*** von Jan Kuhnert ***
Schon länger ist eine Neue Wohngemeinnützigkeit (NWG) in der bundesdeutschen Diskussion. Auch im Bundestag wurde sie Thema durch Anträge der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen im Jahr 2016. Seit der umfangreichen Studie von Kuhnert und Leps hat sich die Debatte konkretisiert und mündete in der nächsten Legislaturperiode wieder im Bundestag. Diesmal wurde sogar eine öffentliche Anhörung über einen konkreten Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen und einen aktualisierten Antrag der Fraktion Die Linke im Oktober 2020 durchgeführt. In der Debatte wurde die NWG dann zu einer Frage von „Marktwirtschaft oder Sozialismus“ (Prof. Sotelo) hochstilisiert und die Immobilienvertretungen liefen Sturm gegen die Vorschläge. Seitens der Gewerkschaften ver.di und IG BAU wurde dagegen mit einer Argumentationsbroschüre noch vor der Bundestagswahl für eine NWG geworben. Das Für und Wider einer Neuen Wohngemeinnützigkeit erhitzt offensichtlich die Gemüter. Der Beitrag stellt den Stand der Debatte um eine Wiedereinführung und damit verbundene Chancen zu einer Verbesserung der Wohnungsversorgung von Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen dar.
Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung vom 24.11.2021 hatte eine außerordentlich positive Überraschung für Mieter*innen im Gepäck. Die Neue Wohngemeinnützigkeit (NWG) wurde als gemeinsames Projekt vereinbart: „Wir werden zeitnah eine neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen auf den Weg bringen.“ Damit waren die beiden wesentlichen Eckpunkte einer staatlichen Förderung klar festgelegt: Steuerverzichte UND Investitionsförderung. Die vermutlich von der FDP hineinverhandelte Einschränkung steht im Folgesatz: „Sie soll nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit die Struktur der etablierten Wohnungswirtschaft ergänzen, ohne diese zu benachteiligen.“ Diese „Hintertür“ kann jederzeit geöffnet und die NWG damit verhindert werden – noch ist nichts entschieden!
Im Abschlusspapier des neu gebildeten Wohnungsbündnisses auf Bundesebene vom Oktober 2022 versprach die Regierung – nicht zuletzt auf Druck des Deutschen Mieterbunds: „Der Bund wird einen umfassenden Dialogprozess zur Erarbeitung eines Konzepts zur Einführung einer neuen Wohngemeinnützigkeit aufsetzen, in den sich Bündnis- Mitglieder mit ihrer fachlichen Expertise umfassend einbringen können.“ Dafür wurde gemeinsam mit den Immobilienverbänden die konstruktiv-kritische Begleitung eines Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung einer Neuen Wohngemeinnützigkeit in der laufenden Legislaturperiode vereinbart.
Zwar hatte das Bundesministerium die Bündnispartner*innen zur Teilnahme an der Umsetzung der NWG eingeladen, jedoch erklärten die Immobilienverbände in einer gemeinsamen Erklärung vom gleichen Tag: „Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Einführung einer Neuen Wohngemeinnützigkeit halten wir für überflüssig. Sollte sie tatsächlich umgesetzt werden, darf sie in keinem Fall zu Lasten der etablierten Wohnungswirtschaft gehen, die schon seit Jahrzehnten für langfristig bezahlbares Wohnen steht.“
Trotz dieser ablehnenden Haltung der Wohnungswirtschaftsverbände bekräftigten die Koalitionsfraktionen im November 2022 bei den Beratungen zum Haushaltsentwurf 2023 ihren Umsetzungswillen. Ebenfalls im November 2022 legte der Autor im Auftrag des Deutschen Mieterbunds ein umfassendes Konzept zur Umsetzung der NWG vor, mit der die Diskussion nun konkretisiert werden konnte.
Zur Erarbeitung der vom Haushaltsausschuss geforderten Eckpunkte einer NWG wurde der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung beauftragt, gemeinsam mit dem Bundeministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) und dem Bundesministerium für Finanzen (BMF) Workshops zu organisieren, zu denen sowohl die Immobilien-und Mieterverbände als auch soziale und kirchliche Organisationen und Fachleute eingeladen waren. In drei Workshops von Januar bis März 2023 wurden Überlegungen vom BMWSB bzw. dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) diskutiert. Durch eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung der PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH sollte der Subventionsbedarf für die Wirtschaftlichkeit einer NWG abgeschätzt werden. Es wurden die notwendige Kompensation der NWG-Beschränkungen diskutiert und Ansätze zu einem Förderprogramm besprochen. Das BMF positionierte sich jedoch nicht zu einzelnen Punkten oder einem Förderkonzept.
