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Artikel Wohnungspolitik

Echte Wohngemeinnützigkeit:

Statt social washing für die gewerbliche Immobilienwirtschaft

*** von Ruth Weinzierl ***

Zur gegenwärtige Lage der Wohnungsversorgung

Im Jahr 2022 lebten in deutschen Städten 15,5 % der Menschen in überbelegten Wohnungen. In be­engten Wohnverhältnissen leben besonders häu­fig Alleinerziehende und ihre Kinder. 54 % der 21 Millionen mietenden Haushalte und 52 % der mie­tenden Personen in Deutschland gehören zu den unteren 30 % der Einkommensverteilung. Mit dem Einkommen steigen Wohnfläche und Energiever­brauch, die Mietbelastungsquote dagegen sinkt. Gestiegen ist die Zahl der Wohnungslosen.

456 560 Menschen in Deutschland sind derzeit wohnungslos. 372 000 Menschen von ihnen lebten zum Stichtag 31. Januar 2023 in Einrichtungen der Kommunen oder der freien Wohlfahrtspflege, so das Statistische Bundesamt im August 2023. Damit waren es mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Hinzu kommen schätzungsweise 84 500 Menschen, die bei Freunden oder Bekannten unterkommen oder die gar keine Unterkunft haben.

Gleichzeitig steigen Boden- und Immobilien­preise sowie Mietpreise stark an, in letzter Zeit auch wegen gestiegener Baukosten und Zinsen. Ins­gesamt ließen und lassen sich mit Immobilien gute Geschäfte mit hoher Renditeerwartung machen. Grund und Boden werden vielfach als Spekulations­ware behandelt – ein gemeinwohlorientierter oder sozialer Zweck wird mit Verkauf und Vermietung in aller Regel nicht verfolgt.

Der Bestand an Sozialwohnungen mit ge­bundenen Mietpreisen ist zwischen 2006 und 2019 um fast die Hälfte auf 1,14 Millionen zurück­gegangen. Der Etat für den sozialen Wohnungs­bau ist wichtig, aber gemessen am Bedarf ver­schwindend gering. Da die Mietbindungen nach einer gewissen Zeit wieder auslaufen, garantiert das Modell weder dauerhaft bezahlbare Wohnun­gen noch einen sozial und ökologisch nachhaltigen Einsatz von Steuermitteln.

Neue Wohngemeinnützigkeit: dauerhafte bezahl­bare Wohnungen im Bestand

Vor diesem Hintergrund muss nach Mitteln und Wegen gesucht werden, dauerhaft bezahlbare Wohnungen im Bestand zu garantieren. Die Neue Wohngemeinnützigkeit kann ein wichtiger Baustein der Problemlösung sein: Wohnungsbestände von Unternehmen könnten – ggfs. auch nur teilweise – in die Wohngemeinnützigkeit übergehen und damit in einen nicht renditeorientierten Sektor überführt werden. Die Grundidee ist es, dass Unternehmen, die sich verpflichten, gemeinnützig zu wirtschaf­ten, mit Steuererleichterungen und Zuschüssen gefördert werden.

Im Gegenzug zur Förderung verpflichten sich die Unternehmen dazu, preisgebunden an Haushalte mit niedrigem Einkommen und an am Wohnungs­markt strukturell Benachteiligte (z.B. Jugendliche aus stationärer Jugendhilfe, Wohnungslose) zu ver­mieten und zwar unterhalb des Marktpreises.

Die Diakonie Deutschland schlägt zudem vor, die Neue Wohngemeinnützigkeit so auszu­gestalten, dass energetische und demographische Sanierung zusätzlich besonders gefördert werden.

Nur in der gesetzlich geregelten Gemeinnützig­keit kommt es zum dauerhaften, selbstlosen, aus­schließlichen und unmittelbaren Einsatz betrieb­licher Vermögenswerte für soziale Zwecke und zur Kontrolle der Angemessenheit aller Ausgaben – einschließlich der Lohn- und Gehaltsstrukturen des Spitzenpersonals – durch die Finanzverwaltung. Eigenwirtschaftliche Interessen und eine mit­gliederbegünstigende Renditeerwartung sind bei gemeinnützigen Unternehmen ausgeschlossen. Das unterscheidet gemeinnützige Unternehmen von gewerblichen Unternehmen einerseits und von Ge­nossenschaften andererseits. Nur durch die Wirt­schaftsform der Gemeinnützigkeit ist garantiert, dass der gewährte Steuervorteil an Mieter*innen bzw. hilfsbedürftige Menschen weitergegeben wird.

