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Von Einküchenhäusern und Hausarbeitskooperativen

Was können wir heute von historischen, feministischen Antworten auf die Wohnungsfrage lernen?

*** von Eva Kuschinski ***

Bereits vor über 100 Jahren beschäftigten sich Feministinnen im Zusammenhang mit der Wohnungsfrage mit einer Neuordnung der Hausarbeit. Eine prominente und kontrovers diskutierte Idee war dabei das Einküchenhaus mit zentralisierter Hauswirtschaft.

Auch heute noch sind die Fragen, die sich die Feministinnen von damals stellten, aktuell: Es besteht ein gesellschaftlicher Zusammenhang zwischen der Art wie wir wohnen, wie und von wem Wohnraum produziert und bereitgestellt wird und der sozialen und alltäglichen Reproduktion sowie der Arbeit, die damit verknüpft ist. Hausarbeit findet immer noch im Wohnraum statt, ist meistens unbezahlt oder schlecht bezahlt. Das bedeutet auch, dass Menschen, die diese Arbeit machen, weniger Geld haben, um sich eine angemessene Wohnung zu leisten. Diese Menschen sind strukturell immer noch meist Frauen1.

Um zu verstehen wie lange die Wohnungsfrage schon feministisch diskutiert wird, hilft ein Blick in die Geschichte: Die Historikerin Dolores Hayden (1982) berichtet von „materiellen Feministinnen“ in den USA der 1870 – 1920er Jahre. Diese Frauen aus der Mittel- und Oberschicht setzten sich dafür ein, dass Frauen, denen die häusliche Sphäre der Hausarbeit gesellschaftlich zugeteilt wird, auch über die Organisation dieser Arbeit bestimmen sollten. So wurden bspw. Hausarbeitskooperativen gegründet, in denen die Arbeitenden bezahlt wurden oder Konsumkooperativen, die diese Dienstleistungen und zugehörige Ressourcen kollektiv kauften. Zudem sollten Kollektivküchen, je nach Perspektive, entweder am Wohn- oder Arbeitsort entstehen. Die für diese Vorhaben notwendige Architektur, Planung und städtische Infrastruktur wurden zusammen diskutiert.

In Deutschland gilt die Frauenrechtlerin Lily Braun als prominente Verfechterin des Einküchenhauses (Terlinden/Van Oertzen 2006). Arbeiterinnen sollten durch Zentralküchen von ihrer Doppelbelastung befreit werden. Die Ersparnis des Großeinkaufes sollte die Kosten für das Küchenpersonal decken. Bis in die Weimarer Republik wurde kontrovers in den verschiedenen politischen Lagern der Frauen- und Arbeiter*innenbewegung und in der Architektur darüber diskutiert. Tatsächlich wurden in dieser Zeit auch einige Einküchenhäuser gebaut.2 Die privatwirtschaftliche Einküchenhaus­gesellschaft der Berliner Vororte, die zumindest stark von Lily Braun inspiriert war, baute 1909 in Friedenau und Lichterfelde fünf Gebäude mit insgesamt 75 Wohnungen (ebd.: 152 ff.). Neben Zentralküche und Wäscherei verfügten die Häuser über Reformkindergärten, aber auch Dunkelkammer, Speiseaufzüge und Dachterrassen. In der eigentlichen Funktion existierten sie nur wenige Jahre. Damals wurde vermutet, dass doch keine Familien mit doppelt belasteten Frauen dorthin zogen und dass sich die Wohnkultur und gesellschaftliche Arbeitsteilung nicht so schnell ändern ließen (ebd.). Auch andernorts gab es Experimente mit kollektiver Hauswirtschaft: Die Gartenstadtreformer versuchten sich in Homegarth mit entsprechenden Siedlungen, in Hamburg beantragte 1921 Fritz Schumacher auf dem Dulsberg eine Siedlung mit Zentralküche, diese wurde aber aus Angst vor dem „Zerfall“ der Familie abgelehnt und konnte nur als Ledigenheim umgesetzt werden (ebd.). Auch in der Sowjetunion fand die Idee ihren Widerhall in den Kommunehäusern.

Die Versuche einer Kollektivierung der Hausarbeit kommen in den 1930er Jahren vor dem Hintergrund von nationalistischen, autoritären, konservativen Backlashes zu ihrem vorläufigen Ende. Der Kampf um eine andere Organisation von Haushalt ist zunächst verloren.

ARCHITEKTONISCHE, ÖKONOMISCHE UND SOZIOLOGISCHE ASPEKTE DER KOLLEKTIVEN HAUSWIRTSCHAFT

Einige bauliche, ökonomische und gesellschaftliche Aspekte, die sich aus der Betrachtung der Einküchenhäuser herausarbeiten lassen, sind jedoch – gerade in ihrer Verzahnung – für die heutige Diskussion spannend.

Baulich waren Einküchenhäuser innovativ und platzsparend. Durch die Zentralisierung konnte Fläche eingespart werden und durch die gemeinsame Nutzung weiterer Ressourcen, deren Verbrauch ­reduziert werden. Jedoch wird auch deutlich, dass sich die Bewohnenden nicht durch die Architektur „erziehen“ ließen. Oft wurden doch in der kleineren sozialen Einheit der Familie ge(haus-)wirtschaftet.

