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Bundesweiter Preis für Genossenschafts-Ideen

Spar- und Bauverein Solingen eG vergab 5. Klaus-Novy-Preis

*** von Frank Karthaus und Arno Mersmann ***

Zum fünften Mal und passend zu ihrem 120. Geburtstag vergab der „Spar- und Bauverein Solingen eG“ am 14. Juli 2017 den bundesweiten Preis für Innovationen beim genossenschaftlichem Bauen und Wohnen. Ausgezeichnet wurden in diesem Jahr Projekte, die „sozial und innovativ“ die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft und das Zusammenleben in Nachbarschaften stärken.

Die Veranstaltung zur Auszeichnung neuer, innovativer Ideen für die Weiterentwicklung der Genossenschaftsidee wird zunehmend zum ungezwungenen Kennenlern- und Diskussionsforum von alten und neu gegründeten Wohnungsgenossenschaften.

Der ehemalige Bauminister des Landes NRW und SPD Landesvorsitzender Michael Groschek bezeichnete Klaus Novy eingangs in seinem Grußwort als Sozialrevolutionär, der das wirtschaftliche, soziale und demokratische Leitbild der Genossenschaft auf die Gesellschaft übertragen wollte. Ein großer, den Renditeerwartungen des Marktes entzogener Wohnungsbestand wie in Wien, wo zwei Drittel der Wohnungen von Genossenschaften und der Kommune gehalten werden, war für Klaus Novy beispielhaft. Michael Groschek plädierte für fördernde Impulse, um eine neue Renaissance von großen und kleinen Genossenschaften ins Leben zu rufen.

Ulrich Bimberg, Vorstandsvorsitzender des Solinger Spar- und Bauvereins und langjähriger Mitstreiter von Klaus Novy in Nordrhein-Westfalen, skizzierte in seinem Rückblick „20 Jahre Klaus-Novy-Preis“ zentrale Anliegen und Positionen von Klaus Novy. Er zeigte auch auf, wie Klaus Novy’s leidenschaftliches Engagement ihn und viele Studienkollegen in den 80er Jahren inspiriert und mitgerissen hat. Er erläuterte, dass die Reformforderungen von Klaus Novy zwar im Duktus, nicht aber inhaltlich von den Kernprinzipien der Genossenschaft abweichen.

Acht Projekte, die zuvor von einer Jury aus dem Bewerberpool von 31 eingereichten Beiträgen als besonders innovativ herausgefiltert worden waren, hatten anschließend die Chance sich selber auf der Bühne zu präsentieren. Darunter auch zwei Hamburger Projekte und zwar die „Kindergenossenschaft des Bauvereins der Elbgemeinden eG (BVE)“ und die kleine Dachgenossenschaft „Wohnreform eG“.

Neben den fachlichen Argumenten, die bei der Präsentation der Projekte ins Feld geführt wurden, gab es auch wieder recht lustige und kreative Vorstellungen. So trat J. Goethe als Handpuppe zur Unterstützung des Weimarer Projekts Ro70 auf oder die Wohnreform eG aus Hamburg stellte mit viel schauspielerischem Talent ihre eigene 13-jährige Entwicklungsgeschichte dar.

Trotz hervorragender Präsentationen konnten natürlich nur drei Preise vergeben werden. Die Jury war das Publikum. Ur-genossenschaftlich erhielt jeder Teilnehmer an der Veranstaltung einen Wahlzettel ausgehändigt und musste sich entscheiden.

DEN DRITTEN PREIS, mit 1.000 EUR dotiert, erhielt das Münchner Projekt „Bellevue di Monaco eG“, eine Wohn- und Sozialgenossenschaft für geflüchtete Menschen. Die neu gegründete Genossenschaft erhielt von der Stadt München per Erbbauvertrag ein Gebäude. Durch ein Konzept zwischen Betreuung und Mitverantwortung, werden die Bewohner auf ein selbständiges Leben vorbereitet.

DER ZWEITE PREIS, mit 2.000 EUR dotiert, ging an „Inklusiv Wohnen Köln e. V.“ Ursprünglich als Genossenschaft geplant, konnte der Verein die städtische Kölner Wohnungsgesellschaft GAG überzeugen, als Bauherr bereit zu stehen. Der Verein wird in Oktober 2017 sein Objekt beziehen und selbstbestimmt verwalten. Der Verein von Eltern mit behinderten Kindern hat das Nutzungs- und Belegungsrecht.

DEN DIESJÄHRIGEN ERSTEN PREIS, mit 4.000 EUR dotiert, vergab das Publikum ins Ausland. „Mehr als Wohnen eG“ aus Zürich konnte mit seinem außergewöhnlich experimentellen Charakter überzeugen. Getragen von 55 Züricher Wohnungsgenossenschaften wurde eine neue Genossenschaft ins Leben gerufen, um in den bis 2015 errichteten 380 Wohneinheiten die Zukunft des Wohnens in technischer, sozialer, quartiersbezogener oder ökologischer Hinsicht zu erproben.

Typisch Genossenschaft dabei: Was einer allein nicht erreichen kann, schafft man in Gemeinschaft (aller Genossenschaften). In Zürich lebt mittlerweile ca. 20 Prozent der Bevölkerung in Genossenschaftswohnungen; in einer der teuersten Städte Europas die fast einzige Möglichkeit spekulationsfrei dauerhaft günstig wohnen zu können.

„Mehr als Wohnen eG“ hat nicht nur ein sehr großes Wohnungsbauvorhaben gestemmt, sondern zeichnet sich insbesondere als Sozial- und Kulturgenossenschaft aus. Partizipation und Selbstorganisation stand von Anfang an oben auf der Agenda und ist weiterhin auch nach Bezug der Wohnungen ein wesentlicher Baustein des Zusammenlebens.

Um die ökologischen Ziele des Projektes zu erreichen, haben die Bewohner die Genossenschaft „mer als gemües eG“ gegründet und thematisieren damit auch die energetischen und ökologischen Lebensweisen im Alltag: Vegan oder fleischarm Essen als Beitrag zur Verringerung des CO2-Ausstoßes.

Auf die herausfordernde Frage des Moderators der Veranstaltung „Ede“ Ekkehard Wolff, ob er denn als Fleischesser auch mitmachen und ein Wohnung bekommen könne, bemerkte Claudia Thiesen, die Vertreterin von „Mehr als Wohnen“: „Wenn Sie das doof finden, müssen Sie ja nicht bei uns einziehen“. 

Frank Karthaus und Arno Mersmann sind ehemalige Mitarbeiter von Klaus Novy.

Klaus Novy

Klaus Novy (* 10. September 1944 in Wien; † 28. August 1991 in Seattle, USA), war 1984 – 1991 Professor für Planungs- und Bauökonomie an der TU Berlin und Experte der europäischen Wohnreform, einer Bewegung, die ab den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts Sozialreform, Baukultur und Lebensform in einem sein wollte. Sein besonderes Interesse galt dabei der Wohnungsbaugenossenschaft und ihrem ursprünglichen umfassenden gesellschaftlichen Anspruch.

In seinen zahlreichen Publikationen zeigte Klaus Novy Alternativen zur herrschenden Wohnungspolitik auf. Er beriet als Ökonom nicht nur die wohnungssuchenden Gruppen der „alternativen“ sozialen Bewegungen der 1970er und 1980er Jahre, sondern führte auch zum Teil äußerst kontroverse Diskussionen mit den bestehenden genossenschaftlichen Verbänden und wohnungswirtschaftlichen Institutionen.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 22(2017), Hamburg