Die Workshops hatten den Charakter einer Anhörung, denn auf konkrete Einwände oder Änderungsvorschläge wurde seitens des Ministeriums faktisch nicht geantwortet, nur die Beratergesellschaft machte weitergehende Erklärungen zu ihren Annahmen. Als Fazit bleibt festzustellen, dass vom BMWSB ein Förderprogramm mit (Investitions-) Zulagen mit Rechtsanspruch sowie mit Steuerbefreiungen vorbereitet wird. Hierfür erstellte das BMWSB im März 2023 einen Entwurf für Eckpunkte eines Gesetzes. Sowohl für dauergebundenen Neubau wie auch für die Einbringung von Bestandswohnungen in die NWG soll es Zuschüsse geben, offen blieb jedoch welche (dauerhaften) Belegungsbindungen damit verbunden sein sollen.
Im Bauausschuss des Bundestages wurde am 23. April 2023 über die NWG diskutiert. Die SPD zeigte Verständnis für die Verzögerung der Eckpunkte, da neben Präzisierungen noch die Aufarbeitung der Fehler der alten Wohnungsgemeinnützigkeit ausstünden. Die FDP erklärte, sie lehne die neue Wohngemeinnützigkeit „nicht generell“ ab, betrachte diese aber immer unter der Prämisse der Finanzierbarkeit. Die (ehemalige) Parlamentarische Staatssekretärin Cansel Kiziltepe des BMWSB betonte die Notwendigkeit der Schaffung dauerhaft bezahlbaren Wohnraums durch die NWG, die durch die bisherige soziale Wohnraumförderung nicht gewährleistet sei. Zum Thema Steuererleichterungen sei man allerdings „noch in Abstimmung, auch mit dem Bundesfinanzministerium.“ Sie kündigte an, ein Eckpunktepapier bis zum 14. Juni 2023 gemäß der Forderung der Haushälter vorzulegen. Zu diesem Datum legte das BMWSB – allerdings ohne Mitzeichnung des BMF – die „Eckpunkte“ zur Neuen Wohngemeinnützigkeit mit drei verschiedenen Optionen vor, die wesentlich unkonkreter als der interne März-Entwurf sind.
In Variante 1 würde entweder ein Wohnungsunternehmen vollständig mit allen Beständen in die NWG überführt oder neu als NWG-Unternehmen gegründet werden. Diese würden zur „preisgedämpften Vermietung“ verpflichtet, was in den Modellrechnungen der PD-Beratungsgesellschaft mit 20 % unter der ortsüblichen Vergleichsmiete angenommen wird. Die wirtschaftlichen Nachteile solcherart günstiger Mieten würden durch Befreiung von Körperschafts- und Gewerbesteuer sowie einer Grundsteuererleichterung ausgeglichen werden. Mit Investitionszulagen sollen die Wohnungsunternehmen motiviert werden, ihre Bestände in die NWG einzubringen und Neubauten zu erstellen.
Mit der Variante 2 wird eine – bisher noch nicht diskutierte – neue „Lösung ohne Zulagen innerhalb der AO-Gemeinnützigkeit („AO-Lösung“)“ zur Diskussion gestellt, mit der die Abgabenordnung (AO) so geändert würde, dass in ihr ein eigener „wohngemeinnütziger Zweck“ eingefügt würde. Bei Achtung der strengen Vermögensbindung und dem Ausschüttungsverbot in der AO sind Verpflichtungen dieser Unternehmen einer Wohnungsvermietung unter dem Vergleichsmietenniveau vorgesehen. Es gäbe zwar Steuerbefreiungen für die Unternehmen, aber keine Zulagen. Somit richtet sich dieser Vorschlag an „Unternehmen mit akzentuierter sozialer Ausrichtung.“
Ziel der Variante 3 – zusätzlich oder alternativ zu den beiden anderen Varianten – ist es, „Unternehmen ein Modell anzubieten, bei dem die Bindung und Privilegierung auf einen bestimmten Unternehmensteil oder bestimmte Wohnungen beschränkt ist“. Als Beispiel wird hierfür die satzungsmäßige Festlegung von mindestens fünf bis zehn Prozent des Bestandes für eine Vermietung nach bestimmten „gemeinnützigen“ Kriterien aufgeführt. Nur für diese Teilbestände würde der Staat etwa Ertragssteuerminderungen gewähren. Ein Zuschusskonzept sei hier noch eingehend zu prüfen.