Die Finanzierung hängt von politischer Ausrichtung und ökonomischen Sachzwängen der Projekte ab: Sie waren entweder staatlich (Kommunehäuser), genossenschaftlich (Gartenstadt) oder privat-wirtschaftlich (Berliner Vororte) organisiert. Es wird aus der Literatur nicht deutlich, für wen die jeweiligen Wohnungen leistbar waren, es deutet sich jedoch an, dass eher die Mittelschicht in solchen Häusern wohnte.

Aus einer feministischen Sicht auf die Ökonomie der Einküchenhäuser wird deutlich, dass Care- und Hausarbeit nur bis zu einem bestimmten Punkt rationalisiert werden kann, ohne dass die Qualität einbricht. Das heißt, die Kosten werden vor allem über die Löhne niedrig gehalten, was wiederum zu einer Prekarisierung der Arbeitenden führt. Trotzdem gab es im kollektiven Konsum auch Ansätze, die heute noch unter dem Schlagwort der Gemeinsamen Ökonomie diskutiert werden.

Aus gesellschaftlicher Sicht barg die Neuorganisation des Haushaltens befreiende Momente für Einzelne. Eine progressive Verschiebung sozialer Beziehungen fand jedoch nicht statt, da das Geschlecht nicht von der Reproduktionsarbeit getrennt wurde. Die Arbeit wurde aus dem eigenen Haushalt an andere Frauen in sozial prekäreren Positionen ausgelagert. Damals wie heute bedeutete dies auch eine Delegation der Arbeit an rassifizierte oder migrantische Personen. Zudem waren rassistische Ausschlüsse bspw. bei einzelnen Protagonistinnen der US-Bewegung zu beobachten (Businger 2010: 146 ff). Und um für Arbeiter*innen eine spürbare Erleichterung darzustellen, hätten die Projekte im großen Maßstab mit entsprechender Finanzierung durchgeführt werden müssen.

UND HEUTE?

Wenn wir heute über Einküchenhäuser sprechen, dürfen wir die gesellschaftlichen Bewegungen ab 1968, feministische und queere Bewegungen sowie die autonome Hausbesetzer*innenbewegung nicht außen vor lassen. Hier wurde die Idee wieder aufgegriffen und unter anderen Vorzeichen in Form von Hausprojekten, wie sie auch gerade in Hamburg zahlreich vorzufinden sind, teilweise auch verwirklicht.

Welche Möglichkeiten und Grenzen kollektiver Hauswirtschaft finden sich heute? Erstens kann zwar in einzelnen Projekten eine solidarische Alltagspraxis erprobt werden, sie bringen aber nach wie vor hohe Zugangsbarrieren mit sich. Zweitens werden der räumlichen Gestaltung bei derzeit geförderten Neubauprojekten durch die damit verbundenen Vorgaben sowie explodierende Baupreise Grenzen gesetzt. Drittens lässt sich in Frage stellen, ob Neubau überhaupt sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltig ist. Hier könnte die städtische Vergabe von Bestandsimmobilien an Projektgruppen (z.B. durch Vorkaufsrecht oder Enteignung von Spekulationsobjekten) und der bedürfnisorientierte Umbau zuträglicher für eine gemeinsame Hauswirtschaft sein. Viertens sollte auch heute über das einzelne Haus hinausgedacht werden: Im Sinne der „alten“ Feministinnen, nämlich einer Entlastung von Arbeiter*innen, wäre eine gute soziale Infrastruktur in der Nachbarschaft mit vielen bezahlbaren Wohnungen, Kantinen, Kitas wünschenswert angesichts der anhaltenden Krise.

In Hamburg beantragte 1921 Fritz Schumacher auf dem Dulsberg eine Siedlung mit Zentralküche, diese wurde aber aus Angst vor dem „Zerfall“ der Familie abgelehnt und konnte nur als Ledigenheim umgesetzt werden

Baulich waren Einküchenhäuser innovativ und platzsparend. Durch die Zentralisierung konnte Fläche eingespart werden und durch die gemeinsame Nutzung weiterer Ressourcen deren Verbrauch reduziert werden

Literatur:

Businger, Susanne (2010): „Cooperative Housekeeping“: feministische Debatten zur Vergemeinschaftung der Hausarbeit um 1900 in den USA. In: Traverse : Zeitschrift für Geschichte (17).

Hayden, Dolores (1982): The grand domestic revolution: A history of feminist designs for American homes, neighborhoods, and cities. Cambridge, MIT Press.

Terlinden, Ulla, & Von Oertzen, Susanna (2006): Die Wohnungsfrage ist Frauensache. Frauenbewegung und Wohnreform 1870-1933. Berlin, Reimer.

Eva Kuschinski ist Doktorandin an der HafenCity Universität Hamburg und beschäftigt sich aus einer kritisch-feministischen Perspektive mit der Wohnungsfrage.

Tobias Behrens Geschäftsführer von STATTBAU HAMBURG und der Architekt Joachim Reinig sind im freihaus-Beirat engagiert.

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Cover der Freihaus Ausgabe Nr. 26, erschienen im Dezember 2022

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 26(2022), Hamburg