Zur aktuellen Debatte um die Neue Wohngemein­nützigkeit

Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, FDP und Grüne 2021 darauf geeinigt, „zeitnah eine neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förde­rung und Investitionszulagen auf den Weg [zu] bringen und so eine neue Dynamik in den Bau und die dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohn­raums [zu] erzeugen“. Leider ist eine Einigung auf die Ausgestaltung der Neuen Wohngemeinnützig­keit innerhalb der Koalition bisher nicht gelungen und im Entwurf des Bundeshaushalts 2024 sind dafür keine Mittel eingestellt. Deswegen ist es un­wahrscheinlich, dass in dieser Legislaturperiode noch das Gesetz über die Neue Wohngemeinnützig­keit erlassen wird. Die gewerbliche Immobilien­wirtschaft und die FDP stehen dem Konzept kri­tisch gegenüber, obwohl die Entscheidung eines Wohnungsunternehmens, Wohnungsbestände in die Gemeinnützigkeit zu überführen, freiwillig wäre. Hintergrund ist offenbar vor allem eine Konkurrenz um die für den Bereich des Bauens und Wohnens verfügbaren Fördermittel. Nach Auffassung der Diakonie Deutschland wären die nötigen Steuer­mittel zur Förderung wohngemeinnütziger Unter­nehmen sozial und ökologisch nachhaltig ein­gesetzt.

Gemeinnützigkeit statt Social Washing!

Angesichts der aktuellen wohnungspolitischen De­batten, in denen häufig ein beliebiger und daher leicht zu missbrauchender Begriff der „Gemein­wohlorientierung“, teilweise synonym mit „Gemein­nützigkeit“ verwandt wird, erinnert die Diakonie Deutschland an die Besonderheiten und den Zweck der Gemeinnützigkeit. Es wäre sehr bedauerlich, wenn es statt einer echten Neuen Wohngemein­nützigkeit zu einem neuen Förderprogramm für die gewerbliche Immobilienwirtschaft ohne nach­haltige soziale Bindung zu Gunsten von Haushalten mit niedrigen Einkommen und am Wohnungsmarkt strukturell Benachteiligte käme.

Dr. Ruth Weinzierl, Projektleitung Wohnen, Zentrum Soziales und Beteiligung, Diakonie Deutschland

 

Positionspapiere der Diakonie
Diakonie Deutschland (2023), Positionspapier Wohngemeinnützigkeit und Gemeinwohlwohnungen attraktiv gestalten, online unter: https://www.diakonie.de/fileadmin/user_upload/Diakonie/PDFs/Diakonie_Wohngemeinnuetzigkeit-und-Gemeinwohlwohnungen_attraktiv.pdf.


Diakonie Deutschland (2023), Gemeinnützigkeit statt Social Washing für die gewerbliche Immobilienwirtschaft – Plädoyer für einen sozial und ökologisch nachhaltigen Einsatz von Steuermitteln, online unter: https://www.diakonie.de/fileadmin/user_upload/Diakonie/PDFs/Stellungnahmen_PDF/2023-05_Diakonie_Gemeinnuetzigkeit_statt_Social_Washing_fin.pdf.

Studien und Daten zur Lage der Wohnungsversorgung
Öko-Institut (2023), Wohn- und Energiekostenbelastung von Mietenden, online unter: https://www.mieterbund.de/fileadmin/public/Studien/DMB_WohnkostenbelastungMietende_final.pdf.

Pestel-Institut (2022), Bezahlbarer Wohnraum 2022. Neubau – Umbau – Klimaschutz, online unter: https://www.mieterbund.de/fileadmin/public/Studien/Pestel-Studie_Bezahlbarer_Wohnraum_2022.pdf.

Statistisches Bundesamt, Daten zum Thema Wohnen, online unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Wohnen/_inhalt.html.

zuerst veröffentlicht: FREIHAUS 27(2023), Hamburg