Zentraler Stolperstein bleibt der Aufwand für die NWG, die „sowohl Steuermindereinnahmen als auch Mehrausgaben im Bundeshaushalt umfassen“ könne. Einschränkend wird im Eckpunktepapier festgestellt: „Eine solche Finanzierung ist derzeit weder im aktuellen Bundeshaushalt noch in der Finanzplanung vorgesehen. Angesichts der aktuellen Steuerschätzung und der darin enthaltenen prognostizierten Mindereinnahmen fehlt für ein solches Förderprogramm zur Neuen Wohngemeinnützigkeit zum jetzigen Zeitpunkt die Finanzierungsgrundlage.“ Der vom BMF vorgelegte Haushaltsentwurf für 2024 sieht keine Gelder für die NWG vor, das BMWSB hofft aber auf eine Änderung durch Beschluss des Deutschen Bundestags zum Haushalt 2024 gegen Ende des Jahres 2023. Erst dann könne festgestellt werden, ob und wenn ja welche finanziellen Mittel der Haushaltsgesetzgeber zur Verfügung stellen kann.
Direkt nach der Veröffentlichung der Eckpunkte konstatierte der Verband bayrischer Wohnungsunternehmen daher: „Mit einem ersten Gesetzentwurf ist kurzfristig nicht zu rechnen.“ Auch der Wohnungspolitiker der Union, Marco Luczak, prophezeite, der Plan für die NWG werde „ins Leere laufen“, „weil die Ampel sich wieder einmal nicht einigen konnte“. Da gerade die anzusprechenden „sozialen Vermieter“ große Skepsis hätten, sollte das BMWSB darauf verzichten „Gesetze gegen die Betroffenen zu machen“. Durch Prof. Voigtländer vom wirtschaftsnahen Institut der Deutschen Wirtschaft und langjährig profiliertem Gegner der NWG, halten nun Horrormeldungen Einzug in die Debatte. Seine Meinung: „Allein für die drei Städte Hamburg, München und Berlin wäre man schnell bei jährlichen Kosten von drei Milliarden Euro“. Da zucken doch alle Haushälter*innen zurück – oder? Interessant ist die nachvollziehbare Kritik von Voigtländer an der Variante 3 mit Teilbeständen. Er hält diesen Vorschlag für „besonders gefährlich“, denn es drohe, „dass Unternehmen unverkäufliche Teile ihres Unternehmens in die Gemeinnützigkeit schieben und die Verantwortung für unterbewirtschaftete Bestände an die Gemeinschaft abwälzen“.
Aus meiner Sicht stellt insbesondere die Variante 1 des Eckpunktepapiers einen Schritt in die richtige Richtung dar, der nun durch einen Gesetzentwurf konkretisiert werden müsste. Hierfür müssten zumindest vom BMWSB Projektmittel in diesem und nächsten Jahr bereitgestellt werden, um unter Einbeziehung externer Fachleute und Interessenvertretungen einen qualitativ tragfähigen Gesetzentwurf erarbeiten zu können, der dann Eingang in den nächsten Haushaltsentwurf finden könnte.
Nachdem sich in den letzten Monaten Sozialverbände und Organisationen aus der Ökologie- und Klimaschutzbewegung hinter die Forderung einer NWG gestellt habe, ist es jetzt vor allem wichtig, mehr Unterstützung in der Immobilienwirtschaft zu gewinnen! Mit dem Brief von Betriebsräten aus der Wohnungswirtschaft an Bauministerin Geywitz und Finanzminister Lindner ist die Diskussion endlich innerhalb der Branche eröffnet. Zu Recht schrieben die Gewerkschafter*innen: „Das wichtige Vorhaben einer neuen Wohngemeinnützigkeit darf nicht an unbegründeten Vorbehalten einiger Branchenakteure oder an einer unzureichenden Finanzausstattung der neuen Wohngemeinnützigkeit scheitern.“
Jan Kuhnert, Teilnehmer der Anhörungen zur Aufhebung der
Wohnungsgemeinnützigkeit 1987, Autor verschiedener Studien
und Gesetzentwürfe zur Novellierung bzw. Wiedereinführung
der Wohnungsgemeinnützigkeit, Geschäftsführer
des kommunalen Wohnungsunternehmens GBH in Hannover
(1997 – 2002) sowie Vorstand der Wohnraumversorgung
Berlin AöR (2016-2021), Mitdiskutant in allen Workshops des
BMWSB 2023.
