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Artikel Finanzierung/Förderung Wohnungspolitik

Vier minus

Rot-grüne Wohnprojekteförderung

*** von Klaus Joachim Reinig ***  

Im Herbst wird in Hamburg eine neue Regierung gewählt. Ein wichtiges Anliegen der jetzigen rot-grünen Koalition war die Förderung von Wohnprojekten. Wir wollen untersuchen, ob die letzen Jahre gute oder schlechte Zeiten für gemeinschaftliches Wohnen waren und was wir von den Parteiprogrammen für die Wahl 2001 erwarten. Eine Bilanz.  

Mit der Bebauung der Zeisewiesen und Gebäuden in der Chemnitzstraße, im Knabeweg, der Rostocker Straße und der Scheplerstraße wurden mehrere Projekte fertiggestellt, die in der vorherigen Legislaturperiode auf den Weg gebracht worden sind. Die Projekte Kleiner Schäferkamp und Saarlandstraße, auch bereits in der letzten Wahlperiode vorbereitet, wurden 1998 mit insgesamt 50 Wohneinheiten gefördert. 1999 wurde überhaupt kein Projekt neu gefördert und im Jahr 2000 die Projekte Soester Straße mit 7 und Pinnasberg mit 19 Wohneinheiten. Im Jahr 2001 ist bislang die Förderung eines Projektes in der Telemannstraße mit 18 Wohnungen gesichert. In aussichtsreichen Verhandlungen steht das Projekt Brachvogel in Lurup. In dieser Legislaturperiode sind damit insgesamt 94 Wohneinheiten neu gefördert worden – dazu kommen zwei Wohnprojekte im Eigentum mit 40 Wohnungen (Barmbeker Stich und Jung und Alt, Lutterothstraße).  

Keine bebaubaren Grundstücke  

In der Koalitionsvereinbarung versprochen wurden „bis zu 200 Wohnungen pro Jahr“. Damit waren ausschließlich öffentlich geförderte Mietwohnungen gemeint. Das ist eine schlechte Bilanz: Statt maximal 800 Wohnungen wurden nur 94 realisiert. Als Schüler hätte man dafür eine „Vier minus“ kassiert und vielleicht einen Vermerk: „Er hat sich bemüht“. Es lag nicht an der fehlenden Förderung: Die Baukontingente wurden seit Jahren nicht mehr ausgeschöpft. Es lag auch nicht an den fehlenden Gruppen: Bei der Liegenschaft sind über 30 Gruppen registriert, die bauen wollen. Das Nadelöhr lag eindeutig bei der fehlenden Bereitstellung von Grundstücken. Die Stadt verkaufte ihren Grundbesitz lieber an zahlungskräftige Investoren (z.B. das Schulgebäude Koppel). Nur wenn diese ablehnten oder Grundstücke wirklich unbebaubar waren, wurden sie Wohngruppen angeboten. So in Allermöhe (lokalpolitisch unerwünscht), am Eichholz (technisch unbebaubar), Von-Essen-Straße (Bürgerbegehren), Deepenstöcken (erst angeboten, dann einem Sportverein verkauft).  

Keine Antworten auf die Stadtflucht  

Als diese Praxis vor zwei Jahren deutlich wurde, war es für eine kurzfristige Änderung zu spät: Grundstücke können nicht herbeigezaubert werden. Auch die „grüne“ Stadtentwicklungsbehörde hat kaum etwas unternommen, um wenigstens mittelfristig Grundstücke für Wohngruppen zu entwickeln. Nur in Eidelstedt und Heimfeld wurden Grundstücke für Wohngruppen neu disponiert. Um so mehr wurde die Baubehörde und die STEB von Gutachten überrascht, die feststellten, dass immer mehr Hamburger die Stadt verlassen: nicht weil sie so gerne ein Häuschen in der Vorstadt hätten, sondern weil Wohnraum mit Gestaltungsqualitäten fehlt. Viele Haushalte mit Kindern – diese brauchen vor allem große Wohnungen – würden gerne in Hamburg bleiben. Und vielen der Wohnungssuchenden ist die Nachbarschaft genauso wichtig wie eine urbane Einbindung. Nicht alle wünschen sich ständiges Rasenmähen, stundenlanges Autofahren und eine Lage, wo man schon für die Frühstücksbrötchen mindestens auf’s Fahrrad steigen muss.  

Mangelnde Innovationsbereitschaft

Auch in der traditionellen Wohnungswirtschaft zeigte sich nichts Neues. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften GWG und SAGA wurden zu einer Mega-Struktur zusammengeschlossen, statt sie stärker zu dezentralisieren und näher zu ihren Mietern zu rücken. Dass sie sich von Beständen trennen könnten, um zumindest einigen von Ihren Mietern gemeinschaftliches Wohnen in Selbstverwaltung zu ermöglichen, erscheint zur Zeit noch undenkbar. Eine Voraussetzung hierfür wäre auch die Herabsetzung des Eigenkapitals für Wohnprojekte gewesen. Der Koalitionsvertrag zwischen SPD und GAL sah hierfür vor, dass eine Stiftung für gemeinschaftliches Wohnen in dieser Regierungsperiode geprüft werden sollte. Nicht einmal die Eckdaten für eine solche Stiftung hat die federführende Baubehörde zustandegebracht, trotz vieler Ankündigungen. Auch ein Wohnprojekte-Wegweiser für interessierte Wohnungssuchende liegt in der Baubehörde immer noch auf Eis.

Die Wohnwünsche werden deutlicher, wenn der Wohnungsmangel abnimmt. Alle Marktuntersuchungen machen deutlich: Neben größeren Wohnungen werden gerade die Kriterien wichtiger, für die gemeinschaftliches Wohnen stehen.

Die Parteien sind im Wahljahr zu prüfen, ob sie Rahmenbedingungen schaffen wollen, die das Wohnen in Hamburg mit mehr Selbstverantwortung, Gestaltungsmöglichkeiten und nachbarschaftlichen Akzenten verbessern.  

Klaus Joachim Reinig ist Architekt in Hamburg und Beiratsmitglied von FREIHAUS.

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 7(2001), Hamburg