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Artikel Bodenpolitik/Grundstücke Wohnungspolitik

10 Jahre Agentur für Baugemeinschaften

Ein Rückblick

*** von Uwe Henning ***

„Viele Köche verderben den Brei“, lautet ein altes Sprichwort, das keineswegs nur eine Küchenweisheit ist. Diese Erfahrung konnten in der Vergangenheit die Baugemeinschaften machen, wenn sie in dem Bestreben, ein Grundstück zu erhalten und ihr Projekt zu realisieren, sich an die verschiedensten Dienststellen der Stadt wenden mussten und dabei Gefahr liefen, sich im Behördendschungel zu verlieren.

Um den Gruppen einen einheitlichen Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen, fasste der Senat im Juli 2003 den Beschluss, eine Agentur für Baugemeinschaften zu gründen. Der Senat verband damals mit der Förderung von Baugemeinschaften die Erwartung, die Attraktivität Hamburgs für viele Menschen zu steigern, die eine Alternative sowohl zum Mietwohnungsbau als auch zum ‚klassischen‘ Erwerb von Wohneigentum im Rahmen von Bauträger-Angeboten suchen. Baugemeinschaften könnten zudem die Eigenverantwortung und die Identifikation der Bewohner mit dem Wohnumfeld stärken und damit einen Beitrag zur sozialen Stabilisierung von Quartieren leisten. Ob er mit dieser Annahme Recht behielt, sollte sich zeigen.

9.000 Haushalte sollen es damals gewesen sein, die Hamburg jährlich an die Umlandgemeinden verlor und politisch wurde das Ziel formuliert, die Einwohnerzahl Hamburgs nicht nur zu halten, sondern deutlich zu erhöhen. Als wesentlicher Grund für die Abwanderung wurde das nicht ausreichende Angebot an großen und bezahlbaren Wohnungen für Familien identifiziert.

Gemeinsam zu bauen – das spart nicht nur Kosten, es bündelt Energien und macht Mut, Lebensprojekte wie die Schaffung von Wohneigentum in der Gemeinschaft anzugehen. Die neugegründete Agentur für Baugemeinschaften sprach sich deshalb schnell in der Stadt herum und stieß bei vielen Bürgerinnen und Bürgern auf großes Interesse. Die Kolleginnen und Kollegen in der Agentur konnten in den folgenden Wochen und Monaten eine Vielzahl von Gesprächen und Telefonaten mit Interessierten, Familien, Alleinerziehenden, Singles, Rentnern und Studenten führen – alle hatten eine Vielzahl von Fragen, wollten mehr zum Thema Baugemeinschaften wissen und beraten werden.

Agentur als Lotsen im Verfahrensdschungel

Die Beratung umfasst bis heute das Aufzeigen des Grundstücks- und Förderungsangebotes, aber auch die Hilfestellung bei Bewerbungen und die Lotsenfunktion durch das Verfahren bis zur Vollendung eines erfolgreichen Projektes. Darüber hinaus unterstützt die Agentur Baugemeinschaften bei der Realisierung ihrer Projekte. Dies kann z. B. die Beratung über die Abläufe im Rahmen der Baugenehmigung sein oder auch einmal eine „Moderation“ zwischen Baugemeinschaft und einer Behörde, wenn es im Verfahren einmal „hakt“. Außerdem wurde mit der Einrichtung der Agentur das Ziel erreicht, den Baugemeinschaften einen zentralen Ansprechpartner anzubieten und den Gruppen unnötige Wege zwischen Liegenschaftsverwaltung, Hamburgischer Wohnungsbaukreditanstalt und Baubehörde zu ersparen.

Wohnprojekte, Wohngruppen und Baugemeinschaften als Zusammenschlüsse von Menschen, die sich gemeinsam Wohnraum schaffen wollen, haben sich in Deutschland seit den 1970er Jahren entwickelt. Die Agentur für Baugemeinschaften konnte bei ihrer Gründung auf den Erfahrungen aufbauen, die in Hamburg in den Jahren zuvor bei der Beratung und organisatorischen Unterstützung von Baugruppen und bei der Förderung von gemeinsam geplanten Hausgruppen gesammelt worden waren. Bis Anfang 2003 waren in Hamburg bereits 16 Kleingenossenschaften mit über 40 Siedlungs- oder Hausgemeinschaften und mit zusammen über 450 Wohnungen realisiert worden. Außerdem waren bereits 13 Wohnungseigentümergemeinschaften mit zusammen über 155 Wohnungen im Eigentumsbereich gefördert worden.

Mehr Eigentümergemeinschaften und Bauen mit traditionellen Genossenschaften

Die Nachfrage durch Baugemeinschaften und hier insbesondere von den Gruppen, die ihr Projekt als Eigentümergemeinschaften realisieren wollen, ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Gestiegen ist auch der Anteil der Baugemeinschaften unter dem Dach von Traditionsgenossenschaften.

Bereits seit Beginn der Entstehung von Baugemeinschaften spielen die Kleingenossenschaften eine herausgehobene Rolle. Sie entwickelten sich aus dem Zusammenschluss von Wohngruppen und integrieren weiter neu entstehende Projekte. Kleingenossenschaften bieten mit ihrem im Vergleich zu den großen Genossenschaften überschaubaren Bestand den Mitgliedern Selbstverwaltungsmöglichkeiten für das von ihnen bewohnte Gebäude und starke Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten.

