.2003. Bonn. S. 389ff
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zuerst veröffentlicht: FreiHaus 20(2014), Hamburg