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Artikel Wohnprojekte für besondere Zielgruppen

Wohn-Pflege-Gemeinschaften für Menschen mit psychischer Erkrankung in Fuhlsbüttel

Ein Ort der Selbstbestimmung

*** von Thomas Gutierrez ***

Am 1. Februar 2009 zogen in Hamburg Fuhlsbüttel 24 ehemalige PflegeheimbewohnerInnen als Mieterinnen und Mieter in ihr neues Zuhause. Damit wurde eine einzigartige Idee Wirklichkeit: selbst bestimmt in den eigenen vier Wänden leben. Trotz psychischer Erkrankung. Trotz Pflegebedürftigkeit.

Begonnen hatte alles vor zwei Jahren. Die Stiftung Freundeskreis Ochsenzoll – ein Hamburger Träger außerklinischer psychiatrischer Dienstleistungen – war auf der Suche nach einer zeitgemäßen Wohn- und Betreuungsform, die es auch schwer psychisch erkrankten und pflegebedürftigen Menschen ermöglichen sollte, als Mieterin und Mieter in den eigenen vier Wänden zu wohnen. Gleichzeitig wollte die Stiftung das trägereigene Pflegeheim auflösen.

Damit war der Weg vorgezeichnet: es musste ein Konzept entwickelt werden, das selbst bestimmtes Wohnen für eine Gruppe von Menschen ermöglicht, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankung und ihres Pflegebedarfs in ihrer Alltagskompetenz sehr eingeschränkt sind, sehr hohen Unterstützungsbedarf haben und als langjährige Heimbewohner an selbst gestaltete Alltagsabläufe und Entscheidungsstrukturen nicht gewohnt waren. Außerdem musste der Umzug vom Heim in die eigenen vier Wände behutsam vorbereitet werden.

Weniger schwierig war die Suche nach einem geeigneten stadtteilintegrierten Standort für die Wohngemeinschaften und die Suche nach Mieterinnen und Mietern, die der Zielgruppe entsprachen.

Eine geeignete Bestandsimmobilie war vorhanden. Sie befindet sich in einem Wohngebiet im Hamburger Stadtteil Fuhlsbüttel in räumlicher Nähe zu Einkaufs- und Freizeiteinrichtungen, Arztpraxen, Apotheken und Kirchengemeinden. Das Haus ist durch mehrere nahe gelegene Buslinien in der Alsterkrugchaussee und den S- und U-Bahnhof Ohlsdorf gut an den öffentlichen Personennahverkehr angebunden.

2007 kaufte die Stiftung Freundeskreis Ochsenzoll das dreigeschossige Gebäude am Fuhlsbütteler Damm – ein ehemaliges und lange leer stehendes Pensionsgebäude der Stiftung Grone Schule. Es wurde im vergangenen Jahr aufwändig saniert und modernisiert. Im Innern ist auf jeder Etage eine große, helle und ansprechende Wohnung für 8 Mieterinnen und Mieter entstanden.

Das Haus bietet seit dem 1. Februar 2009 24 Menschen ein neues Zuhause, die psychisch erkrankt und pflegebedürftig sind. Für jeden Mieter steht ein Einzelzimmer mit Dusche und WC zur privaten Nutzung zur Verfügung. Die Mieterinnen und Mieter können die großen und schönen Gemeinschaftsräume – Küche, Esszimmer und Wohnzimmer – nutzen und auf diese Weise am Gemeinschaftsleben teilnehmen. Im März 2009 wurde das Pflegeheim aufgelöst.

Selbstbestimmung und Teilhabe sind möglich – das Konzept der Wohn- Pflege-Gemeinschaften

Schwieriger als der Umbau des Wohnhauses und die Vermietung waren die konzeptionellen Arbeiten hinsichtlich der Fragen: wie lassen sich Selbstbestimmung und Teilhabe verwirklichen? Welche Unterstützungsformen müssen zu diesem Zweck entwickelt werden? Selbstbestimmung und Teilhabe stellen sich ja nicht von alleine ein. Zwar verfügen die Mieterinnen und Mieter über einen eigenenMietvertrag, der nicht an einen Pflegevertrag gekoppelt ist. Insofern ist ihre formale Unabhängigkeit größer und ihre rechtliche Position gestärkt. Das ist nicht wenig. Aber es ist – als Kehrseite der Medaille – auch der Zwang gewachsen, wichtige Entscheidungen zu treffen, etwa zur Auswahl eines geeigneten ambulanten Pflegedienstes, zu Anschaffungen, zur Gestaltung der Wohnung und des WG-Alltags.

Was für gesunde Menschen normal ist – regelmäßig Entscheidungen zu treffen, die Zukunft zu planen, sich am privaten und öffentlichen Leben zu beteiligen, die im Wohnumfeld vorhandenen Freizeitund Einkaufsmöglichkeiten zu nutzen – ist für die Mieterinnen und Mieter am Fuhlsbütteler Damm 83 ohne Unterstützung nicht möglich – zumindest nicht von Beginn an.

Die Unterstützungsformen sind dabei vielfältig: eine Alltagsbegleitung leitet die Mitglieder der Wohngemeinschaft an, den Haushalt zu führen und die Freizeit zu gestalten.

Eine WG-Begleiterin berät als Moderatorin auf regelmäßigen WG-Vollversammlungen die Gruppe bei Entscheidungen, z.B. zur Auswahl eines Pflegedienstes oder zu Anschaffungen.

Angehörige, gesetzliche Betreuer und ehrenamtlich tätige Wohnpaten vertreten diejenigen Mieterinnen und Mieter, die derzeit nicht in der Lage sind, Entscheidungen selbst zu treffen, auf den WG-Vollversammlungen.

So ist mit den Wohn-Pflege-Gemeinschaften in Fuhlsbüttel ein komplexes Gebilde entstanden, das im Prinzip ein einfaches Ziel verfolgt: Selbstbestimmung und Teilhabe auch für pflegebedürftige psychisch erkrankte Menschen zu ermöglichen. Für Menschen, die in der Vergangenheit weniger aufgrund ihrer Erkrankung, sondern vielmehr aufgrund fehlender geeigneter Wohn-, Betreuungs- und Unterstützungsformen davon ausgeschlossen waren.

Thomas Gutierrez ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung Freundeskreis Ochsenzoll.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 16(2009), Hamburg