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Artikel Wohnungspolitik

Stellungnahmen der Fraktionen

Einschätzungen zur Rolle gemeinschaftlicher Wohnformen

Zur Vorbereitung der Diskussion bei den 10. Hamburger Wohnprojekte-Tagen bat FreiHaus die Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt (s. Interview auf S. 15) und die wohnungspolitischen VertreterInnen in der hamburgischen Bürgerschaft um ihre Einschätzung zur Rolle gemeinschaftlicher Wohnformen.

Heike Sudmann, Die Linke

Zufall – oder nicht? 2012 feiert eine der ältesten Wohnprojekt-Genossenschaften in Hamburg, der „Drachenbau“, 25. Geburtstag – und die UN ruft das Internationale Jahr der Genossenschaften aus. „Genossenschaften schaffen eine bessere Welt“ lautet das Motto der UN. Den Anspruch, eine bessere Welt zu schaffen, haben die kleinen Wohnprojekte-Genossenschaften sicherlich nicht. Doch in ihrem Wohnumfeld und/oder Stadtteil engagieren sich die meisten und tragen oft zu einem besseren Zusammenleben bei.

Die Linke setzt sich für eine Unterstützung der Kleingenossenschaften und Wohnprojekte ein, dafür sind z.B. die Bereitstellung von günstigem Baugrund und die finanzielle Förderung nötig. Kritisch ist jedoch die Tendenz zu immer mehr Eigentumsprojekten. Dadurch wird Menschen mit wenig Einkommen und keinem Vermögen der Zugang zu einem Wohnprojekt verwehrt. 42% aller Haushalte in Hamburg haben aktuell einen Anspruch auf eine §5-Schein-Wohnung im 1. Förderweg, bei dem neuen 2. Förderweg (Einstiegsmiete 8,– € netto kalt) sind es sogar 59% aller Haushalte. Gerade diese Haushalte brauchen Sicherheit für ihre Wohnsituation und keine Angst vor unkalkulierbaren, nur renditeorientierten Mieterhöhungen. Deshalb fordert die Linke eine Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus und setzt sich auch für entsprechende Kleingenossenschaften und Wohnprojekte ein.

Hans-Detlef Roock, CDU

Die Nachfrage nach geeigneten Grundstücken für Baugemeinschaften hat in den zurückliegenden 20 Jahren zugenommen und damit an Bedeutung gewonnen. Dieser Trend wird sich meiner Einschätzung nach fortsetzen, da diese Bauform – sei sie nun genossenschaftlich oder auch privat – auch weniger einkommensstarken Haus halten die Möglichkeit bietet, Eigentum zu schaffen und individuelle Wohnvorstellungen zu verwirklichen, wie z. B. generationsübergreifendes Wohnen.

Besondere Förderprogramme sind eine wichtige Rahmenbedingung für das Entstehen von gemeinschaftlichen und nachbarschaftlich orientierten Wohnformen. Die unter dem CDU-GAL-Senat eingeführte Förderung der Wohnungsbaukreditanstalt (WK) wurde 2010 fast gänzlich und 2011 ungefähr zur Hälfte ausgeschöpft. Unterstützend wirkt, dass 20% der für den Geschosswohnungsbau geeigneten Grundstücke für Baugemeinschaften reserviert sind. Darüber hinaus gibt es administrative Unterstützung durch die 2003 eingeführte „Agentur für Baugemeinschaften“ (bei der BSU) und die Vergabe von geeigneten Grundstücken erfolgt zum Verkehrswert ohne Gebotsverfahren.

Olaf Duge, GAL

Vielfältige Einflüsse haben in den letzten Jahrzehnten die Lebensplanungen der Menschen verändert und damit auch zu einer Erosion traditioneller Wohnformen, insbesondere der der Kleinfamilie geführt. Während einerseits die zunehmenden Anforderungen an die Mobilität den Trend zu Einpersonenhaushalten förderten, so gab es dadurch als auch insbesondere durch die Emanzipationsbewegung der Frauen zunehmend Versuche neue gemeinschaft liche Wohnformen zu entwickeln.