Studien zur (Neuen) Wohnungsgemeinnützigkeit
Kuhnert, Jan/ Leps, Olof (2017): Neue Wohnungsgemeinnützigkeit Wege zu langfristig preiswertem und zukunftsgerechtem Wohnraum, Wiesbaden, Springer-VS-Verlag. Langfassung online unter: https://digital.zlb.de/viewer/metadata/16298350/1/LOG_0003/.
Holm, Andrej/ Horlitz, Sabine/ Jensen, Inga (2017): Neue Wohnungsgemeinnützigkeit. Voraussetzungen, Modelle und erwartete Effekte, online unter https://www.rosalux.de/publikation/id/37380/neue-wohnungsgemeinnuetzigkeit.
Bundestagsdrucksachen und -debatten
Die Grünen (2020): Entwurf eines Gesetzes zur neuen Wohngemeinnützigkeit (Neues Wohngemeinnützigkeitsgesetz –
NWohnGG) vom 20.02.2020, BT-Drs. 19/17307.
Die Linke (2020): Neue Wohngemeinnützigkeit einführen, einen
nicht-profitorientierten Sektor auf dem Wohnungsmarkt
etablieren vom 11.03.2020, BT-Drs. 19/17771.
Deutscher Bundestag (2020): Wohnen: Pro und Contra „neue
Wohngemeinnützigkeit“, Bericht zur Anhörung von
07.10.2020
Deutscher Bundestag (2023): Sachstand der Vorbereitungen
der vom Haushaltsauschuss mit Beschluss vom 10. Nov.
2022 erbetenen Vorlage von Eckpunkten für eine neue
Wohngemeinnützigkeit, Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen, Berlin, Wortprotokoll vom 26. April 2023, online unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/951402/ae8b25828524d52af7ae8f8489bd670b/Kurzprotokoll-41-Sitzung-data.pdf.
Standpunkte und Positionen
Ver.di und IG BAU (2021): Keine Rendite mit der Miete. Für eine neue Wohngemeinnützigkeit, Broschüre vom 16.07.2021, online unter https://wipo.verdi.de/++file++60d5bd6664eebec07a7c8c7d/download/verdi%20BAU%20Broschu%CC%88re%20Wohngemeinnu%CC%88tzigkeit-1.pdf.
Bündnis für bezahlbares Bauen/ BMWSB (2022): Bündnis bezahlbarer Wohnraum. Maßnahmen für eine Bau-, Investitions-und Innovationsoffensive, online unter: https://www.bmwsb. bund.de/SharedDocs/topthemen/Webs/BMWSB/DE/buendnis-bezahlbarer-wohnraum/buendnis-Artikel.html.
Deutscher Mieterbund/ Kuhnert, Jan (2022): Konzept für eine Neue Wohngemeinnützigkeit, online unter: https://www. mieterbund.de/fileadmin/public/Studien/DMB_Gutachten_5.pdf.
Immobilienverbände (2022): Gemeinsame Erklärung der Immobilienverbände zum Maßnahmenpaket des Bündnisses bezahlbarer Wohnraum, online unter: https://www.gdw.de/ media/2022/10/2022-10-12-gemeinsame-erklaerung-der-immobilienverbaende-zum-buendniss-bezahlbarer-wohnraum-v2-ak-presse.pdf.
Luczak, Jan-Marco (CDU) (2023): Geywitz´Plan für eine Neue Wohngemeinnützigkeit wird ins Leere laufen, PM vom 15.06.2023, online unter: https://www.cducsu.de/presse/ pressemitteilungen/geywitzplan-fuer-eine-neue-wohngemeinnuetzigkeit-wird-ins-leere-laufen.
Handelsblatt vom 26.06.2023 „Neue Wohngemeinnützigkeit: Ökonomen halten Regierungspläne für ‚gefährlich‘“, online unter https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/foerderprogramm-neue-wohngemeinnuetzigkeit-oekonomen-halten-regierungsplaene-fuer-gefaehrlich/29222636.html.
Ver.di und IG BAU-Betriebsräte (2023): Neue Wohngemeinnützigkeit zeitnah einführen! Offener Brief, online unter: https:// www.verdi.de/++file++647dde4c045b604f284c3d36/download/Offener%20Brief%20Wohngemeinnu%CC%88tzigkeit. pdf.
zuerst veröffentlicht: FREIHAUS 27(2023), Hamburg