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Artikel Klimaschutz/Mobilität Wohnprojekte Hamburg

Das ungewöhnlich energieeffiziente Open House

Und seine facettenreiche Bewohnerschaft

*** von Stefan Krümmel ***

Stadtsoziologen der HafenCity-Universität Hamburg (HCU) führen bis Ende 2014 ein mehrjähriges Forschungsprojekt u. a. zum IBA-Projekt Open House am Vogelhüttendeich in Wilhelmsburg durch. Das Projekt und ein erster Ausblick auf die zu erwartenden Ergebnisse.

Während der Internationalen Bauausstellung in Hamburg-Wilhelmsburg sind zahlreiche sogenannte „Green Buildings“ entstanden, die im Präsentationsjahr 2013 der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Das sind Wohn- oder Bürohäuser, die besonders hohe Standards zum Energieverbrauch erreichen und teils mehr Energie erzeugen als sie selbst verbrauchen.

Innerhalb eines „EnEff:Stadt – IBA Hamburg“ genannten Forschungsverbundes untersucht der Arbeitsbereich Stadtsoziologie an der HafenCity-Universität Hamburg mehrere solcher Gebäude, darunter auch das Open House.

„EnEff:Stadt-IBA Hamburg“ ist ein gemeinsames Forschungsprojekt der Arbeitsbereiche „Stadt- und Regionalsoziologie“ sowie „Infrastrukturplanung und Stadttechnik“ der HafenCity-Universität Hamburg, des Instituts für Gebäude – und Solartechnik (IGS) der TU Braunschweig, des Energieforschungszentrums Niederachsen (EFZN) bzw. der TU Clausthal und der IBA GmbH. Es wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWI) gefördert.

Das Open House am Vogelhüttendeich

Das Open House ist eine Perle am Vogelhüttendeich, allein weil hier ungewöhnliche Dinge stattgefunden haben: Ursprünglich eine Brachfläche unter einer Hochspannungsleitung in einem bitterarmen Stadtteil, lange erfolglos angeboten, entstand hier durch das Zusammentreffen günstiger Umstände ein ambitioniertes Wohngebäude.

Ein heller Bau in Y-Form ist es geworden, der sich von der Gründerzeit- und Nachkriegsbebauung in seiner unmittelbaren Umgebung abhebt und sich durch große Freiflächen und einen Durchgang zum Ernst-August-Kanal zum Stadtteil hin öffnet. Alle, die möchten, können vom Vogelhüttendeich über das Grundstück andere Bereiche des Stadtteils erreichen. Sie können sich an der Nordseite des Hauses hinsetzen oder weiter zum Kanal in die Natur. Viele Kinder aus dem Stadtteil kommen zum Open House, um dort zu spielen.

Die Bewohnerschaft des Open House ist ungewöhnlich „gemischt“. Leute aus der Schanze oder Ottensen haben sich in einem der Flügel Stadthäuser und Wohnungen gekauft, im anderen sind nicht nur für Hamburger Verhältnisse sehr preiswerte geförderte Mietwohnungen entstanden, in die auch viele Wilhelmsburger eingezogen sind. Den dritten Flügel des Y bewohnt die Baugemeinschaft Schipperort mit unterschiedlichen Mitgliedern. Alle drei Gruppen sind vom Physiker bis zum Taxifahrer ein vielseitiges Publikum fast jeden Alters und fast jeden Einkommens, Familien mit Kindern, Ruheständler, Singles, Paare, Wohngemeinschaften. Viele Befragte aus anderen Stadtteilen kannten Wilhelmsburg vorher nicht gut und wohnen nun gerne dort.

Besonders ist auch das Gebäude selbst: Es ist ein mit öffentlichen Mitteln gefördertes „Passivhaus Plus“. Es hat durch seine gedämmte Fassade, besonders hochwertige Fenster und Türen sehr geringe Wärmeverluste an die Außenumgebung. Im Zusammenspiel mit neuester Gebäudetechnik ist das Haus mit einem Verbrauch von 15 Kilowattstunden pro Jahr und Quadratmeter ungewöhnlich effizient und erzeugt im Vergleich mit herkömmlichen Gebäuden wenig Kohlendioxid. Es besitzt zwei Blockheizkraftwerke, eines davon mit Biogas, wodurch Heizwärme und Warmwasser erzeugt werden. Über Kraft-Wärme-Kopplung erzeugter Strom wird teils selbst verbraucht, teils ins Netz eingespeist. Auf dem Dach befindet sich eine Photovoltaik-Anlage, die das Plus an Energie erzeugt.