Auch wenn gemeinschaftliche Wohnformen nicht etwas völlig Neues sind, z.B. als studentische Wohngemeinschaft oder in den meist von Vereinen und Stiftungen getragenen Wohnanlagen z.B. für ältere Menschen oder für Menschen mit Behinderungen, so haben sich doch die Strukturen und die Zielsetzungen gemeinschaftlichen Wohnens verändert. Während früher meist homogene Gruppen gemeinsam zusammen lebten, so bilden sich zunehmend gemeinschaftliche Wohnformen auch heterogener Gruppen unter vielfältigeren Zielsetzungen.

Den Anforderungen dieser Veränderungen hinkt die Wohnungspolitik hinterher. Es fehlt sowohl an geeigneten Flächen als auch Wohnungen um den Anforderungen eines generationsübergreifenden Wohnens, eines Wohnens von Patchwork-Familien oder eines inklusiven Wohnens gerecht zu werden. Dabei könnte Politik diese sozial- und auch nachbarschaftlich integrativen Wohn formen durchaus stärker fördern. Die bereits in der vorletzten Legislatur ein gerichtete Agentur für Baugemeinschaften in Hamburg ist hierfür sicherlich ein wichtiger Informationspunkt für Interessenten, aber das allein reicht nicht aus. Um im Wettbewerb um Grundstücke mit großen Baugesellschaften überhaupt zum Zuge kommen zu können, müssen seitens der Stadt viel mehr kleinteilige Flächen für Baugemeinschaften vorbehalten werden. Damit kleiner Gemeinschaften im Wettbewerb um die knappen Flächen mithalten können ist eine Vergabe städtischer Grundstücke nach Konzeptqualität anstatt nach Höchstgebot regelhaft erforderlich.

Der Wunsch nach gemeinschaftlichen oder stärker nachbarschaftlich und quartiersbezogenen Wohnformen kann durchaus auch als eine Gegenbewegung zur Individualisierung und Vereinzelung in unserer Gesellschaft verstanden werden. Voraussetzungen dafür sind stärkere Vernetzungen, bessere Finanzierungsmöglichkeiten und eine größere Akzeptanz auch in der Politik für diese Entwicklung, die von vielen noch skeptisch beäugt wird. Kleine Baugemeinschaften, neu gegründete Mietergenossenschaften und Nachbarschaftsprojekte stehen in der derzeitigen Politik gegenüber reinen Wohnungsbauzahlen beim Hamburger Senat nicht besonders hoch im Kurs.

Dabei können gut konzeptionierte gemeinschaftliche und nachbarschaftliche Wohnformen die Qualität und Attraktivität auch von weniger nachgefragten Stadtteilen durch das soziale Engagement und die Stärkung der sozialen Beziehungen solcher Gemeinschaften nachhaltig verbessern. Diese Erkenntnis scheint aber beim Senat immer noch nicht genügend angekommen zu sein. Wie ist es sonst zu erklären, dass der Senat die Mietergenossenschaft im auslaufenden Sanierungsgebiet Karo-Viertel draußen vor der Tür stehen lässt und stattdessen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft SAGA die alleinige Zuständigkeit überträgt? Wie ist es sonst zu verstehen, wenn in der neuen Mitte Altona im Masterplan zwar der Drittelmix von gefördertem Wohnungsbau, frei finanziertem Mietwohungsbau und Eigentumswohnungen niedergeschrieben wird, aber kein eigenständiger Anteil für Baugemeinschaften oder Mietergenossenschaften vorgesehen ist? Hier besteht dringender Verbesserungsbedarf um den Wünschen nach neuen Wohnkooperationen nachzukommen.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 18(2012), Hamburg