*** Interview mit Senatorin Jutta Blankau ***
Mit der Wahl im Februar 2011 hat die SPD die schwarz-grüne Regierung in Hamburg abgelöst. FreiHaus führte ein schriftliches Interview mit der Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, Jutta Blankau, über die Rolle gemeinschaftlicher Wohnformen in der Hamburger Wohnungspolitik, ihre Bedeutung bei der Wohnungsversorgung von jungen Familien und Älteren und der Integration von Wohnungen für Menschen mit Behinderung oder Demenz. Sowohl für genossenschaftliche Projekte als auch für Baugemeinschaften im individuellen Eigentum soll es weiterhin Wohnungsbaufördermittel geben.
FreiHaus: Wie bewerten Sie die Rolle der gemeinschaftlichen Wohnformen in der Wohnungspolitik der letzten 25 Jahre in Hamburg?
Senatorin Jutta Blankau: Das Bauen in einer Baugemeinschaft hat in Hamburg eine lange Tradition. In den letzten 20 Jahren entstanden in Hamburg mehr als 2100 Wohnungen in mehr als 100 Baugemeinschaften. Die Bewohnerinnen und Bewohner hatten die Chance, ihren ganz individuellen Wohnwunsch zu realisieren. Baugemeinschaften leisteten und leisten damit einen wichtigen Beitrag zu einem vielfältigen städtischen Wohnungsangebot.
Baugemeinschaften zeichnen sich zumeist durch hohes soziales Engagement und Toleranz aus. Auch waren Baugemeinschaften Vorreiter bei der Integration von Menschen mit Behinderung und dem Bau von ökologisch und energetisch hochwertigen Gebäuden.
Im Verhältnis zu den Baugemeinschaften im genossenschaftlichen Eigentum mit Mietpreis- und Belegungsbindungen, die die ursprüngliche Form der Baugemeinschaften darstellen und weiterhin den sehr wichtigen Kern bilden, ist in den letzten Jahren die Nachfrage durch Baugemeinschaften im individuellen Eigentum stärker gestiegen. Traditionell war lange Zeit für junge Familien das Eigenheim die vorrangig gewünschte Wohnform, möglichst als freistehendes Einfamilienhaus. Wir können nun seit einigen Jahren feststellen, dass es immer mehr Menschen vom Stadtrand zurück in die Stadt zieht bzw. auf den Umzug an den Stadtrand oder in das Umland verzichtet wird. Baugemeinschaften leisten hierbei gerade für die jungen Familien, die sich zum Verbleib innerhalb der Stadtgrenzen entscheiden, aber auch für Schwellenhaushalte eine wichtigen Beitrag zum Eigentumserwerb. Ein positiver Effekt ist bei diesen Gruppen die zumeist lang fristige Bindung der Familien an die Immobilie.
Aus diesem Grunde werden aus meiner Sicht auch zukünftig Baugemeinschaften sowohl im genossenschaftlichen Eigentum als auch im individuellen Eigentum eine wichtige Rolle spielen, die hinsichtlich der Eigentumsform unterschiedliche Wege gehen, aber grundsätzlich die gleichen Ziele verfolgen.
FreiHaus: Welche Rolle sollen gemeinschaftliche Wohnformen zukünftig in der Hamburger Wohnungspolitik spielen?
Senatorin Jutta Blankau: Das Interesse an dem Thema Wohnen in Baugemeinschaften und die Nachfrage nach Grundstücken durch Baugemeinschaftsgruppen ist weiterhin hoch. Die Wohnungspolitik handelt nach meiner Überzeugung deshalb weitsichtig und im Sinne einer guten Stadtentwicklung, wenn sie auch zukünftig neben den beiden „klassischen“ Komponenten Mietwohnungsbau und Eigenheimbau den Baugemeinschaftsgruppen ein Angebot macht. Weiterhin leisten Baugemeinschaften mit ihrer Zusammensetzung, wie zum Beispiel Mehrgenerationenhäuser, Integration von Menschen mit Behinderungen und als Projekte mit autoarmen Wohnen einen wichtigen Beitrag.
FreiHaus: Wie kann es gelingen, besondere Zielgruppen, wie z. B. ältere Menschen, zu integrieren und auch Menschen mit wenig Möglichkeit eigenes Geld in die Bauvorhaben einzubringen, den Zugang zum gemeinschaftlichen Wohnen zu ermöglichen?
Senatorin Jutta Blankau: Hamburg bietet den Baugemeinschaften ein eigenes, nach meiner Meinung sehr attraktives Förderprogramm. Natürlich müssen die Baugemeinschaftsgruppen sich im Rahmen der Planung ihres Projektes auch mit der Frage der finanziellen Leistungsfähigkeit und des Eigenkapitals auseinandersetzen, denn schließlich wird die Gruppe Eigentümerin der Immobilie werden. Die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der einzelnen Mitglieder einer Baugemeinschaft wird aber durch eine unterschiedliche hohe Förderung berücksichtigt. Gute Erfahrungen haben Baugemeinschaften mit eher älteren Mitgliedern gemacht, wenn diese mit einer Bestandsgenossenschaft als wirtschaftlich starkem Partner kooperiert haben.
FreiHaus: Welche Rahmenbedingungen können das Entstehen von gemeinschaftlichen und nachbarschaftlich orientierten Wohnformen begünstigen?
Senatorin Jutta Blankau: Die Nachfrage nach Grundstücken durch Baugemeinschaftsgruppen ist weiterhin hoch. Es geht also gegenwärtig weniger darum, für diese Form des Wohnens Werbung machen zu müssen. Hamburg wird weiterhin einen Teil der in den Verkauf gehenden städtischen Grundstücke für Baugemeinschaften reservieren. Das Grundstücksangebot Hamburgs ist in den innerstädtischen Lagen, die oftmals von Baugemeinschaften besonders nachgefragt werden, jedoch knapp. Aus diesem Grunde appelliere ich an die Baugemeinschaftsgruppen, sich auch jenseits der innerstädtischen Quartiere mit den attraktiven Wohnstandorten in den weniger urbanen Lagen zu beschäftigen, die von den Gruppen noch entdeckt werden müssen.
Der Senat hat sich zum Ziel gesetzt, den Wohnungsneubau anzukurbeln und die Rahmenbedingungen für den Bau von jährlich 6.000 Wohnungen zu schaffen. 2.000 davon sollen geförderte Wohnungen sein, dazu gehören auch Baugemeinschaftsprojekte. Ein Teil dieser Wohnungen wird auf ehemals städtischen Grundstücken realisiert werden. Hamburg unternimmt deshalb Anstrengungen, das städtische Grundstücksangebot zu erhöhen. Ich bin überzeugt, dass sich hierdurch auch die Chancen für Baugemeinschaften erhöhen, ihr Projekt zu realisieren.
Die Mischung verschiedener Zielgruppen und Einkommensschichten sowie die Integration beispielsweise einer Dementen-WG innerhalb eines Mehrfamilienhauses empfinde ich als besonders positiv und unterstützenswert– und gerade diese Mischung findet man oftmals bei Baugemeinschaften.
Daneben werden sich die Baugemeinschaften darauf verlassen können, dass sie auch zukünftig durch eine attraktive Wohnraumförderung unterstützt werden.
Die Fragen an Senatorin Blankau stellte die FreiHaus-Redaktion.
Die Agentur für Baugemeinschaften in der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt ist die Anlaufadresse für Gruppen und Einzelpersonen, die an gemeinschaftlichen Wohnformen interessiert sind.
zuerst veröffentlicht: FreiHaus 18(2012), Hamburg