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Artikel Stadtentwicklung

Beispielhaft auch für die Hamburger Stadtentwicklung?

Partizipativ, kooperativ und gemeinnützig bauen in Zürich

*** von Frank Karthaus ***

Die diesjährige Preisträgerin des Klaus Novy Preises – die Baugenossenschaft „mehr als wohnen eG“ – entwickelt ein Quartier und könnte Anregungen für die neu geplanten Wohnquartiere in Hamburg liefern.

In Hamburg sind seit 1985 mehr als 30 neue Genossenschaften mit zusammen mehr als 4.000 Wohnungen entstanden. In den 90er und frühen 2000er Jahren haben diese Neugründungen beim Wohnungsneubau eine kleine aber innovative und sozialkulturelle Bedeutung gespielt. Heute sind die kleinen neuen Genossenschaften, die im Rahmen des geförderten Wohnungsbaus ihr Projekt realisieren wollen, bei der Vergabe städtischer Grundstücke und durch die aktuellen Förderkonditionen stark in den Hintergrund gedrängt worden. Im Koalitionsvertrag stehen hierzu zwar schöne Worte, in der Praxis stehen kleine Genossenschaften weiterhin vor nahezu unüberwindbaren Schwierigkeiten.

Die jungen Genossenschaften der 80er und 90ger Jahren sind inzwischen weitgehend erwachsen geworden, d. h. sie haben z.T. ihre Anfangsfinanzierungen umgeschuldet oder werden sie bald schon zurückgezahlt haben. Soweit – so gut. Sie wären aber theoretisch in der Lage, neu zu bauen oder zumindest Beiträge zur Finanzierung neuer Wohnungen zu leisten.

BAU- UND SOLIDARPFLICHT

Für Klaus Novy war die Bau- und Solidarpflicht gegenüber nicht versorgten Genossenschaftsmitgliedern oder für neue Genossenschaften essenziell: Er hat sich stets vehement gegen eine Closed-Shop-Mentalität von Genossenschaften ausgesprochen. Sinngemäß sollten Genossenschaften, die nicht neu bauen und somit nicht mehr offen sind für weitere Mitglieder, eine Befreiung von der Körperschaftssteuer1) nur erhalten, wenn sie Solidarabgaben in einen Verbundfonds leisten.2)

Wenn dieser Gedanke ernst genommen werden würde könnten man folgende Frage stellen: Könnten nicht eine Teil der kleinen jungen Genossenschaften und einige der traditionellen Genossenschaften auch in Hamburg ein ähnliches Projekt wie in Zürich wagen? Könnte man nicht in einer solchen Konstellation ein genossenschaftliches Quartier mit 300 – 600 innovativen Wohn- und Gewerbenutzungen entwickeln – z. B. in einem der neu geplanten Quartiere?

Die kleine junge Genossenschaft hätte viel zu bieten, z. B.: 

  • Erfahrung mit der Selbstorganisation von Gruppen und Umgang mit stressigen Bauphasen (Kostenrahmen muss eingehalten werden), mit neuen generationsübergreifenden Wohnformen, 
  • Know-how beim ökologischen und energieeffizienten Bauen, 
  • Kostentransparenz bei den Mieten, die sich nur im Kontext des Förderungsabbaus erhöhen und nach Auslaufen von Mietpreisbindungen niedrig bleiben. 
  • Einen „gemeinnützigen“ Wohnungsbau, der dauerhaft der Bodenspekulation entzogen wäre: Genossenschaften, die Wohnungen nicht veräußern und dauerhaft die Mieten unter dem Marktniveau halten, handeln volkswirtschaftlich zum (all-)gemeinen Nutzen. Solche Baugenossenschaften sind im Sinne des ehemaligen WGG grundsätzlich gemeinnützig, denn sie senken die Marktmieten mittelbar und reduzieren die staatlichen Kosten für Wohngeld und Kosten der Unterkunft (KdU – Hamburg zahlt hierfür allein mehr als 600 Mio. € p.a.). 
  • Viel Erfahrungen mit der Integration besondere Zielgruppen bzw. vordringlich Wohnungsuchender.

Natürlich haben auch die traditionellen Genossenschaften in all diesen Fragen und Themen langjährige Erfahrungen. Aber könnte in einer Kooperation zwischen den traditionellen und den jungen Genossenschaften eine besondere Qualität entstehen? Ein Quartier gemeinsam gebaut von einer (Dach-)Genossenschaft bestehend aus jüngeren und älteren Genossenschaften sowie interessierten Hamburgern, die schon lange auf eine Aufnahme in eine Genossenschaft warten, könnte auch in Hamburger Bürger ein großes Innovationspotenzial freisetzen.

Das Know-how vieler Genossenschaften und engagierter Hamburger bietet die besten Voraussetzungen für ein Quartier, das sich sozial, architektonisch, ökologisch und partizipativ abhebt von Bauvorhaben privater Investoren. Das neue Quartier sollte ein Leuchtturm sein für die demokratische und soziale Hamburger Genossenschaftskultur. Der Aufruf an die Hamburger Genossenschaften insbesondere an die jungen lautet: „Warum nicht – Packen wir’s an“. 

1) bis 1989 durch das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz [WGG],
ab 1990 über § 5 Abs. 1 Nr. 10 KStG
2) vgl. Novy 1987 – in Bauen und Wohnen mit Zukunft

Frank Karthaus ist Mitglied im Bundesverein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 22(2017), Hamburg