An seiner Entstehung waren viele beteiligt: STATTBAU Hamburg hat das Projekt in Kooperation mit der Agentur für Baugemeinschaften und der Initiativgruppe der Baugemeinschaft schon früh angeschoben. Die steg Stadterneuerungsund Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg mbH hat den Eigentümer-Flügel realisiert und die Wohnungsbaugenossenschaft Schanze e. G. die beiden anderen. Zusammen mit der IBA Hamburg GmbH ist es beiden gelungen, für unterschiedliche Zielgruppen bezahlbare genossenschaftliche Mietwohnungen und zusätzlich Wohneigentum zu schaffen, was im Viertel unüblich war.

Die Eigentümer haben ihre Stadthäuser und Wohnungen zumeist erstmals im Rohbau gesehen und sich für den Entwurf des Gebäudes begeistert. Gegen Ende des Fertigstellungsprozesses sind die geförderten Wohnungen mit ihrer hohen Qualität problemlos vermietet worden. Die Baugemeinschaft Schipperort nimmt im Open House eine besondere Stellung ein, denn sie war von Anfang an dabei, ist sozusagen als Erste über die Elbe gesprungen. Sie hat lange nach einem geeigneten Grundstück gesucht und mit einem eigenen Entwurf bereits am Wettbewerb teilgenommen. Danach war sie in den Planungs- und Realisierungsprozess eingebunden und hat mit ihrem frühen Wunsch, ein Passivhaus zu bauen, prägend an der Idee des Open House mitgewirkt.

Das Forschungsprojekt der HafenCity-Universität und Ausblick auf die Ergebnisse

Die HCU untersucht die Rahmenbedingungen der Entstehung des Gebäudes, den Umgang der Nutzer mit der innovativen Technik in ihrem Wohnalltag und deren Akzeptanz durch die Bewohner. Interessant ist vor allem, ob diese Erfahrungen zu einem veränderten Verhalten des Energiesparens in Wohngebäuden führen und ob sich daraus Schlussfolgerungen für eine klimaverträgliche Stadtentwicklung ableiten lassen.

Im Spätsommer 2012 wurden Gespräche mit Experten geführt, die an der Entstehung maßgeblich beteiligt waren. Sie gaben Auskunft darüber, nach welchen Ideen dieses hoch technisierte Haus konstruiert wurde und wie es im Alltag funktioniert. Als im April 2013 der Winter endgültig vorbei war, begannen die Gespräche mit Eigentümern, Mietern und Mitgliedern der Baugemeinschaft: Besonders neugierig waren wir zu erfahren, ob und wie viel eigentlich geheizt wurde. Überwiegend: Kaum.

Befragt wurden die Bewohner u.a. nach ihrer Motivation für Wilhelmsburg und das Open House, welche Überlegungen sie zur Idee des Passivhauses und seinen Einfluss auf den Wohnalltag angestellt haben, ob ihnen aufgefallen ist, dass sie jetzt Teil eines komplexen soziotechnischen Systems sind, in dem Menschen und Maschinen gemeinsam, wenn nicht gemeinschaftlich, zur Effizienz des Gebäudes beitragen, schließlich wie sie mit der Technik umgehen, wie intensiv sie sie nutzen und wie diese zur Lebensqualität im Wohnalltag beiträgt.

Letztlich führt das zu der Frage, ob die Nutzer das aufwendige Gebäude angenommen haben und mit ihm tatsächlich so umgehen, wie es von der Expertenseite bei der Planung und Herstellung gedacht war. Daraus sollte sich folgern lassen, welche Empfehlungen das Open House für zukünftige Projekte dieser Art, auch im Vergleich mit den anderen im Projekt untersuchten Gebäuden, liefern kann. Diese Folgerungen betreffen nicht nur den technischen Teil, also die Energieeffizienz, sondern auch das soziale Experiment Open House, ob es mit seiner gemischten Bewohnerschaft aus Eigentümern, „Normalmietern“ und einer Baugemeinschaft ein geeignetes Teilinstrument zukünftiger Stadtentwicklung sein kann.

Dr. Stefan Krümmel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für Stadt- und Regionalsoziologie (Prof. Dr. Ingrid Breckner) der HafenCity-Universität Hamburg und arbeitet auf stadtregionaler Ebene schwerpunktmäßig über den Umgang von Akteuren mit ihrem Raum.

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 19(2013), Hamburg