Die wichtigste Frage von Baugemeinschaften war und ist die nach dem passenden Grundstück. Das Verhältnis zwischen der Anzahl der Baugemeinschaften, die auf der Warteliste der Agentur standen, und der Anzahl der städtischen Grundstücke, die Baugemeinschaften angeboten werden konnten, war damals günstig. Gegenwärtig befinden sich über 140 Gruppen in der Warteliste der Agentur. Die Gründe für diese Zunahme liegen in dem Trend, zurück in die Städte zu ziehen sowie in dem Wunsch, auch in den Städten ökologisch und sozial leben zu können. Das Zusammenleben mit gegenseitiger Hilfe, gemeinsamen Aktivitäten und hohem persönlichen Engagement in bezahlbarem Wohnraum wird vielen Bürgerinnen und Bürgern in Zeiten, in denen viele ihre Nachbarn kaum noch kennen, wichtiger. Viele junge Familien möchten nicht im Hamburger Umland in ein Reihen- oder Einfamilienhaus ziehen, sondern wünschen sich einen Wohnort in urbaner Stadtlage mit guter Infrastruktur, der es ihnen erleichtert, Beruf und Familie zu vereinbaren.

Wo liegen die Grundstücke?

Es können immer weniger baureife Grundstücke insbesondere in den zentralen Stadtteilen angeboten werden, aber die Baugemeinschaften werden nicht weniger. Die Bereitstellung eines ausreichenden Grundstücksangebotes vor dem Hintergrund der in den vergangenen Jahren anziehenden Grundstückspreise wird die große Herausforderung für die Stadt und die Agentur in den nächsten Jahren sein. Baugemeinschaften sind in den verschiedensten städtischen Quartieren verteilt über die Stadt realisiert worden. Es gibt noch einige weiße Flecken auf dem Stadtplan. Die Agentur geht davon aus, dass deren Zahl aber in der Zukunft kleiner werden wird. An dieser Stelle sei deshalb ein Appell an die Baugemeinschaftsgruppen erlaubt: Geben Sie bitte auch den Grundstücken außerhalb der besonders angesagten Quartiere und Stadtteile eine Chance!

Angesichts des begrenzten Grundstücksangebotes und der hohen Nachfrage führt die Agentur ein Auswahlverfahren durch, welches ein immer stärkeres Gewicht erhält. Die Agentur hatte deshalb im Jahr 2009 die Kriterien für das Auswahlverfahren mit dem Ziel weiterentwickelt, sie noch transparenter, nachvollziehbarer und gerechter zu gestalten. Nach unserer Wahrnehmung ist die Akzeptanz der Baugemeinschaften für dieses Verfahren groß, auch wenn naturgemäß nicht immer alle Gruppen mit den Ergebnissen der Bewertungen zufrieden sind.

Zusammenarbeit mit Architekten und Baubetreuern

An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass die positive Entwicklung der Baugemeinschaften in Hamburg nicht ohne die Baubetreuer und Architekten möglich gewesen wäre! Sie arbeiten zum Teil seit Jahren intensiv mit der Thematik Baugemeinschaften und tragen auch dazu bei, dass die Baugemeinschaftsförderung einen hohen Stellenwert in Hamburg hat. Eine Baugemeinschaft als Bauherr stellt einen Architekten vor besondere Herausforderungen. Dies ist kein Bauen „von der Stange“, sondern hier muss auf die individuellen Wünsche einer Vielzahl von Bauherren eingegangen und es müssen nach deren Wünschen passgenaue Grundrisse entwickelt werden. Auch die Einbeziehung der wirtschaftlichen Baubetreuer ist ein wesentlicher Baustein der Projektentwicklung und hat sich sehr bewährt. Für die Agentur ist der Austausch mit den Baubetreuern und Architekten wichtig, so dass wir uns für 10 Jahre erfolgreiche Zusammenarbeit bedanken möchten.

Heute kann Hamburg auf eine Geschichte der Baugruppen und Baugemeinschaften von über zwei Jahrzehnten zurückblicken. In dieser Zeit sind über 1.900 Wohnungen in über 80 Baugemeinschaftsprojekten entstanden, ein Großteil davon als geförderter Wohnungsbau. Obwohl diese Wohnformen in Hamburg inzwischen recht gut verankert sind, ist deren quantitativer Beitrag zur Wohnraumversorgung im Vergleich zum gesamten Wohnungsbauvolumen gering.

Auch in der Zukunft: für Baugemeinschaften

Die Prognose, dass das Gewicht des Themas „Baugemeinschaften“ in der Zukunft eher noch zunehmen wird, ist sicherlich nicht allzu mutig. Aber gerade vor dem Hintergrund einer steigenden Nachfrage, sind alle Beteiligten aufgefordert, intensiv und kooperativ an einem Strang zu ziehen. Die Agentur wird dies weiterhin tun und sich für die Baugemeinschaften engagieren sowie den Gruppen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Denn nach 10 Jahren Agentur für Baugemeinschaften kann man festhalten, dass der Senat mit der Gründung der Agentur das Hamburger Wohnungsangebot ein Stück attraktiver und vielseitiger gemacht hat.

Und was das Sprichwort mit den vielen Köchen und dem verdorbenen Brei angeht: Mit der Einrichtung der Agentur wurde vieles für die Baugemeinschaften überschaubarer und klarer. Jedes Projekt stellt aber die Gruppe in der Planung und dem Baugenehmigungsverfahren wieder vor große Herausforderungen. Da mag es aus der Sicht der Gruppen gelegentlich noch immer zu viele Köche geben. Doch wer kollektiv baut, geht durch die Schule des Lebens, lernt Ausdauer und Hartnäckigkeit, aber auch Geduld, Gelassenheit und Toleranz.

Uwe Henning ist Mitarbeiter der Agentur für Baugemeinschaften in der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Hamburg.

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 19(2013), Hamburg